Kapitel 6; Manuel

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Ich liege auf Palles Bett und warte darauf, dass er mit dem Essen vom Lieferanten wieder kommt. Den Film, den wir uns ansehen, hat er vorübergehend pausiert während er unsere Bestellung entgegen nimmt. Endlich öffnet sich die Zimmertür und Palle betritt mit wundervoll duftender Pizza den Raum.

„Kannst wieder auf Play drücken“, sagt er in meine Richtung, ehe er die Tür hinter sich schließt. Ich schnappe mir die Fernbedienung und drücke auf den Playbutton. Palle kommt aufs Bett zu, setzt sich neben mich und reicht mir einen der beiden Pizzakartons, den ich sofort hungrig öffne. Schweigend genießen wir unser Mittagessen und schauen den Film. Als die Credits über den Bildschirm laufen, vibriert mein Handy und ich ziehe es aus meiner Hosentasche. Eine Email wird mir angezeigt und ungläubig starre ich auf den Header, der Mail: Zulassungsbescheid. Sofort drücke ich auf die Mail und lese sie. Ich kann mein Glück kaum in Worte fassen. Die Uni nimmt mich auf und das Stipendium wird die Gebühren für mich bezahlen.

„Was ist?“, fragt Palle und ich reiche ihm wortlos mein Handy und höre im nächsten Moment laute und stolze Gedanken, die aus ihm heraussprudeln. Er ist stolz auf mich und das sorgt dafür, dass ich mich gleich noch etwas mehr freute. „Manu, das ist großartig!“ Bevor ich antworten kann, wirft Palle sich gegen mich und umarmt mich überglücklich. Lächelnd erwidere ich die guttuende Umarmung, aber dann fällt mir etwas ein.

„Was ist mit dir?“, frage ich leise und spüre wie Patrick sich etwas von mir löst. Wenn ich an der Universität angenommen wurde und Palle nicht, war das alles irgendwie blöd. Wie würde ich denn bitte überleben können ohne den Jungen, der ständig darauf achtet, dass ich genug esse und mich einfach aufbaut, wenn ich Trübsal blase. Ich hatte mich mit dem Gedanken angefreundet zusammen mit Palle in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen und jetzt zerbrach dieser Traum plötzlich. Betrübt schaue ich zu ihm, aber er strahlt mich immer noch freudig an.

„Ich wurde schon an der Uni angenommen“, erklärt er und ich sehe ihn irritiert an. Was? Wie er wurde schon angenommen? Warum zur Hölle hat er mir das nichht gesagt! Bevor ich meiner Empörung Luft machen kann, spricht Palle weiter. „Wenn ich es dir gesagt hätte, hättest du dich wieder so erzwungen für mich gefreut und du hättest dir wahrscheinlich Druck gemacht, weil du dann erst recht angenommen werden wolltest. Ich kenn dich doch Manu. Du hättest dich für mich gefreut, aber zeitgleich hätte es dich fertig gemacht.“ Entschuldigend sieht er zu mir und ich muss zugeben, dass er Recht hat. Es wäre so gekommen wie er es angenommen hat. Ich wäre am Boden zerstört gewesen und hätte mich so zusammenreißen müssen mich für ihn zu freuen, aber ich hätte mich für ihn gefreut. Er hätte es mir sagen sollen!

„Trotzdem hättest du es mir ruhig sagen können“, sage ich eingeschnappt und drehe meinen Kopf demonstrativ weg.

„Ach, komm Manu, bitte versteh doch, dass ich das zu deinem Wohl verheimlicht habe“, Palle klang flehend und sah mich vermutlich mit seinem es-ist-unmöglich-mir-böse-zu-sein-Blick an. Wenn ich jetzt zu ihm sehen würde, würde ich mich davon einlullen lassen. „Bitte“, er zog das Wort unnatürlich in die Länge und jetzt sehe ich doch zu ihm, was sich natürlich als Fehler raus stellte. Wie kann ein Mensch nur so einen Unschuldblick drauf haben, bei dem man nicht anders kann, als ihm alles zu verzeihen?

„Okay, dir sei verziehen“, gebe ich nach und Palle grinste, dann springt er plötzlich auf. Interessiert beobachte ich ihn dabei wie er sich an seinen Schreibtisch setzt und seinen PC hochfährt. „Was hast du vor?“, frage ich während ich aufstehe und mich neben ihn stelle.

