Kapitel 52; Manuel

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„Danke für's Mitnehmen“, sage ich und schnappe mir meine Tasche, bevor ich das Auto verlasse.

„Immer wieder gerne“, meint Maurice und Michael denkt, dass es gar nicht so schlimm war wie er es sich vorgestellt hat. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich grinse ihn amüsiert an, was er erwidert.

„Gute Fahrt euch noch“, und damit schließe ich die Tür und sehe Maurice dabei zu wie er geschickt den großen Wagen dreht, um wieder in Richtung der Autobahn zu fahren. Kurz verweile ich noch und starre den Punkt an an dem das Auto mein Sichtfeld verlassen hat. Jetzt trotte ich gemächlich auf das kleine Haus zu, in dem meine Familie auf mich wartet. Es stehen ungewöhnlich viele Autos davor, was mir ein ungutes Gefühl vermittelt. Nichtsdestotrotz bewege ich mich weiter auf die Haustür zu und krame in meiner Tasche nach dem Schlüssel. Endlich ertaste ich den kleinen metallischen Gegenstand und ziehe ihn hevor. Gerade als ich den Schlüssel im Schloss umdrehen möchte, wird die Tür geöffnet und ich werde in eine Umarmung gezogen.

„Schön, dass du da bist“, murmelt meine Mutter und löst sich dann von mir. Ein Lächeln legt sich automatisch auf meine Lippen, als ich sehe wie glücklich sie ist.

„Schön, wieder hier zu sein“, sage ich und jetzt ist es meine Mutter die lächelt. Sie macht einen Schritt zur Seite und sofort komme ich der stummen Aufforderung nach und betrete den Flur meines Elternhauses. Ich betrachte die alte hölzerne Kommode, deren Spiegel einen dünnen Riss links unten in der Ecke hat. Der Riss ist fast 5 Jahre alt und man wollte es sofort wieder reparieren lassen, aber irgendwie haben wir es dann doch nie machen lassen. Mit dem Riss gefällt er mir eh besser. Die drei Friedhofskerzen stehen auch wie immer auf der Kommode. Meine Mutter geht in Richtung des Esszimmers und ich folge ihr langsam während ich die Bilder an den Wänden betrachte.

„Die anderen warten schon“, merkt meine Mutter an, als sie die Tür öffnet und klingt irgendwie gestresst. Anderen? Oh Gott, sind meine Geschwister hier? Alle? Das würde dann wohl etwas lauter werden, aber irgendwie hab ich sie auch vermisst, auch wenn ich die Ruhe genossen habe. Ich grinse als ich den Raum betrete und erwarte eigentlich, dass nur meine Geschwister hier sind, aber Fehlanzeige. Ich bemühe mich schlagartig zu lächeln und dieses auch aufrecht zuerhalten, als ich bemerkte, dass meine Großeltern hier sitzen. Wieso? Wieso sind die denn hier?

„Sie wollten eigentlich erst nächstes Wochenende kommen, aber als sie gehört haben, dass du kommst, sind sie schon dieses Wochenende gekommen“, erklärt mir meine Mutter gezwungen freudig und ich vermeide es mein Gesicht zu verziehen. Shit. Ich will wieder zurück in meine Wohnung.

„Großartig“, bringe ich hervor und hoffe, dass es glaubwürdig begeistert rüber kommt, denn ich spüre wie sich zwei wachsame Augenpaare durch mich bohren.

„Mit dieser Überraschung hast du nicht gerechnet, was?“, mein Blick schnellt zur Küche in der Peter scheinbar einen Kuchen geschnitten hat, denn er bringt ein paar Kuchenstück auf einer Glasplatte ins Esszimmer und plaziert sie mitten auf dem Tisch. Ich bin also nicht alleine in der Großeltern Hölle. „Hilfst du mir kurz in der Küche, Manu?“

„Klar“, ich tue alles um weg von meinen Großeltern zu sein. Ich betrete die Küche und schließe die Tür hinter mir. Augenblicklich fällt mein künstliches Dauerlächeln von mir ab und ich atme laut aus.

„Du bist nicht mal fünf Minuten hier, also tu nicht so, als wärst du derjenige von uns beiden der das Grauen schon seit gestern ertragen musste“, gibt Peter belustigt von sich. Jede Interaktion mit den Velociraptoren, die draußen lungern ist einfach nur ermüdend. Sie legen alles auf die Goldwaage und erwarten, dass man sie stets respektvoll behandelt, obwohl sie alles und jeden kritisieren.

„Ich habe halt eher euch erwartet und dann die Velociraptoren zu sehen war echt zu viel“, erwidere ich und weiß, dass er versteht wen ich mit dem "euch" gemeint habe. Meine Familie eben, die sehr anstrengend sein kann, aber die ich trotzdem liebe. Allerdings gilt das nicht für die beiden Personen, die draußen sitzen. Unsere Großeltern sind einfach nur zum Schaudern und ich weiß nicht mal genau, wie sie mit uns verwandt sind. Ich glaube es sind eigentlich unsere Urgroßeltern und so wie die beiden aussehen, haben sie wahrscheinlich auch den Urknall miterlebt. Sie erfüllen jedes Klischee, aber leider erfüllen sie nur die schlechten: konservativ, Unverständnis gegenüber allem was neu ist und unbelehrbar. Einfach das Gegenteil von sympathisch, aber hey, sie sind Familie, also sei nett. Sie sind Familie. Wie oft hat meine Mutter diesen Satz schon gebracht, um sich vor oder nach dem Besuch von den beiden für ihr Verhalten zu entschuldigen. Warum müssen wir eigentlich immer alles einstecken was die beiden Dinosaurier da draußen austeilen? Wenn die beiden nicht einstecken können, sollen sie auch gefälligst nichts austeilen. Familie rechtfertigt eben nicht alles.

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