Kapitel 35; Michael

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Ein schriller Ton reißt mich aus dem Schlaf. Ich brauche ein paar Sekunden, um die Quelle zu orten. Mein Handy liegt auf dem Nachttisch und spielt meinen ehemaligen Lieblingssong ab. Es war ein Fehler, ausgerechnet den Song als Weckton zu nutzen. Ich kann das Lied einfach nicht mehr hören. Wie schafft Maurice es überhaupt, einfach weiterzuschlafen? Er hat sich kein Stück bewegt. Er liegt immer noch auf meinem linken Arm, während sein eigener auf meiner Brust liegt. Ungelenk taste ich nach meinem Handy, um den Wecker auszuschalten. Meine Fingerspitzen stoßen gegen den unteren Rand des Handy und ich strecke mich etwas mehr, um es greifen zu können. Geschafft. Ich schalte den Wecker aus und lasse meine Hand seufzend sinken. 8.30 Uhr und ich will einfach nur weiterschlafen, so wie Maurice. Nach dem ganzen Stress gestern kann er den Schlaf aber wirklich brauchen.

Nachdem ich das Handy wieder zurück gelegt habe, versuche ich vorsichtig Maurice' Arm von mir runterzuschieben, ohne ihn zu wecken. Eigentlich will ich überhaupt nicht aufstehen, aber ich muss zur Uni, allerdings verhindert Maurice das. Mit jedem Millimeter, um den ich seinen Arm verschiebe, festigt sich sein Griff und er drückt sich näher an mich. Seufzend stoppe ich in meiner Bewegung. Wenn das so weitergeht, hab ich Maurice gleich doch aufgeweckt. Trotzdem muss ich irgendwie aufstehen, also versuche ich jetzt, seinen Arm anzuheben. Maurice quittiert das mit einem leisen Grummeln und ich lasse seinen Arm sinken. Scheint so, als würde ich doch nicht zur Uni gehen. Jedenfalls nicht, ohne Maurice aufzuwecken und das kommt überhaupt nicht in Frage. Ich bin froh, dass er überhaupt schläft. Die Sache gestern Abend hat nicht nur ihn beunruhigt, sondern mich auch. Klar, manchmal können Menschen halt nicht schlafen, vor allem nach so einer Erkenntnis ist das kein Wunder. Aber bei Maurice ist das was anderes. Der Junge kann immer schlafen.

Das einzig gute daran ist, dass Maurice sich gestern von sich aus an mich gekuschelt hat. Und auch jetzt ist er derjenige, der an mir hängt und nicht andersrum. Auch wenn die Umstände besser hätten sein können, genieße ich seine Nähe gerade sehr, obwohl mein Arm, auf dem Maurice liegt, langsam taub wird. Aber dadurch, dass Maurice sich ziemlich an mich gedrückt hat, kann ich ihn zum Glück einige Zentimeter bewegen, was ich auch tue, um Maurice ebenfalls etwas an mich zu drücken. Ich könnte mich wirklich daran gewöhnen, so zu schlafen. Gerade jetzt, wo ich sowieso nicht aufstehen kann, bleibt mir eh nicht viel übrig, außerdem bin ich müde.

Ich drehe mich also leicht und lege meinen rechten Arm ebenfalls um Maurice. Und wie immer, wenn Maurice neben mir schläft, dauert es nicht lange, bis ich selbst wieder einschlafe. Knapp drei Stunden später werde ich erst wieder wach und dieses Mal entscheide ich mich schweren Herzens wirklich dazu, aufzustehen. Noch mehr kann ich jetzt nämlich nicht schlafen, sonst bin ich den ganzen Tag komplett verballert.

„Hey Maurice. Lass mich mal bitte aufstehen.“ Von ihm kommt keine Reaktion, weswegen ich etwas an ihm rüttel. Einige Sekunden später öffnen sich seine Augen und vorwurfsvoll mustert er mich.

„Musstest Du mich jetzt wirklich aufwecken?“, fragt er und reibt sich die Augen.

„Sorry, aber irgendwann müssen wir auch mal aufstehen“, entgege ich gelassen. Da kann er jetzt so genervt sein, wie er will. Ich habe meine Vorlesung schon für ihn sausen lassen, irgendwann ist auch mal gut.

„Du vielleicht, ich nicht“, er fängt an zu schmollen und kopfschüttelnd stehe ich auf, um ins Bad zu gehen. Als ich wieder in mein Zimmer gehe, um zu sehen, ob Maurice noch dort ist, sehe ich, wie er sich auf dem Bett zusammengerollt hat und vor sich hindöst. Hoffnungslos, der Junge. Etwas belustigt drehe ich mich um und laufe in die Küche, um Frühstück vorzubereiten. Die paar Minuten lasse ich Maurice jetzt noch.

Ich stelle gerade eine Tasse gefüllt mit Tee für Maurice auf dem Tisch ab, als ich hinter mir Schritte höre. Maurice kommt in die Küche getappst und lässt sich auf einen der Stühle sinken.

„Danke, dass ich bei dir schlafen durfte“, Maurice lächelt mich an, während ich mich mit einer Tasse Kaffee bewaffnet ebenfalls an den Tisch setze.

„Immer wieder gerne“, rutscht mir raus und schnell hänge ich ein „Wenn's dir schlecht geht, bin ich für dich da“ an. Hat es das irgendwie gerettet? Wahrscheinlich nicht. Trotzdem schenkt Maurice mir ein kleines Lächeln.

„Tut mir übrigens leid, wegen deiner Vorlesung meine ich. Du hättest mich da schon wecken sollen“, sein Lächeln fällt etwas zusammen. Ihm ist also aufgefallen, dass ich eigentlich schon viel früher hätte aufstehen müssen.

„Alles in Ordnung. Die paar Extrastunden Schlaf konnte ich genauso gebrauchen, wie du. Außerdem wurde die Vorlesung ja aufgezeichnet, also kann ich sie mir jederzeit ansehen“, beruhige ich ihn. So schlimm ist das ganze jetzt auch nicht.

„Ja, ich weiß, aber du bestehst sonst auch immer darauf, zu jeder Vorlesung zu gehen“, er nimmt einen Schluck aus seiner Tasse und seufzt dann leise.

„Ach was. Ich kuschel viel lieber mit dir, als zur Uni zu fahren.“ Ich lache über meinen eigenen Witz. Es stimmt zwar, aber gerade war das nicht ernst gemeint. Maurice fängt ebenfalls an zu lachen und ich warte, bis er sich beruhigt hat. Das ziehende Gefühl ignoriere ich. Ich habe einen Witz gemacht, also sollte ich mit nichts anderem rechnen.

„Idiot“, er versteckt sein Grinsen, indem er wieder etwas trinkt. Wir frühstücken und als wir fertig sind, stehe ich auf, um den Tisch abzuräumen.

„Soll ich dir helfen?“, fragt Maurice und steht auf, ohne meine Antwort abzuwarten.

„Nein, ich mach das schon alleine“, bestimme ich und nehme ihm den Teller ab, denn er gerade in die Hand genommen hat.

„Bist du dir sicher?“

„Klar.“

„Okay“, Maurice verlässt die Küche und ich mache damit weiter, alles wieder wegzuräumen. Anschließend stelle ich das Geschirr, welches wir benutzt haben, in die Spülmaschine und schalte sie an. Ich nehme gerade meine Hand vom Knopf, da kommt Maurice wieder in die Küche gestürmt.

„Patrick und Manu wollen sich mit uns treffen“, eröffnet er mir und zeigt mir die Nachricht, die Patrick ihm vor einiger Zeit geschrieben hat. Warum genau steht da nicht.

„Okay, sag ihm, wir werden da sein und klär ab, wann“, ich gebe Maurice sein Handy wieder. Viel Lust, mich mit den beiden zu treffen habe ich zwar nicht, aber eventuell haben sie ja etwas rausgefunden, was uns nützlich sein könnte.

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