Kapitel 38; Manuel

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„Ich bezweifle ja, dass er ihn noch überreden kann“, offenbare ich Palle meine Gedanken. Ich sitze am Wohnzimmertisch und habe eine Tasse Tee vor mir, während Palle seit geraumer Zeit unruhig durch den Raum geht, sich dann kurz hinsetzt, nur um auf seinem Platz hin und her zu rutschen und sich letztendlich doch wieder aufrichtet.

„Doch, doch bestimmt“, er versucht zuversichtlich zu klingen, aber durch sein im Raum hin und her gehen, verblasst die Wirkung seiner Worte.

„Mhm, du bist sehr überzeugend grade“, lasse ich ihn wissen und beobachte den leichten Wasserdampf, der von dem Tee aufsteigt. Ich warte lieber noch etwas, bis er etwas abgekühlt ist, sonst verbrenne ich mich nur und da hab ich keinen Bock drauf. Palle erwidert nichts, sondern geht weiter im Raum auf und ab. Und ab und auf und auf und ab und- „Du machst mich ganz kirre, setzt dich hin!“, verlange ich bemüht ruhig und er kommt meiner Aufforderung nach. Kurz sitzt er still, aber dann rutscht er auf dem Stuhl hin und her und ich drehe gleich noch durch, aber dann vibriert sein Handy und sofort zieht er es aus seiner Hosentasche und liest die Nachricht. Nach seinem Grinsen zu urteilen, hat Maurice sich wohl geschlagen gegeben. Dann tippt er auf dem Display rum, wahrscheinlich um Maurice zu antworten.

„Morgen kommen die beiden nochmal vorbei und dann klären wir wohl alles weitere ab“, informiert er mich schnell, während er sein Handy wegsteckt. Toll. Das heißt ja dann, dass ich die beiden wieder ertragen muss. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass Maurice die Zeit stoppt. Ich traue ihm immer noch nicht. Und dann ist Michael durch sein Portemonnaie noch immun gegen den Zeitstopp und ihm traue ich noch viel weniger.

„Mhm“, mache ich und greife nach dem Tee, der wahrscheinlich immer noch viel zu heiß ist. Ich nippe an dem Getränk. Geht eigentlich von der Temperatur, vielleicht noch ein klein bisschen zu heiß, aber das ist in Ordnung. Ich trinke ein paar Schlücke und stelle die Tasse dann wieder ab. Palle mustert mich. Ich sehe zu ihm. „Was ist?“

„Nichts, nichts“, antwortet er ausweichend. Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe und er seufzt. „Würdest du wieder bei mir schlafen?“ Ja, also nein ich meine- Das ist nicht gut. Wenn ich jetzt wieder bei ihm schlafe, werde ich wohl jede Nacht bei ihm schlafen und das kann ich nicht. Ich kann doch nicht immer an ihn gekuschelt einschlafen, schließlich sind wir beste Freunde und das überschreitet doch eine Grenze, oder? Klar, es ist wegen den Gegenständen, aber trotzdem ist es noch weird und es wird immer weirder werden. Was wenn ich mich zu sehr daran gewöhne? Nein, ich kann nicht bei ihm schlafen. Ich muss jetzt einmal standhaft bleiben.

„Nein“, sage ich. „Du musst doch jetzt keine Angst mehr haben, schließlich ist dein Plan doch so wundervoll“, vertusche ich meine wahren Gründe und es scheint zu funktionieren.

„Du bist doch auch dafür gewesen!“, argumentiert Palle und ich grinse nur.

„Ja, aber das ändert aber nichts daran, dass ich es immer noch bescheuert finde“, sage ich schulterzuckend und trinke schnell meine Tasse Tee leer, bevor ich aufstehe. „Schlaf gut“, wünsche ich ihm und gehe dann in mein Zimmer. Ich höre nur wie er perplex ein „du auch“ murmelt, bevor ich die Tür hinter mir schließe und lautlos ausatme. Das muss sein. Wenn ich jetzt wieder bei ihm schlafen würde, liege ich irgendwann nur noch in seinem Bett. Was weird wäre. Sehr weird. Das machen Freunde nicht. Auf jeden Fall nicht jede Nacht. Ich ziehe mich träge um und lege mich in mein Bett. Es ist etwas kalt, aber das geht schon klar. Ich schließe meine Augen und will schlafen, aber Gedanken rasen durch meinen Kopf. Was wenn er doch Angst hat? Was wenn er mich gerade doch braucht? Wieso ist das das einzige was gerade durch meinen Kopf rauscht? Sollte ich mir nicht eher Gedanken um den Zeitstopp machen? Wie werden die beiden dafür sorgen, dass sie in die Zeitung kommen? Was wenn Gluttony schon längst von Zorn umgelegt wurde? Das wären berechtigte Fragen, aber nein, alles woran ich denken kann ist Palle, der jetzt vermutlich richtig scheiße schlafen wird und das ist einfach meine Schuld, weil- Stopp. Es ist nicht meine Schuld, es ist die Schuld des Rings. Ich bin nicht dazu verpflichtet jeden Abend neben ihm zu liegen, damit er sich besser fühlt, zumal mich das alles ja eh so unglaublich nervös macht. Das war die richtige Entscheidung so. Mit den Gedanken schlafe ich ein.

