Kapitel 56; Manuel

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„Wie war's für euch wieder zuhause zu sein?“, fragt Palle als wir unsere Stadt hinter uns lassen.

„Es hat echt gut getan. Meine Eltern wollten mich gar nicht wieder gehen lassen. Und bei euch so?“ Maurice wirft einen kurzen Blick in den Rückspiegel, bevor er sich wieder auf die Straße konzentriert.

„Meine Großeltern waren da, als ich angekommen bin und es war die Hölle“, meine ich gequält.

„Inwiefern sind deine Großeltern die Hölle?“, will Maurice von mir wissen.

„Mhm, lass mich überlegen... Konservativ, rechthaberisch, voreingenommen, homophob...Soll ich weiter machen?“, traurigerweise könnte ich diese Liste wirklich ewig weiterführen. Abwartend blicke ich zu Maurice, aber dieser schüttelt seinen Kopf.

„Nein, brauchst du nicht. Das ist echt die Hölle.“ Sein Griff um das Lenkrad verkrampft etwas, während sein Blick auf die Straße gerichtet ist und ich meine eine gewisse Art der Abneigung in diesem zu erkennen. Kann ich verstehen, schließlich hasse ich meine Großeltern auch.

„Und wie lief's bei dir?“, Palle sieht zu Michael, der sich die ganze Zeit schon darum bemüht mir nicht seine Gedanken preiszugeben, indem er irgendwelche Fakten oder Gedichte in Gedanken aufsagt. Ich richte meinen Blick auf ihn und sehe wie er sich kaum merklich anspannt.

„Alles wie immer“, antwortet er knapp.

„Und warum dann so angespannt?“, frage ich und mustere ihn. Er verheimlicht hier etwas und ich kann mir schon denken worum es gehen wird. Haben seine Eltern es bemerkt? Vielleicht ist er deswegen so leise und angespannt. Das heißt, dass seine Eltern nicht gut darauf reagiert haben, oder? Mein Blick verfinstert sich etwas. Wenn seine Eltern der Klischeesorte von reichen Eltern angehören, sind sie bestimmt sehr dagegen. Shit, alleine die Gedanken daran machen mich wütend und zeitgleich traurig. Er soll lieben dürfen wen er will. „Gab's Probleme?“, frage ich und komme nicht umher zu bemerken, dass ich besorgt klinge. Wann ist das passiert? Seit wann interessiere ich mich für sein Wohlbefinden? Ist das nur weil ich von seinen Gefühlen weiß?

„Nein“, antwortet er knapp, aber jetzt kann er seine ablenkenden Gedanken nicht mehr aufrecht halten und sie dringen zu mir durch. Er hat also mit seinen Eltern gesprochen, mehr oder weniger freiwillig und sie wissen es jetzt, aber vor allen Dingen akzeptieren sie es. Er plant es Maurice zu sagen.

„Gut“, sage ich und weiß, dass Micha verstehen wird, dass ich mich damit mehr auf seine Gedanken beziehe. Jetzt versucht er wieder seine Gedanken zu verbergen und ich verdrehe die Augen. Er sollte echt mal darüber nachdenken, aber ich kann schon verstehen, dass er nicht möchte, dass ich alles höre. Aus diesem Grund ziehe ich jetzt mein Handy hervor und schließe meine Kopfhörer an, um Musik zu hören. Hoffentlich denkt er jetzt darüber nach, wenn er checkt, das ich versuche seine Gedanken auszublenden. Mein Blick gleitet jetzt auf die vorbeirauschende Umgebung. Wir sind noch nicht lange auf der Autobahn, als wir in einen Stau geraten. Toll. Ich schließe meine Augen und finde tatsächlich etwas Schlaf. Als ich wieder aufwache ist es schon relativ dunkel draußen.

„Wo sind wir?“, frage ich verschlafen und Maurice blickt kurz ihn den Rückspiegel.

„Gleich über die Grenze der Bundesländer“, teilt er mir mit.

„Erst?“

„Der Stau hat halt länger gedauert“, mischt sich Michael ein, „aber dafür verbringen wir ja jetzt den Rest der Strecke auf der Autobahn.“

„Ja“, bestätigt Maurice, allerdings wirkt er abwesend. „Ich fahr die nächste raus“, sagt er dann plötzlich.

„Wieso das?“, irritiert sieht Michael zu ihm.

„Es ist so dunkel, da bin ich nicht so gerne auf der Autobahn“, und damit blinkt Maurice und fährt auf den Fahrstreifen der Ausfahrt um langsam abzubremsen und zu schalten. Er fährt doch gerne nachts? Was soll das? Mir kommt das alles auch merkwürdig vor. „Jedenfalls nicht, wenn ich für so viele verantwortlich bin“, hängt Maurice an und okay das kann ich schon verstehen. Wenn er oder jemand anders auf der Autobahn mit hoher Geschwindigkeit einen Fehler macht, sind wir wohl alle am Arsch, aber eigentlich kann Maurice ja ohne Probleme die Zeit stoppen. Ich sehe zu Patrick, der am Schlafen ist und wünschte mir ich könnte mich jetzt einfach an ihn lehnen. Das wäre auf jeden Fall angenehmer als gegen die Fensterscheibe zu lehnen, aber leider bleibt mir nichts anderes übrig, als eben das zu tun. Es dauert, aber irgendwann schlafe ich doch wieder ein.

„Manu“, Palle rüttelt an mir. „Komm schon, wir sind da.“

Müde öffne ich meine Augen. Ich bin die letzte Person, die noch im Auto sitzt. Seltsam. Wollen die anderen sich stehend verabschieden? Ich schnalle mich ab und nehme meine Tasche mit, bevor ich die Tür hinter mir schließe.

„Äh, Tschüss“, irgendwie haben alle so abwartend zu mir gesehen, aber jetzt brechen sie in schallendes Gelächter aus. Was ist denn los?

„Du hast nichts mitbekommen, oder?“, Maurice grinst mich amüsiert an. „Dabei haben wir dich extra geweckt, um dich zu fragen, ob du was dagegen hast und du hast noch mit uns geredet und gesagt, dass es klar ginge.“ Daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern.

„Worum ging es denn?“ Meine Alarmglocken läuten unaufhörlich. Irgendetwas stimmt hier nicht und ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Irgendwas mir nicht gefallen wird.

„Es ist schon verdammt spät und Maurice ist müde, deswegen übernachtet ihr bei uns“, erbarmt sich Michael und ich kann mir denken, dass er dem nur aus Sorge um Maurice zu gestimmt hat.

„Oh“, gebe ich eloquent von mir. Jetzt wo er es sagt fällt mir auch auf, dass wir in einer Tiefgarage stehen. Na super. Ich werde noch etwas wegen meiner Verpeiltheit ausgelacht und geärgert, bevor wir in die Wohnung der beiden gehen. Mit ein paar geschickten Handgriffen verwandeln Maurice und Michael die bequeme Couch in ein noch bequemeres Bett. Ich will mich einfach nur darauf fallen lassen und für immer schlafen. Wann war ich das letzte Mal so scheiße müde? Ich glaube das Fieber letztens kommt dem Müdigkeitsgefühl momentan recht nahe.

„Du kannst ruhig zuerst ins Bad“, bietet Maurice mir an.

„Sicher? Du bist die ganze Zeit gefahren und ich-“

„Geh schon.“

„Wie du willst“, gebe ich nach und verschwinde im Badezimmer, um mich schnellst möglich bettfertig zu machen. Glücklicherweise hab ich meine Tasche ja dabei und damit auch Zahnbürste und Zahnpasta. Als ich aus dem Bad komme, gehe ich auf das Couch-Bett zu und lasse mich darauf fallen. Mittlerweile liegt auch Bettwäsche darauf. Nur eine Decke, aber das stört mich nicht und Palle wird es auch nicht stören, mit mir unter einer Decke schlafen zu müssen. Dieses Couch-Bett ist so schön weich, nur etwas kalt irgendwie. „Schlaft gut“, wünsche ich den anderen und sie erwiedern es, dann geht das Licht im Zimmer aus und ich schlafe ein. Ich erwache aus meinem leichten Schlaf, als jemand die Decke anhebt und sich kurz darauf an mich drückt. Angenehm warm. Ich drehe mich in Palles Armen um und drücke mich dann an ihn. Er ist so schön warm.

„Gute Nacht, Manu“, flüstert er und ich schaffe es nicht mehr es zu erwidern. Palles Wärme hat mich direkt wieder in den Schlaf gelullt.

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