Kapitel 75; Michael

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Das Display meines Handys verdunkelt sich, während ich erneut den Chat zwischen Manu und Zorn überfliege. Zwei Sekunden später ist es ganz erlischt und ich spiegle mich in der Reflektion des Bildschirms. Ich sehe mich selbst, wie ich mit gerunzelter Stirn auf mein Handy starre. Ich fahre meine Konturen nach und dann schnellt meine Aufmerksamkeit zu meinen Augen, versuchen zu ergründen, warum ich hier bin und was ich hier überhaupt mache. Lange halte ich den Blickkontakt mit mir selbst nicht stand. Laut seufzend lege ich den Kopf in den Nacken, dann lasse ich mich nach hinten aufs Bett fallen, mein Handy fest umschlossen in der Hand. Ich höre das leise Klicken einer Tür, die sich erst öffnet und dann schließt. Anstatt mich wieder aufzusetzen, bleibe ich liegen. Warum sollte ich nachsehen, wer da ist? Bisher kam nur eine einzige Person abgesehen von mir in dieses Zimmer und nur einen Moment später schiebt sich auch schon Maurice in mein Sichtfeld.

„Sie wissen, dass du das nicht geschrieben hast.“ Er ist noch nicht lange im Raum und weiß trotzdem schon, was mich bedrückt. Ich bin eben doch ein offenes Buch. Es ist fast schon ein Wunder, dass Zorn mich noch nicht durchschaut hat. Zugegeben, es war knapp, aber durch Manus Reaktion auf meine Nachrichten wird hoffentlich nicht einmal mehr Lust Zorn von meinem Verrat überzeugen können.

„Es hätte aber von mir kommen können“, wende ich leise ein. Immerhin konnte ich Manu zum Großteil unserer gemeinsamen Zeit überhaupt nichts abgewinnen und es wäre mir lieber gewesen, wenn er schnell wieder aus meinem Leben verschwunden wäre.

„Du hättest ihm nicht gesagt, dass er sich umbringen soll.“ Nein, aber ich hätte ihm andere verletzende Dinge an den Kopf geworfen, zudem hätte ich mich zu Beginn unserer Kooperation eher mit dem Verlust einiger Gegenstände als mit dem Verlust von Leben beschäftigt, wäre Patrick und Manuel etwas zugestoßen. Und ist das nicht dasselbe? Ist Desinteresse am Leben anderer nicht genauso, als würde ich ihnen den Tod wünschen? In beiden Fällen ist das Leben des Gegenübers vollkommen egal.

Maurice seufzt und dann beobachte ich ihn dabei, wie er um das Bett herum läuft und sich neben mich auf die Bettkante setzt. Ich widerstehe dem Drang danach, mich aufzurichten und bleibe einfach weiter liegen. Unsere Blicke kreuzen sich und ich meine, den Hauch eines Lächelns auf seinem Gesicht zu erkennen. Für einen kurzen Moment wirkt es fast so, als wäre alles normal. Wäre da nicht dieses stechende Gefühl, jedes Mal, wenn ich Maurice ansehe, welches mir bewusst macht, dass noch viel zu viel zwischen uns unausgesprochen ist.

„Sie hatte wirklich ihren Spaß dabei, Manu so fertig zu machen“, unterbreche ich die Stille und schließe meine Augen, um den Blickkontakt zu beenden. Sofort sehe ich Zorns belustigten Gesichtsausdruck vor mir, während sie in meinen Namen mit Manu geschrieben hat. „Wie glaubst du, würde sie mich umbringen, wenn sie davon erfahren sollte, dass ich doch noch mit Manu und Patrick kooperiere?“

„Mhm, schwer zu sagen.“ Ich spüre, wie Maurice sein Gewicht verlagert. Dann streift etwas meinen Arm und als ich das nächste Mal meine Augen öffne, liegt er neben mir und mustert nachdenklich die Decke. „Entweder würde sie's sofort über die Bühne bringen. Oder sie wartet, bis die anderen beiden dabei sind.“ Er dreht sich zu mir. „Was wäre dir lieber? Alleine sterben oder mit deinen Freunden drum herum?“

„Kommt auf die Situation an. Wenn ich umgebracht werde, dann lieber alleine.“ Jetzt bin ich derjenige, der an die Decke starrt. Eine weiße Raufasertapete. In der Mitte, genau über dem Fußende, eine hässliche, kreisrunde Lampe, die sicherlich nicht mehr als zwanzig Euro gekostet hat. Aber dorthin sehe ich lieber als zu Maurice, der nur wenige Zentimeter neben mir liegt und in mir jedes Mal bittersüße Erinnerungen aufsteigen lässt, die nur von multiplen Fragezeichen überdeckt werden. Ich bin froh, wenn wir das hier hinter uns haben. Aber was passiert danach? Was wird dann aus meinem Vorhaben, Maurice aus meinem Leben zu verbannen? Er wird die Möglichkeit bekommen, sich zu erklären, sich zu rechtfertigen. Doch es wird trotzdem nicht rückgängig machen, was passiert ist. Komme ich damit klar, Maurice endgültig zu verlieren? Vermutlich nicht. Aber es geht nicht anders. Wenn das alles vorbei ist, werden sich wohl auch unsere Wege trennen müssen. Das ist besser für uns alle.

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