Als ich die Augen wieder öffne ist es noch recht dunkel draußen. Schlafen kann ich jetzt aber irgendwie auch nicht mehr, also stehe ich missmutig auf. Als ich schlucke spüre ich ein leichtes Kratzen im Hals. Na toll, wehe ich erkälte mich jetzt. Vorsichtshalber trinke ich lieber mal eine heiße Zitrone, das wird meinen Hals guttun. Ich schnappe mir was zum Anziehen und verlasse mein Zimmer.

„Morgen“, sagt Palle plötzlich und ich mache einen Satz zur Seite, meine Hand krallt sich in den Stoff meines Hoodies. Palle lacht.

„Erschreck mich gefälligst nicht so!“, motze ich, was Palle dazu bringt noch lauter zu lachen. Na, danke. Wortlos gehe ich ins Bad und gehe schnell duschen. Gut 15 Minuten später, stehe ich angezogen im Wohnzimmer. „Wieso bist du überhaupt wach?“, frage ich. Ein Blick auf die Uhr im Badezimmer hat mir verraten, dass es gerade mal 7:46 ist.

„Konnte nicht schlafen“, sagt er und shit, ich hätte doch bei ihm schlafen sollen.

„Es tu-“, was tue ich hier? Warum soll ich mich dafür entschuldigen? Ich räuspere mich etwas. „Wann wollen Maurice und Michael vorbeikommen?“, frage ich ohne weiter auf seinen schlechten Schlaf einzugehen.

„Wahrscheinlich so gegen Mittagszeit.“

„Okay“, ich gehe in die Küche. „Hast du schon gefrühstückt?“ Palle schüttelt seinen Kopf und folgt mir in die Küche. „Bock auf Strammen Max?“ Palle nickt und schon fange ich an unserer Essen zuzubereiten. Auch den Wasserkocher habe ich angemacht und es dauert nicht lange bis wir schweigen mit unserem Essen vor dem Fernseher sitzen und uns eine Serie ansehen. Als wir mit essen fertig sind, verziehe ich mich mit einer dampfenden Tasse heiße Zitrone bewaffnet in mein Zimmer, um mich an ein paar Uni Aufgaben zu setzen.

Erst als es klingelt sehe ich von meinen Notizen auf. Oh, dann ist es wohl Mittag, was? Schnell werfe ich einen Blick auf mein Handy: 13:15. Ich stehe auf und trotte ins Wohnzimmer. Tatsächlich stehen Maurice und Michael in unserer Wohnung und ich sehe gerade wie er seine Nummer mit der von Palle tauscht und hasse es. Michael scheint auch nicht begeistert zu sein. Ich gehe auf die Gruppe zu und begrüße die beiden halbherzig. Ein paar Augenblicke später sitzen wir auf dem Sofa.

„Also wie genau wollt ihr Aufmerksamkeit auf euch ziehen?“, frage ich die beiden.

„Lass das mal unsere Sorge sein“, meint Michael grinsend und seine Gedanken, die zu mir strömen sind teilweise besorgniserregend, aber ich sage nichts, denn Aufmerksamkeit werden seine Ideen definitiv erregen. Maurice schweigt. So ganz überzeugt, scheint er nicht zu sein.

„Okay, aber sagt ihr wenigstens wann ihr das machen wollt?“, mischt Palle sich ein.

„Ja, gleich heute in knapp einer Stunde“, Michael grinst mich an und mir gefällt es definitiv nicht, dass er gegen den Zeitstopp immun ist.

„Okay“, ich seufze. Ich bereue jetzt schon was ich gleich sagen werde, aber es muss sein. „Wir beide sollten auch Nummern tauschen.“ Michael sieht verblüfft zu mir. Was soll das denn? „Das soll bewirken, dass wir uns erreichen können falls was passiert. Es gefällt mir auch nicht, aber Sicherheit und so.“ Aw, liegt dir etwas an meiner Sicherheit? Ich bin gerührt. Die Art und Weise wie spöttisch er es klingen lässt, bringt mich dazu meine Augen zu verengen. Michael grinst spöttisch, zieht aber dann sein Handy hervor und fragt mich nach meiner Nummer, um mich als Kontakt einzuspeichern. Ich mache das gleiche mit ihm und Maurice. Danach verabschieden die beiden sich wieder. „Wir haben viel vor!“, hat Michael lachend von sich gegeben und der Gedanke von Michael der eine ganze Stunde tun kann was er will, löst ein mulmiges Gefühl in mir aus. Naja, wird schon schiefgehen.

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