Kapitel 39; Michael

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„Bist du bereit Maurice?“, ich mustere ihn, während er unsicher an seiner Uhr spielt. Die Menschen um uns herum nehmen keinerlei Notiz von uns. Warum sollten sie auch? Wir sind nur zwei Typen, die vor einem Kino stehen, so wie viele andere hier auch, die vor irgendwelchen Gebäuden rumlungern und auf etwas warten. Nichts, was man sich merken müsse, nichts, was Aufmerksamkeit erregt. Nur das normaler Geschehen auf einer belebteren Straße.

„Nein, aber wir tun das jetzt trotzdem“, Maurice erwidert meinen Blick und es ist mehr als deutlich, dass er zweifelt und die Aktion am liebsten abblasen würde. Trotzdem dreht er jetzt am Rand der Uhr und ich meine fast schon sehen zu können, wie alles langsamer wird, bis die Welt schlussendlich stehen bleibt. Wie beim ersten Mal auch fühlt es sich so an, als würde alles um mich herum in Zeitlupe stattfinden, nur um dann in völligem Stillstand zu enden. Zu wissen, dass man eine Stunde lang die absolute Kontrolle über die Welt hat, ist aufregend. Egal, was wir heute tun werden. Es hat keine Konsequenzen für uns. Fast schon, als wären wir für kurze Zeit die Götter dieser Welt.

Maurice' besorgter Gesichtsausdruck bringt mich dazu, mich wieder aufs hier und jetzt zu konzentrieren. Wir haben viel vor und ich sollte mich lieber darauf fokussieren, als auf die Vorfreude. Trotz Zeitstopp leiden wir unter einem gewissen Zeitdruck, irgendwie.

„Beruhig dich. Das wird lustig“, verspreche ich und stoße ihn mit meinem Ellbogen an. Wir haben die Chance, zu tun und lassen was wir wollen. Er sollte sich lieber darüber freuen, als Trübsal zu blasen.

„Lustig für dich vielleicht. Die Leute, die den ganzen Mist beseitigen müssen, werdens wahrscheinlich nicht so sehen“, wirft er ein. Es wirkt so, als hätte er jetzt schon Schuldgefühle.

„Maurice, das ganze ist 'ne einmalige Nummer und dient einem guten Zweck. Vergiss nicht, hier stehen Leben auf dem Spiel. Nicht nur unsere, sondern auch die Unschuldiger!“ Je eher wir Gluttony zu uns gelockt haben, desto eher können wir hoffentlich Zorn stoppen. Sie ist eine Gefahr, sie geht über Leichen, das ganze hier passiert aus absolut selbstlosen Gründen.

„Ich weiß. Aber trotzdem- lass uns nicht übertreiben“, bittet er mich und wie bei den vorherigen Gesprächen, die wir über unseren Plan geführt haben, nicke ich. Wir ziehen selbst Unschuldige in unsere Pläne hinein, sie sollten nicht mehr tun müssen, als nötig. Immerhin können sie nichts dafür.

Maurice wirft einen kurzen Blick auf seine Uhr, deren Rand sich noch nicht weit gedreht hat. Ich tippe auf knapp 55 verbleibende Minuten. Die Zeit vergeht, selbst wenn sie steht. Paradox und doch gefällt es mir, auch wenn uns das jetzt etwas hetzt. Es zeigt mir, dass wir trotzdem keinen völligen Einfluss über diese Welt haben. Wir haben Grenzen. Und wenn wir Grenzen haben, dann hat auch Zorn Grenzen.

Zusammen überqueren wir die Straße und betreten das große Kaufhaus, dass wir uns als Ziel vorgenommen haben. Warum ich ausgerechnet hierher wollte, ist mir selbst nicht bewusst. Vielleicht, weil das definitiv Aufmerksamkeit erregen wird. Ein Kaufhaus, dass von der einen auf die andere Sekunde verwüstet ist, sollte schon ungewöhnlich genug sein. Ein Wunder. Keins von der guten Sorte, aber das wird die Medien nur noch mehr dazu anregen, darüber zu berichten. Je ungewöhnlicher, desto besser, je schädlicher, desto interessanter.

Die Halle ist über mehrere Stockwerke gefüllt mit Geschäften. Direkt vom Eingang ausgehend säumt sich Geschäft an Geschäft. Von hier aus sehe ich eine Rolltreppe, die nach unten führt und einige weitere, die in die Mitte und nach ganz oben führen, doch ich weiß, dass sich am anderen Ende des Kaufhauses ebenfalls solche Rolltreppen befinden. Ganz unten sind die Supermärkte, Drogerien. Auf der Eingangsebene, da wo wir gerade sind, befinden sich Bekleidungsgeschäfte und Elektronikfachhandel. In der Etage über uns ist Noch einmal das selbe, teilweise ziehen sich Geschäfte über die beiden Stockwerke. Nur, dass es oben auch noch einige kleinere Shops gibt. No Name Läden, die es geschafft haben, sich einen Platz im Kaufhaus zu sichern. Ganz oben befinden sich nur Restaurants.

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