„Wir wurden beide angenommen, also schauen wir uns jetzt Wohnung an“, erklärt Palle mir und deutet in eine Richtung im Raum. „Da am Fenster steht ein Stuhl“, sofort gehe ich seiner Aufforderung nach, schnappe mir den Stuhl und platziere ihn neben Palle, um mich zu darauf zu setzen. Mittlerweile leuchet das Emblem des Computerherstellers auf und ich drehe meinen Kopf zur Seite, als Palle sein Passwort eintippt. „Kannst wieder gucken“, teilt er mir mit und ich richte meinen Blick auf den Bildschirm auf dem sich jetzt der Hintergrund mit den ganzen Icons aufbaut. Palle drückt auf den Internetbrowser seines Vertrauens und startet die Wohnungssuche damit den Ort und die Größe in die Suchleiste einzutippen. Unzählige Suchergebnisse werden uns angezeigt und Palle bewegt den Cursor seiner Maus optimistisch auf die erste Anzeige. „Drei Zimmer Wohnung plus Bad, ist doch perfekt“, meint er im nächsten Moment.

„Perfekt?“, hat der Junge den Verstand verloren? „Hast du dir mal den Preis angesehen? Das können wir uns nicht leisten und außerdem ist die Lage mega beschissen, da brauchen wir ja ewig bis wir bei der Uni sind.“

„Oh?“, amüsiert richtet Palle seinen Blick auf mich. „Du weißt welche Lage gut ist und welche nicht? Hat da etwa jemand schon nach Wohnungen gesucht?“, ertappt starre ich auf die Tastatur und so langsam glaube ich, dass Palle extra gesagt hat, dass er die erstbeste Wohnung perfekt findet, damit ich mich verrate. Es war halt ein schöner Traum gewesen eine Wohnung weit weg von meiner Familie zu haben und dann auch noch mit Palle zusammenzuleben.

„Vielleicht hab ich das getan, ja“, gestehe ich und wieder hatte Palle einen impulsiv stolzen Gedanken, der sich darauf bezieht, dass es ihn mit Stolz erfüllt, dass ich eigenständig nach Wohnungen gesucht habe, anstatt von Anfang an aufzugeben. „Und jetzt lass uns bitte weiter suchen. Wir brauchen unbedingt eine Wohnung.“ Palle bewegt den Cursor der Maus in Richtung der gespeicherten Tabs und ich muss grinsen. Natürlich hat er nach Wohnung geschaut, vermutlich sogar schon seit er seine Zulassung hatte. Glück durchströmt mich, weil alle Wohnungen, die er gespeichert hat, für 2 Personen sind. Palle glaubt einfach immer an mich.

„Die Wohnung“, sagt er und deutet auf den Tab, „und die Wohnung“, er deutet auf einen weiteren Tab, „finde ich von Lage, Größe und Preis am besten.“ Schnell schaue ich mir die Wohnungen an und ja sie hatten eine gute Lage Platz für zwei und waren in unserer Preisklasse. Trotzdem schaue ich mir die anderen Tabs noch an, komme allerdings schnell zu dem Entschluss, dass nur die ersten beiden infrage kommen, da es einfach die besten Wohnungen für unsere Preisklasse sind.

„Die Wohnung wären wirklich super“, teile ich Palle mit und dieser nickt. Er zieht sein Handy aus der Tasche und tippt die Nummer der ersten Wohnung ein.

„Am besten machen wir gleich einen Besichtigungstermin für beide Wohnungen. Wir sollten sie uns so schnell wie möglich ansehen, sonst sind sie weg. Kannst du morgen?“, Palle blickt kurz zu mir und ich nicke, dann drückt er den grünen Anrufbutton und vereinbart einen Termin. Dasgleiche macht er mit der anderen Wohnung.

„Und sollen wir uns schon Jobangebote ansehen?“, frage ich und Palle schüttelt den Kopf.

„Ich glaube das wäre vor Ort leichter, außerdem müssen wir erstmal eine Wohnung bekommen“, sagt er und natürlich hat er da recht. Morgen sehen wir uns Wohnungen an. Ich kann es kaum noch abwarten.

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