Kapitel 80; Manuel

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Die Sphäre schwebt ein paar Meter von mir entfernt in der Dunkelheit. Ich atme tief ein, schließe meine Augen und sammle mich. Das was ich vorhabe ist vielleicht nicht unbedingt das Intelligenteste, aber es ist mir egal. Ich öffne entschlossen meine Augen und bewege mich zielstrebig auf die Sphäre zu. Etwa einen Meter vor ihr bleibe ich stehen, starre sie an und hoffe, dass es einem Augenkontakt gleich kommt.

„Wo sind sie?“

Eine interessante Frage, aber sie ist falsch, Invidia.

„Falsch?“, frage ich und ziehe meine Augenbrauen zusammen. Wie kann eine Frage bitte falsch sein? „Inwiefern, falsch?“

Wo passt nicht ganz. Sie sind im Leben, aber gleichzeitig im Tod. Sie sind alles und nichts. Sie bewegen sich durch die Zeit und gleichzeitig sind sie im Stillstand. Oder kurz: Sie sind an der Schwelle zum Jenseits. Es geht also eher darum wann sie sind

Schwelle zum Jenseits. Das klingt überhaupt nicht gut. Heißt das, dass Micha jetzt auch tot ist? War's das jetzt? Sind sie einfach für immer von der Bildfläche verschwunden? Und wie sind sie überhaupt dorthin gekommen? Das kann ja eigentlich nur ein Wesen hier bewerkstelligen.

„Wieso hast du sie ins Jenseits geschickt?“, will ich wissen und die Sphäre verdunkelt sich. Das was ich gesagt habe scheint sie nicht zu freuen.

Ich habe nur Acedia zu mir gerufen, nicht Avaritia! Das sollte nicht passieren. Avaritia hat nach der Sphäre von Acedia gegriffen und ist so mit ihm ins Jenseits verschwunden.

„Wenn das nicht geplant war, dann hol sie gefälligst daraus!“, verlange ich und plötzlich ist die Sphäre nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Alles was ich sehe ist ein tiefes Schwarz. Ich fühle mich so klein. Ich erkenne etwas auf der Oberfläche der Sphäre. Grüne Augen starren mich an, es dauert eine Weile bis ich begreife, dass es meine Reflektion ist. Wobei, bin ich das überhaupt? Wenn ja sehe ich ziemlich müde aus. Die letzten Tage waren wegen den Nebenwirkungen auch ziemlich anstrengend. Generell ist es anstrengend. Alles ist anstrengend. Wieso mache ich überhaupt irgendwas? Läuft das Leben nicht automatisch auf den Tod hinaus? Wenn ich jetzt einfach aufhöre zu atmen, kann ich für immer entspannen, oder? Kein Stress, nie wieder. Keine Sorgen, nur diese angenehme Dunkelheit. Ich hebe meine Hand, bewege sie langsam auf die Dunkelheit zu, will sie berühren, will von ihr verschlungen werden, will endlich meine Ruhe haben.

Eine Hand schließt sich um mein Handgelenk, hält mich davon ab die Dunkelheit zu berühren. Ich drehe meinen Kopf etwas, blicke in braune Augen, die mich schockiert ansehen.

„Spinnst du, Manuel?! Hast du nicht zugehört? Wenn du die Sphäre berührst, verschwindest du auch im Jenseits!“, Palle klingt irgendwie aufgelöst und das reißt mich aus dieser dunkelheitliebenden Trance. Was war nur mit mir los? Bevor ich diese Frage äußern kann, klingt eine amüsiert Stimme in meinem Kopf. Mein Blick fällt auf die Sphäre, die sich mittlerweile von mir entfernt hat und wieder hell aufleuchtet.

Superbia und Invidia? Eine ungewöhnliche Freundschaft und definitiv das erste Mal, dass diese beiden Sünden miteinander auskommen.

„Was war das eben? Diese Dunkelheit?“, frage ich das Kommentar der Sphäre ignoriernd. Die Sphäre nähert sich mir, bleibt aber hell.

Du warst mir einfach etwas zu befehlerisch, Invidia.

Das Wesen entfernt sich wieder von mir und ungläubig sehe ich es an. Wollte es mich gerade ins Jenseits schicken, weil ich es genervt habe?

Dabei bist du doch die einzige Sünde, die aktiv nach mir gesucht hat.

„Was?“ Wann habe ich den nach einer Sphäre gesucht- realisierend reiße ich meine Augen auf. „Kashinalu und Ulanihsak, aber das kann nicht sein“, hauche ich und starre die Sphäre an. Das kann nicht sein. Es waren doch zwei göttliche Wesen.

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