Kapitel 92; Manuel

203 27 38
                                    

„Und hier werden wir nächste Woche weitermachen“, sagt der Dozent und damit ist die Vorlesung endlich beendet. Diese Veranstaltung ist einfach so scheiße langweilig, dass ich fast einschlafe. Ich packe meine Sachen zusammen und bewege mich in Richtung der Mensa. Ich grinse, als ich Micha an einem der Tische erblicke. Sofort setzte ich mich zu ihm.

„Gut, dich wieder in der Uni zu sehen“, lasse ich ihn wissen und stelle mein Zeug ab. „Nicht abhauen, ja?“

„Keine Sorge, bin auch erst seit kurzem hier, geh dir dein Essen holen.“ Perfekt, dann muss ich nicht alleine Essen. Palle ist nämlich momentan im Café, Sandra hat gerade eine Vorlesung und den beiden Turteltauben lasse ich lieber ihre Zweisamkeit. Ich stelle mich in die Schlange, wähle mein Gericht aus und begebe mich dann wieder zu Michas Tisch.

„Ist Maurice auch hier?“, frage ich vorsichtig und er schüttelt seinen Kopf.

„Nein, Maurice ist zuhause“, abwesend stochert Micha mit der Gabel in seinem Essen rum. Ich sehe ihn eine Weil dabei zu, ehe ich mich räuspere.

„Aber wenn du hier bist, geht's ihm besser, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du ihn anders alleine gelassen hättest“, abwartend sehe ich zu Micha. Gedanken strömen zu mir, beantworten meine Frage, aber ich tue so als hätte ich nichts davon mitbekommen.

„Ja schon, also er macht sich mittlerweile wieder selbst was zu essen und letzens hat er sich eine Folie seiner Lieblingsveranstaltung angesehen“, Micha lächelt leicht. „Viel reden tut er nicht, aber er ignoriert mich auch nicht. So richtig gut geht es ihm trotzdem nicht“, seufzt Micha und trinkt dann etwas aus seinem Glas.

„Mhm“, mache ich und spieße mit meiner Gabeln die Nudel auf, die sich auf meinem Teller befinden, um sie zu essen. „Das ist doch schon mal was“, sage ich nachdem ich die Nudeln runtergeschluckt habe.

„Ja schon, aber es tut trotzdem weh ihn so zu sehen.“

„Ich weiß.“

Damit ist das Thema beendet und wir reden über unsere Veranstaltungen und Micha heult rum, weil er jetzt den Bus nehmen muss. Ich lache, gebe ein paar rich-kid-Bemerkungen von mir und er grinst mich an. Als wir fertig gegessen haben, bringen wir die Tabletts weg, dann verlassen wir die Cafeteria und unsere Wege trennen sich, denn ich hab gerade meine letzte Vorlesung für heute gehabt und Micha hat noch zwei vor sich.

„Na dann viel Spaß noch“, wünsche ich ihm amüsiert und er verdreht die Augen.

„Mhm, danke.“

„Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, ja?“, werde ich plötzlich wieder ernst. „Also wegen Maurice meine ich. Du bist nicht alleine und wenn Palle und ich irgendwas tun können, sag Bescheid.“

„Mach ich, danke Manu“, er lächelt mir zu, dann verabschiedet er sich von mir und ich mache mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Ich entschließe mich dazu nicht direkt, in die Wohnung zu fahren, sondern erst noch einkaufen zu gehen. Ich brauche nur ein paar Getränke und irgendwas Süßes, mehr nicht. Ich gehe gemächlich durch die Gänge des Supermarktes und stoppe dann vor einem Regal. Eigentlich war ich schon auf dem Weg zur Kasse, aber jetzt betrachte ich zögerlich die Artikel in dem Regal. Soll ich welche kaufen? Palle und ich sind jetzt seit gut zwei Wochen zusammen, aber das Thema kam bis jetzt noch nicht auf. Ob ich ihn darauf ansprechen soll? Entstehen solche Situationen nicht irgendwann von selbst? Aber ich kann auch ein bisschen nachhelfen, also greife ich nach eine Packung Kondome und gehe dann zur Kasse. Glücklicherweise passen meine Einkäufe in meinen Rucksack, sodass ich keine zusätzliche Tasche brauche. Ich verlasse den Laden und beschließe das kurze Stück zur Wohnung zu Fuß zu gehen.

Ich bin froh, als ich endlich die warme Wohnung betrete. Draußen ist es echt schon richtig kalt, vielleicht gibt es dieses Jahr auch mal wieder Schnee an Weihnachten. Ich ziehe meine Jacke aus und gehe zur Küche um meine Einkäufe zu verstauen, also abgesehen von den Kondomen, die versteck ich besser in meinem Zimmer, was ich auch sofort tue. Als ich die Küche wieder betrete steht Palle vor dem geöffneten Kühlschrank.

„Du bist schon hier?“, frage ich überrascht. Eigentlich müsste er doch noch im Café sein, oder nicht?

„Was heißt denn hier "schon", Manu? Meine Schicht hat vor knapp zwei Stunden geendet, natürlich bin ich zu hause“, und ich ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche. 18:03 wird mir auf dem Display angezeigt. Krass, ich war wohl länger im Supermarkt als ich dachte.

„Oh“, mache ich und zucke mit den Schultern. „Ist ja auch egal. Hast du Hunger?“, wechsel ich das Thema. Palle nickt und deutet schwach in Richtung Kühlschrank.

„War schon auf der Suche nach was Essbarem.“ Jetzt dreht er sich wieder in Richtung des Kühlschranks und öffnete die Schubladen, zieht dann eine Tubberdose hervor. „Mhm, das reicht nicht für uns beide“, teilt er mir mit und hält mir im selben Moment die geöffnete Dose hin, damit ich selbst sehen kann, dass die paar Kartoffeln definitiv nicht reichen werden.

„Bratkartoffeln mit Spieglei und Spinat?“, schlage ich vor und öffne den Gefrierschrank, um darin nach dem Spinat zu suchen.

„Klingt gut“, stimmt Palle mir zu und sucht sich ein Schneidebrett, um die Kartoffeln darauf mit einem Messer in Scheiben zu schneiden. Währenddessen gebe ich kleinen gefrorenen Spinatportionen in einen Topf und drehe die Herdplatte an.

„Ich hab Micha in der Uni getroffen.“ Ich rühre mit einem Holzlöffel den zum größten Teil noch tiefgefroren Spinat um, auch wenn es wenig bringt. In unregelmäßigen Abständen höre ich wie das Messer das Schneidebrett berührt, wenn Palle eine Kartoffeln in Scheiben schneidet.

„War Maurice auch da?“, Palle klingt hoffend und ich hasse es jetzt schon, ihm sagen zu müssen, dass Maurice nicht da war.

„Nein“, kurz und schmerzlos. Palle sagt nichts und das Geräusch, wenn das Messer das Schneidebrett berührt, verstummt auch. „Aber es geht ihm zumindest etwas besser“, rede ich schnell weiter, während ich mich zu Palle drehe, der die letzte ganze Kartoffel betrachtet.

„Etwas besser?“, hakt er nach und setzt seine Hand wieder in Bewegung, um die letzte Kartoffel in Scheiben zu schneiden.

„Micha meinte, Maurice würde sich wieder selbstständig etwas zu essen machen und, dass er sich wohl Folien zu einem seiner Lieblingsveranstaltungen angesehen hat“, berichte ich ihm grob was ich in Erfahrung gebracht habe. Palle schweigt. Relativ lange, sodass es mich verunsichert, aber bevor ich ihm das mitteilen kann, erhebt er seine Stimme.

„Es wird noch lange dauern, bis es ihm wieder gut geht, oder?“ Die Art und Weise wie er die Frage betont, sorgt dafür das sich alles in mir zusammenzieht. Ich würde ihm so gerne sagen, dass es nicht mehr lange dauert bis er den Maurice, den er kennt, wieder hat, aber erstens kann ich ihn nicht anlügen und zweitens weiß ich nicht, ob der Maurice, den wir kenntgelernt haben, der richtige ist. Jetzt nicht weil er uns nur was vorgespielt hat, sondern weil ich glaube, dass er sich selbst was vorgemacht hat. Vor allem im Bezug auf Micha, denn Maurice kann mir nicht erzählen, dass da nichts ist. Er ist nur am Abblocken, denkt nicht darüber nach oder verdrängt es. Die Frage ist nur warum er das tut, wovor hat er Angst?

„Ja, es wird lange dauern“, antworte ich Palle und wende mich wieder meinem Kochtopf zu. Wir schweigen, bis wir unser Essen zubereitet haben. Am Esstisch kommen dann andere Themen auf. Wir reden über die Uni und irgendwann schweifen wir davon ab und reden darüber, dass es doch krass ist, wie schnell die Wochen vergangen sind, nicht mehr lange und unser erstes Semester ist um. In ein paar Wochen ist auch einfach schon Weihnachten. Es ist doch so krank wie schnell die Zeit vergeht. Ich sollte wohl demnächst Geschenke kaufen.

Hast du eigentlich auch genug von mir? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt