Als ich aufwache, sitzt Palle neben mir und hat seinen Laptop auf seinem Schoß. Verwirrt betrachte ich die unendlich vielen Tabs, die er geöffnet hat. Was steht da? Begriffserklärung, Definition, Lexikon, Wikipedia und ähnliche Seiten. Der allererste Tab, auf dem er sich gerade auch befindet, ist die Folie zu der Vorlesung Klinische Psychologie. Viele Markierungen und kommentierte Wörter, auch Fragezeichen befinden sich in der Nähe der Abbildung des Gehirns. Frontaler Cortex ist genauso markiert wie alles andere und ein Kommentar wurde hinzugefügt. Er ist bei den Zwangsstörrungen angelangt, mit der Folie habe ich mich erst gestern beschäftigt. Er sieht sich die nächste Seite an und hier wird das nachgeschaltete Verhalten der Zwangsgedanken erklärt. Wieso hat er nicht mit mir gesprochen, wenn er Schwierigkeiten hat? Ich habe doch früher auch immer mit ihm gelernt. Ich richtete mich auf.
„Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du die Folien nicht richtig verstehst?“, frage ich Palle und er klappt ertappt seinen Laptop zu. Er wendet seinen Kopf von mir ab, spielt nervös mit dem Zipfel der Decke rum. „In Klinische Psychologie kann ich dir doch helfen, das ist gar kein Problem.“
„Was wenn du mir hilfst und es trotzdem nicht klappt?“, er starrt auf seine Hände und bemerkt, was er der Decke durch seine plötzlich Nervosität angetan hat und lässt das zerknitterte Stück der Decke los. Er betrachtet seine Hände, die jetzt regungslos auf seinem Laptop liegen.
„Ich habe dir doch oft beim Lernen geholfen.“
„Ja schon, aber da hatte ich den Ring, verstehst du?“ Seine Hände fahren unbewusst die Sticker ab, die auf seinem zugeklappten Laptop kleben. „Was wenn ich nur durch den Ring dazu in der Lage war mit dir zu lernen? Was wenn ich ohne den Ring einfach gar nichts hinbekomme?“
„Was redest du da für eine Scheiße!“, fahre ich Palle wütend an und überrascht sieht er zu mir. „Du hast doch schon viel erreicht, als du denn Ring noch nicht hattest. Deine vorherige schulische Laufbahn hast du ohne den Ring absolviert. Der Gegenstand hat dir alles erleichtert ja, aber du hast doch trotzdem mit mir gelernt. Du hast dich bemüht und hast gearbeitet, auch ohne Ring hättest du die Physik Arbeit bestanden, vielleicht nur mit stabilen 8 Punkten, aber du hättest es geschafft, da bin ich fest überzeugt von.“
„Stabile 8 Punkte, hm?“, er lächelt, aber dieses Lächeln schmerzt mich. Es ist so traurig und irgendwie verbittert. Es tut einfach weh ihn so zu sehen, es fühlt sich so an als würde ein Stich durch mein Herz gehen. „Die hätte ich dann nur dir zu verdanken gehabt. Ich selbst kann das nicht, da bin ich viel zu unfähig zu und jetzt fühlst du dich dazu gezwungen deine Zeit mit mir zu verschwinden.“ Was zur Hölle sagt er da?!
„Das ist doch keine Zeitverschwendung! Glaubst du echt, dass ich mit dir in eine gemeinsame Wohnung gezogen wäre, wenn du meine Zeit verschwenden würdest? Ich bin gerne bei dir! Ich war schon immer gerne bei dir, was glaubst du wohl warum ich dir damals angeboten habe mit dir zusammen zu lernen?“ Palle lächelt mich etwas an, dann entfernt er seinen Laptop von seinem Schoß und legt ihn auf den Nachtisch, sodass ich schon Angst habe, er würde aufstehen, aber das Gegenteil ist der Fall. Ein Arm legt sich um mich und schon liege ich wieder im Bett. Palle drückt sich an mich und ich spüre, dass mein Oberteil etwas nass wird. Sofort lege ich meine Arme um ihn und drücke ihn an mich. „Wir holen uns die Gegenstände zurück und dann leidest du nicht mehr so“, flüstere ich leise und Palle drückt sich etwas mehr an mich. Meine Hand fängt an Muster auf seinen leicht zitternden Rücken zu malen. Wir bleiben so liegen, bis ich das Gefühl habe, dass er sich wieder beruhigt hat. „Komm, wir schauen uns die Folien gemeinsam an, ja?“, schlage ich leise vor, woraufhin er sich von mir löst und ich stelle fest, dass ich das nicht möchte. Sobald er seinen Laptop in der Hand hat, ziehe ich ihn wieder zu mir. Ich winkel meine Knie an und platziere den Laptop darauf. Palle verharrt kurz in seiner aufrechten Position, ehe er sich neben mich legt und sich an mich kuschelt.
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Hast du eigentlich auch genug von mir?
FanfictionEin neuer Lebensabschnitt beginnt, wenn man das Abitur hinter sich hat und jetzt nach einer geeigneten Universität sucht. Am liebsten möchte man ja ganz weit weg von zu Hause und endlich eine eigene Wohnung und Freiheit haben. Aber so einfach ist da...