„Die Uni war doch spitze, oder?“, fragt Palle und scheint ziemlich begeistert zu sein. Wir stehen am Bahnhof und warten auf unseren Zug, der in wenigen Minuten ankommen soll.
„Ja, sie war echt spitze“, aber leisten konnte ich mir das alles wahrscheinlich nicht. Die Universität war recht weit von Zuhause entfernt, was eigentlich ein weiterer Pluspunkt ist, allerdings bedeutet das, dass ich eine Wohnung in der Nähe der Universität brauche und das kann ich nicht finanzieren. Die Stadt ist viel zu teurer. Eine Wohnung könnte ich nie im Leben bezahlen und die Universitätsgebühren würde ich mir auch nicht leisten können, außer ich würde ein Stipendium oder Bafög bekommen.
„Aber?“, hakt Palle nach und sieht mich fragend an. Natürlich bemerkt er sofort, dass ich meine Bedenken für mich behalte. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre er derjenige von uns der Gedanken lesen kann. Ich seufze und höre wie die Frauenstimme über die Lautsprecher des Bahnhofs verkündet, dass wir bei der Einfahrt unseres Zuges vorsichtig sein sollen. Ich richte meinen Blick in die Richtung der Gleise und sehe den roten Zug, der auf unser Gleis zufährt und gleich am Bahnsteig halten wird. Die anderen Fahrgäste schultern ihre Rucksäcke oder nähern sich der weissen Markierung auf dem Boden mit ihrem Gepäck.
„Aber ich werde mir das nicht leisten können“, sage ich und merke wie Patrick etwas sagen will, aber der einfahrende Zug ist zu laut und deswegen sagt er nichts. Der Zug kommt quietschend zum Stehen und wir nähern uns den Türen. Ich drücke auf den Knopf mit den grünen Lichtern und zischend öffnet sich die Tür. Wir lassen die Passagiere aussteigen und steigen dann schnell in den Zug ein, um uns auf Platzsuche zu begeben. Patrick sprintet die Treppe nach oben, die in die obere Etage des Zuges führt. Der Zug fährt langsam an und wir schwanken etwas, aber zu unserem Glück finden wir einen freien Vierer und machen es uns dort gemütlich. Ich sitze in Fahrtrichtung und betrachte die Landschaft, die an uns vorbeirauscht. Patricks Blick liegt auf mir und ich weiß, dass er das vorherige Thema aufgreifen will, aber das möchte ich nicht. Ich kann es mir nicht leisten und Ende, da kann man nicht mehr viel machen. Sein Blick liegt immer noch auf mir, doch egal wie intensiv er mich noch mustern würde, ich würde nicht zu ihm sehen. Patrick scheint das auch zu merken, denn er seufzt.
„Es gibt viele Wege sich ein Studium zu finanzieren, Manu“, fängt er plötzlich an und ich sehe weiter demonstrativ aus dem Fenster. Ich will das jetzt nicht besprechen. „Mit deinem Schnitt bekommst du vielleicht ein Stipendium und auf jeden Fall kannst du Bafög beantragen.“
„Und was bringt mir das?“, jetzt wende ich mich ihm doch zu, blicke in seine Augen und würde gerne wissen was er denkt, aber wieder sind da nur diese stolzen Gedanken. Es stört mich. Ich würde so verdammt gerne seine ungefilterten Gedanken haben. „Hast du die Stadt gesehen? Ich werde mir da keine Wohnung leisten können und Michael hat recht, ich gehöre da auch nicht hin.“
„Michael? Wann hat er das bitte gesagt?“, er klingt verdutzt, aber ich höre auch unterschwellige Wut aus seiner Tonlage heraus. Jetzt fällt mir ein, dass Michael das gar nicht gesagt, sondern nur gedacht hatte. Seine Gedanken waren so unglaublich laut und gemein gewesen, egal ob ich mich auf sie konzentrierte oder nicht, seine Gedanken waren permanent in meinem Kopf. Sie drangen völlig ungefiltert zu mir und ich konnte sie nicht ausblenden, dafür waren sie zu laut und zu einnehmend.
„Er hat es nicht gesagt, aber er hat es bestimmt gedacht! Hast du nicht mitbekommen wie abfällig er uns angesehen hat?“ Ist das Patrick wirklich nicht aufgefallen? Man musste wirklich keine Gedanken lesen können um zu wissen, dass dieser arrogante Schnösel auf uns herab blickt. Seine Gedanken waren so abwertend gewesen und dann hat er auch noch so dumm gegrinst.
„Er war vielleicht nicht unbedingt freundlich, aber ich glaube du hast dir diese Blicke nur eingebildet?“, Patricks Stimme wird etwas leiser, dass tut er immer wenn er davon ausgeht, dass das was er sagen will mich irgendwie verletzen könnte oder mir nicht gefallen wird. „Du neigst schon etwas dazu Menschen nach einem Blick zu bewerten“, murmelt er und spielt etwas mit seinem Ring rum.
„Wenn hier jemand Menschen nach einem Blick bewertet, dann ist es dieser verdammte Schnösel!“, ich werde etwas lauter und Palle sieht irgendwie enttäuscht zu mir, auch seine Gedanken sind leer. Aber wie könnte ich leise bleiben? Dieser arrogante Arsch hat so vorschnell über mich und Palle geurteilt, dass es mich ankotzt.
„Manuel“, oh shit Palle spricht mich nicht mit meinem Spitznamen an und seine Tonlage war ernst. „Das was du gerade gesagt hast, ist doch genau das worüber du dich ärgerst. Michael war zwar nicht sehr gesellig drauf, aber ihm nur durch Blicke zu unterstellen, dass er ein arroganter Schnösel ist, finde ich nicht in Ordnung von dir.“ Ich sinke etwas in das Ploster des Sitzes zusammen und lenke meinen Blick betrübt nach draußen. Patrick war immer offen und ehrlich und das war auch etwas was ich an ihn sehr schätze, aber gerade hätte ich darauf verzichten können. Jetzt denkt er bestimmt wieder schlecht von mir, dabei stimmt ja was ich gesagt habe: Michael ist ein arroganter Schnösel, der auf uns herabgesehen hat. Seine Gedanken waren so unsagbar laut, das ich Kopfschmerzen davon bekommen habe, aber das konnte ich Palle nicht sagen. Also ich könnte schon, aber er würde mich für einen Spinner halten. Gerne würde ich Palles Gedanken lesen können, aber erstens, ging das ja nicht so wie ich es will und zweitens, kann ich ihm gerade nicht in die Augen sehen, da ich weiß, dass er enttäuscht von mir ist. Verflucht, ich war hier nicht die Person, die auf andere herabblickte, sondern es war die Person, die Patrick gerade verteidigte.
„Hast ja recht“, sage ich missmutig, obwohl er eigentlich nicht recht hat, aber alles andere nur eine ethische Diskussion auslösen würde, die ich nicht gewinnen würde. Jedenfalls nicht ohne Patrick zu sagen, dass ich Gedankenlesen kann und das konnte ich nicht. Außerdem wäre Patrick trotzdem der Meinung, dass ich ihm eine Chance geben sollte, gegen seine rücksichtsvolle Art kam ich einfach nicht an, aber das will ich auch gar nicht. Ich habe keine Lust auf eine Diskussion, die uns beide nur ermüden würde. Jetzt blicke ich wieder in seine Augen, die mich zufrieden musterten und kann seine Gedankenlesen, die mit Stolz gefüllt waren. Er war nicht stolz darauf, dass er seine Meinung durchsetzen konnte, sondern er war stolz auf mich, weil ich meinen vermeintlichen Fehler eingesehen habe. Ein schwaches Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. Patrick würde ein verdammt guter Lehrer werden, da bin ich überzeugt von.
„Doppelmoral ist immer scheiße“, Palle zuckt mit den Schultern und lächelt mich dann an. „Aber wie fandest du denn Maurice? Er war echt nett.“ Maurice war mir ein Rätsel, denn ich konnte seine Gedanken überhaupt nicht lesen. Sie waren da, aber sie klangen so verzerrt, so als würde jede Silbe in die Länge gezogen werden, was es unmöglich macht etwas verstehen zu können. Das kam mir ziemlich suspekt vor und dazu kamen die Gedanken, die der arrogante Schnösel in Bezug auf Maurice hatte. Michael war verwundert über das Verhalten seines Freundes gewesen, denn scheinbar redet er normalerweise nicht mit Fremden. Also warum sollte er dann mit uns reden? Palle ist zwar ein Mensch, den man einfach sofort mögen muss, aber trotzdem ist es seltsam, dass er sich in der Mensa sofort zu uns gesetzt hat.
„Ja, Maurice war ganz nett“, stimme ich Palle zu, auch wenn der Blonde mir wirklich unheimlich war. Kurz schweigen Palle und ich, aber dann fängt er doch wieder an zu reden.
„Wenn wir an dieser Universität angenommen werden, können wir uns doch gemeinsam eine kleine Wohnung suchen“, vorsichtig betrachtet Patrick mich und ich sehe verdutzt zu ihm. Warum fängt er jetzt wieder mit diesem scheiß Thema an?
„Wir sollen wir uns das bitte leisten?“
„Indem wir jobben gehen? Gemeinsam können wir so bestimmt eine Wohnung finanzieren und ich fände es ziemlich cool zusammen mit dir in eine Wohnung zu ziehen“, Palle sieht mich ernst an und seine stolzen Gedanken sind begeistert von dieser Idee.
„Aber wir müssen uns doch auf das Studium konzentrieren und-“, weiter komme ich nicht.
„Manu, bitte lass uns das machen, wenn du ein Stipendium für die Universität bekommst, ja? Lass dir die Chance studieren zu können nicht dadurch zerstören, dass du dir Gedanken über Geld machst. Wir bekommen das schon hin.“ Wie könnte ich da nein sagen?
„Okay, falls ich dort mit Stipendium angenommen werde, suchen wir uns eine gemeinsame Wohnung“, stimme ich ihm zu und augenblicklich strahlt Palle mich an. Allein der glückliche Gesichtsausdruck ist es irgendwie schon wert gewesen. Ich lächele ihn an und dann schweigen wir wirklich. Jeder kramt seine Kopfhörer hervor und schon sehen wir beide aus dem Fenster und lauschen der Musik.
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Hast du eigentlich auch genug von mir?
FanfictionEin neuer Lebensabschnitt beginnt, wenn man das Abitur hinter sich hat und jetzt nach einer geeigneten Universität sucht. Am liebsten möchte man ja ganz weit weg von zu Hause und endlich eine eigene Wohnung und Freiheit haben. Aber so einfach ist da...