Abstecher ins Auenland

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Basiert auf einer Situation, die wirklich so passiert ist, und dem Wunsch, einfach aus der Realität fliehen zu können. In der Geschichte hab ich mich einfach mal Luna genannt, weil ich den Namen irgendwie mag.

Es dauerte wieder mal nur wenige Minuten, dann war ich auch schon genervt von der Realität. Da meine Haare noch nass waren und ich mich nicht erkälten sollte, setzte ich eine Mütze auf und schmiss mich auf mein Bett. Ich ließ irgend eine Filmmusik von Doctor Who laufen, die es mir überraschenderweise mal bei YouTube angezeigt hatte. Nebenbei versuchte ich, meine FF's weiterzuschreiben, konnte mich aber nicht mehr konzentrieren, da ich im Moment zu aufgewühlt war. Noch dazu hatte ich einen Ohrwurm vom Fantastic Beasts Soundtrack, den ich davor gehört hatte.
Seufzend schloss ich meine Notiz-App, in der ich meistens meine Geschichten schrieb, und betrachtete mein Hintergrundbild.
Dann schloss ich nicht nur alle zuletzt benutzen Apps, sondern auch meine Augen und lauschte der Musik. Ich kannte Doctor Who zwar (noch?) kaum und konnte mir nicht wirklich etwas darunter vorstellen, aber die Musik klang trotzdem schön.
Es kam mir ein bisschen so vor, als würde ich einschlafen. Der Englischtest morgen, das Gespräch eben mit meinen Eltern, alle anderen Sorgen - sie verblassten, traten in den Hintergrund.
Das nächste Lied fing an zu spielen. Es erklangen gerade mal die ersten Töne und ich erkannte schon den Soundtrack von Herr der Ringe. Automatisch fing ich an zu lächeln.
Und dann...
Dann öffnete ich meine Augen und fand mich im Auenland wieder. Ich lag auf einer saftig grünen Wiese, den Blick nach oben zum strahlend blauen Himmel gerichtet, an dem weiße Wölkchen vorbeizogen. Ein angenehmer Duft stieg mir in die Nase. Ich konnte nicht genau sagen, was es war - einfach Natur und Idylle. Kann ein Duft idyllisch riechen?, schoss es mir durch den Kopf. Wahrscheinlich nicht, doch das war ziemlich egal.
Ich hob meinen Kopf ein Stückchen und sah, in nur ein paar Metern Entfernung, ein Hobbit-Dorf mit den typischen Behausungen dieser Art.
Die runden Türen schienen mir geradezu entgegenzulächeln, jedenfalls wirkten sie einfach freundlich und einladend.
Ich stand auf und rannte los. Geradewegs auf die erste der Türen zu, und als ich davor stand, merkte ich, dass ich mich gar nicht bücken musste, um hineinzupassen - ich hatte die Größe eines Hobbits. Lustig, dachte ich. Wo ich mich doch sonst auch immer als Hobbit bezeichne.
Mein Blick glitt über den kleinen Vorgarten, der ehrlich gesagt einfach nur niedlich aussah. Ich klopfte an die grüne Holztür und wartete ab, ob jemand zu Hause war.
"Komme schon, einen Moment bitte!", ertönte eine Stimme von drinnen und jähe Vorfreude packte mich. Wer auch immer mich jetzt auf der Türschwelle begrüßen würde, ich mochte ihn auf jeden Fall.
"Wir haben Besuch, benimm dich jetzt bitte!", hörte ich die Stimme etwas leiser sagen, und dann öffnete sich die runde Tür.
Ich sah mich einem erfreut lächelnden Hobbit gegenüber, dessen hellbraunes Haar verwuschelt war. Er trug ein weißes Hemd und eine Hose samt Hosenträger, wie es sich für einen Hobbit gehörte.
"Oh, hallo! Freut mich, dich zu sehen! Komm doch herein! Ich wollte sowieso gerade Tee machen, das passt also perfekt!", sagte er mit einem freundlichen Lächeln und machte eine Handbewegung, um mir zu signalisieren, dass ich einfach an ihm vorbei in die Hobbithöhle gehen konnte.
"Bilbo Beutlin! Freut mich auch. Vielen Dank für die Einladung.", bedankte ich mich und betrat das Haus.
Bilbo kam nach mir herein und verschwand sogleich in der Küche, um den Tee zu holen. Ich sah mich derweil um und entdeckte als erstes etwas... nun ja, für eine Hobbithöhle sehr ungewöhnliches.
Ein ziegelroter Mini-Drache saß vor dem Kamin auf einem kleinen Teppich und spie - ehrlich gesagt ziemlich gelangweilt aussehend - kleine Flammen in die Luft. Entzückt musterte ich ihn und bemerkte so erst auf den zweiten Blick den Schädel, welcher auf dem Kaminsims stand.
Hmm, kannte ich den nicht von irgendwoher?
"Smaug, fackel nicht wieder den Teppich ab. Das meine ich ernst.", sagte da jemand. Es war nicht Bilbo, der werkelte noch immer in der Küche herum.
Ich suchte nach dem Besitzer dieser Stimme - und fand ihn auch recht schnell.
"Oh mein Gott, das ist ja-"
Ohne die Absicht, meinen Satz in absehbarer Zeit zu beenden, stürmte ich auf Fred Weasley zu und umarmte ihn einmal fest.
"Bei Merlins Bart!", murmelte ich leise und fing an zu strahlen.
"Ich wollte eigentlich gerade gehen.", sagte er rasch und ich löste mich von ihm. Er rief in Richtung Bilbo: "Danke für den Tee, ich muss leider los!" Er verabschiedete sich der Reihe nach von den Anwesenden.
"Auf wiedersehen, Smaugy. Auf wiedersehen, Bilbo. Auf wiedersehen, Mädchen, dessen Name ich nicht kenne." Und dann, als er schon fast aus der Tür war - er musste sich im Gegensatz zu mir hinunterbeugen, um hindurchzupassen - "Ciao, Sherlock Holmes."
Ich winkte ihm fröhlich zum Abschied.
Nee, warte.
Moment, was?
MORIARTY!
Das ist sein Zitat!
Moment...was?
Ich war verwirrt. Mit wem hatte er gesprochen? Hier war kein Sherlock Holmes anwes-
"Sherlock, wie möchtest du deinen Tee?", ertönte exakt in diesem Moment Bilbos Stimme und ich hörte Schritte in der Küche, die eindeutig nicht die eines Hobbits waren.
What the -
"Keinen Tee, Bilbo. Ich trinke Kaffee. Schwarz, zwei Stück Zucker."
"Oh mein Gandalf!"
Ich stürzte in die Küche, nur um in eine große, leicht gebückte Person in einem schwarzen Mantel hineinzurennen. Natürlich nutzte ich gleich die Gelegenheit und umarmte ihn erstmal.
"Und wer ist diese Hobbitdame, Bilbo?", fragte Sherlock.
Da konnte ich einfach nicht wiederstehen. "Jim Moriarty. Hiiii!", quietschte ich und versuchte, so detailgetreu wie möglich die Stimme des Consulting Criminal nachzuahmen.
"Nein, du bist nicht er.", widersprach der Detektiv, runzelte jedoch leicht die Stirn.
"Nope, bin ich nicht." Ich grinste und nahm die mir von einem freundlichen Hobbit angebotene Teetasse entgegen. "Was isn das für'n Tee?", fragte ich in Richtung Bilbo.
"Früchtetee.", gab der Hobbit zur Antwort. "Sherlock, ich hab keinen Kaffee, ich weiß nicht mal, was das ist. Trinkt Smaug auch etwas?"
"Ich kenn mich nicht mit Drachen aus.", meinte Sherlock schulterzuckend.
"Pff, nee, natürlich nicht! Du und Smaug werdet vom gleichen Schauspieler gespielt.", bemerkte ich.
"Und wie hieße der?"
"Benedict Cumberbatch."
"Bene- was?", meldete sich Bilbo. "Das klingt ja fast wie ein Elb, die haben ja solche komplizierten Namen. Zwergennamen sind dafür ganz kurz, aber man verwechselt sie leicht. Aber Hobbitnamen sind natürlich die schönsten."
"Also, ich finde, William Sherlock Scott Holmes ist ein schöner Name.", kommentierte ich und nippte an meinem Früchtetee. Lecker.
Sherlocks Blick, mit dem er mich musterte, wurde ziemlich misstrauisch. "Woher weißt du meinen Namen?"
"Naja", meinte ich schulterzuckend und trank noch einen Schluck Tee, "Du bist halt schon relativ berühmt Schrägstrich bekannt."
"Luna, geh bitte jetzt noch Zähneputzen! Danach kannst du von mir aus noch ein bisschen lesen.", vernahm ich plötzlich eine Stimme. Sie schien von weiter Ferne zu kommen. Und irgendwie jagte sie mir ein wenig Angst ein.
"Habt ihr das gehört?", fragte ich unruhig und griff aus einem Impuls heraus nach Bilbos Hand. Der Hobbit blickte auf unsere verschränkten Hände hinab und schüttelte den Kopf.
"Es ist...", begann Sherlock, und ich hielt mich mit der anderen Hand rasch an seinem Ärmel fest, "...die Realität."
Ein schreckliches Geräusch ertönte, kratzend, sodass ich mir die Ohren zuhielt. Bilbo und Sherlock schienen so, als könnten sie es nicht hören.
Ich kniff die Augen zusammen...
...und landete wieder auf meinem Bett. Inzwischen spielte mein Handy schon das nächste Lied.
"Luna! Hast du gehört, was ich gesagt habe?", tönte die Stimme meiner Mutter durchs Zimmer.
"Ja, hab's gehört. Ich geh ja gleich.", brummte ich. Diese verflixte Realität aber auch! Immer muss sie alles verderben. Ich wollte doch noch herausfinden, ob Johnlock real ist.
Aber naja.
Immerhin hatte ich ein paar schöne Minuten gehabt und konnte jetzt in Ruhe Zähneputzen gehen.
"Gleich ist jetzt aber vorbei! Du solltest wirklich mal ins Bett, also zum schlafen, meine ich!"
Gut, die Ruhe hatte sich erledigt.
Doch meine innere Ruhe, die immer noch ein bisschen im Auenland-Modus war, blieb ganz gechillt.
Denn der nächste Fantasy-Ausflug würde bestimmt bald kommen.

♡ Oneshots ♡Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt