Kapitel 16; Manuel

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Ich werfe einen flüchtigen Blick auf mein Handy, das neben mir auf dem Tisch liegt: 16:40 wird mir auf meinem Sperrbildschirm angezeigt. Ich richte meinen Blick wieder nach vorne und das Handydisplay leuchtet schwach, bis es wieder dunkel wird. Die Unruhe im Vorlesungssaal wächst, alle wollen endlich den Raum verlassen und nach Hause fahren. Den Dozenten interessiert das nicht, er zieht einfach den Stoff durch und wird letztlich davon unterbrochen, dass ein paar meiner Kommilitonen einfach aufstehen und den Raum verlassen, weil es 16:45 ist und die Vorlesung offiziell beendet ist. Erst jetzt scheint der Dozent auf die Uhrzeit zu achten und entlässt uns alle, während er den PC runterfährt. Ich schließe mein Programm zum Bearbeiten der PDF-Dateien des Dozenten und fahre ihn dann schnell herunter, bevor ich ihn zu klappe. Dadurch bin ich einer der letzten der den Hörsaal verlässt, aber es ist mir herzlich egal. Müssen die anderen halt um mich herum gehen oder zur anderen Seite raus. Gemütlich verlasse ich den Raum und wechsel zu einem anderen Gebäude des Universitätskomplexes. Jetzt habe ich Psychologische Grundlagen mit einem meiner Lieblingsdozenten. Der Dozent ist in seinen fünfzigern und hat angenehm ehrliche Gedanken. Seine schwarzen Haare bekommen schon ein paar graue und seine blauen Augen wirken so unglaublich aufgeweckt. Er trägt meinstens eine Jeans und dazu ein schlichtes Hemd. Ich komme gerade in seinem Vorlesungsaal an und setzte mich in eine der vorderen Reihen. Von hier aus kann ich seine Gedanken besser lesen. Der Saal fühlt sich allmählich und um Punkt 17 Uhr betritt der Dozent den Saal und die Vorlesung beginnt. Auch heute trägt er eine Jeans und dazu ein hellgrünes Hemd.

Die Veranstaltung vergeht schnell und ich höre schon wie meine Kommilitonen anfangen zusammenzupacken. Der Dozent bekommt es auch mit und entlässt uns mit den Worten, dass er jetzt auch keinen Bock mehr hat und wir dann nächste Woche da weiter machen wo wir aufgehört haben. Wieder klappe ich meinen Laptop zu und bewege mich jetzt zu den Bushaltestellen. Schnell sprinte ich auf einen Bus zu, der in meine Richtung fährt und erwische ihn zum Glück noch. Ich lächle den Busfahrer dankend an und er nickt nur. Es gibt genügend freie Plätze und zu meiner Freude ist auch noch ein Platz ganz hinten am Fenster frei. Zufrieden setzte ich mich auf den Platz und stöpsel meine Kopfhörer ein, um die Fahrt mit Musik zu überbrücken.

Ich drücke den Stoppknopf und schon hält der Bus an meiner Haltestelle. Es ist echt mega angenehm, dass sich direkt vor unserer Wohnung eine Bushaltestelle befindet von der im 20 Minuten Takt Busse abfahren. Ich gehe auf das Mehrfamilienhaus zu und krame in meiner Hosentasche nach dem Schlüssel mit dem ich erst die Haustür und dann wenig später die Wohnungstür aufschließe. Ich schaue zur Uhr, die an der Wand hängt. Es ist 19 Uhr. Komisch das Palle noch nicht wieder da ist, solange geht seine Schicht doch normalerweise nicht. Vielleicht ist er noch einkaufen gegangen oder so. Ich checke mein Handy, aber er hat mir nicht geschrieben. Schulterzuckend begebe ich mich in mein Zimmer und starte meinen Laptop wieder. Die Texte, die ich für die nächste Veranstaltung lesen muss, sind viel zu lang und zu trocken, aber es hilft ja nichts. Missmutig beginne ich damit am Laptop Notizen zum Text zu machen und wichtige Informationen zu unterstreichen. Ich stoppe damit, als ich höre wie sich ein Schlüssel in dem Schloss unserer Wohnung dreht. Patrick kommt also. Ich stehe auf und gehe in den Flur um ihn zu begrüßen, außerdem will ich wissen, ob er wirklich einkaufen war. Warum sollte er sonst so spät kommen? Mittlerweile ist es 19:45 und tatsächlich betritt Palle die Wohnung mit Einkaufstüten, aber er ist nicht allein.

„Hey, du hättest mir ruhig schreiben können, dass du Besuch mitbringst", begrüße ich ihn etwas kühl. Palle sieht entschuldigend zu mir und sofort verzeihe ich ihm innerlich, aber das muss er ja nicht wissen.

„Sorry, Manu hab das total vergessen", er deutet auf seinen Gast und strahlt glücklich. „Ist das nicht toll? Maurice und Michael wurde auch an der Universität angenommen!"

„Das ist ja wundervoll", bemühe ich mich um falsche Freundlichkeit und schenke Maurice ein Lächeln, das dieser hoffentlich als ungezwungen wahrnimmt. Maurice erwidert mein Lächeln und trägt dann zusammen mit Palle die Tüten rein. Palle steuert auf die Küche zu und Maurice folgt ihm, dort beginnt er dann damit die Tüten auszuräumen während Palle alles verstaut. Ich helfe den beiden und da Maurice mir etwas zu langsam ist, sage ich ihm, dass er Gast ist und nichts machen muss. Er fragt noch einmal nach, ob ich mir sicher bin, was ich bejahe und dann lehnt er sich gegen eine Wand. Es kommt mir so vor, als wäre er erleichtert uns nicht helfen zu müssen. „Also seid ihr euch in der Universität begegnet?", frage ich um interessiert zu wirken, während ich die Dosen-Spaghetti in den dafür vorgesehenen Schrank räume.

„Nein, ich bin zufällig in das Café gegangen in dem ihr beide jobbt", erklärt Maurice und Palle lächelt.

„Dann sind wir halt ins Gespräch gekommen und als meine Schicht zu Ende war, bin ich einkaufen gegangen und Maurice hat mich begleitet, danach hab ich ihn zu uns eingeladen", führt Palle ihre Begegnung weiter aus und scheinbar verstehen die beiden sich wirklich gut. Etwas zu gut. Ich habe keine Lust darauf, dass Maurice öfter zu uns kommt und auf gar keinen Fall möchte ich, dass Michael unsere Wohnung betritt. „Hast du eigentlich schon gegessen, Manu?" fragt er mich und ich schüttel meinen Kopf während ich die letzte Fertigsuppe in den Schrank platziere. „Super na dann können wir ja was leckeres kochen. Maurice hat schließlich auch noch nicht gegessen", und damit bewegt Palle sich auf den Herd zu und ich ziehe ihn an der Kapuze seines Hoddies zurück.

„Wie lautet die Regel?", will ich in einem etwas strengeren Tonfall von ihm wissen und Palle sinkt seufzend etwas zusammen.

„Ich darf nichts benutzen, was ein Feuer verursachen könnte", murmelt er geschlagen und bewegt sich von der Herdplatte weg. Maurice mustert uns interessiert und ich erbarme mich dazu ihm zu erzählen, wie Palle fast unsere Wohnung abgefackelt hätte. Patrick schmollt währendessen und Maurice hebt seine Hand vor seinen Mund, um sein Kichern zu verstecken was ihm nicht gelingt.

„Darf ich dir denn helfen Manuel?", fragt Maurice mich lächelnd. „Passabel kochen kann ich und es geht auch nichts in Flammen auf."

„Ja, gerne und Palle darf nur irgendetwas klein schneiden, sonst beginnt die Apokalypse in unserer Wohnung", lache ich und auch Maurice sieht amüsiert zu mir. Palle hat recht. Maurice scheint ganz nett zu sein, aber es stört mich nun mal massiv, dass ich seine Gedanken nicht lesen kann. Es stört mich einfach und dadurch wird der Junge mir gleich suspekt. Ich traue ihm einfach nicht und das wird sich auch nicht ändern, bis ich seine Gedanken lesen kann. Gemeinsam beginnen wir zu kochen. Palle schneitet verschwinde Gemüsesorten klein, während Maurice die Zutaten nacheinander in der Pfanne anbrät und ich die Kartoffeln schäle und klein schneide. Normalerweise würde ich in die Gemüsepfanne noch etwas Fleisch schneiden, aber da Maurice vegetarisch lebt, unterlasse ich das selbstverständlich. Es dauert nicht lange bis alles fertig ist und wir uns an den Esstisch setzten.

„Habt ihr eigentlich WLan?", fragt Maurice plötzlich und Palle und ich nicken.

„Schon recht lange. Ihr etwa nicht?", erkundigt sich Palle und Maurice Gesichtsausdruck verändert sich in einen gequälten.

„Nein, haben wir nicht. Die WLan Leute sind zu dem ersten Termin nicht erschienen und ich bezweifle irgendwie, dass sie je erscheinen werden. Ich habe schon Entzugserscheinungen, weil ich schon einen Monat ohne WLan auskommen muss", seine Stimme wird leicht weinerlich und ich kann ihn völlig verstehen. Einen Monat ohne WLan würde ich wahrscheinlich nicht mal überleben. Zwei Wochen waren ja schon die absolute Hölle auf Erden ohne konstante Internetverbindung. Ich schlucke mein Essen schnell runter und stehe auf, um zum Router zu gehen. Ein kleiner Zettel klebt an ihm und ich reiche ihn Maurice. Freudig tippt er den WLan-Schlüssel in sein Handy ein, sobald dieses mit dem Internet verbunden ist, vibriert sein Handy durchgehend. Da bekommt jemand aber viele Nachrichten.

„Ach fuck, ich hab voll vergessen Micha Bescheid zu sagen, dass ich bei euch bin", schnell tippt Maurice auf seinem Handy rum und dann hört das Vibrieren auf. „Mhm, jetzt ist er wohl eingeschnappt, gelesen, aber antwortet nicht auf meine Nachricht. Typisch", Maurice verdreht grinsend seine Augen und legt sein Handy im Standbymodus auf dem Tisch ab.

„Ist er immer so?", fragt Palle belustigt nach und Maurice zuckt mit den Schultern.

„Keine Ahnung, ich war eigentlich immer nur bei ihm und nie so oft bei anderen", grübelt er und klingt nachdenklich.

„Ich hoffe doch du wirst öfter zu uns kommen", läd Palle ihn ein und ich glaube mich verhört zu haben. Bitte tu mir das nicht an Patrick. „Oder, Manu?", auffordernd sieht Palle zu mir und mir bleibt nichts anders übrig als lächelnd zu nicken, sonst würde es unangenehm für mich werden. Maurice strahlt uns glücklich an.

Nachdem wir gegessen haben, verabschiedet Maurice sich von uns und macht sich auf den Weg nach Hause. Es ist ziemlich dunkel draußen, aber das scheint ihn nicht groß zu stören, während Palle neben mir sich Sorgen macht. Es stört mich ziemlich, dass die beiden sich angefreundet haben. Endlich ist er weg und ich sehe auf die Uhr und entscheide mich dazu schlafen zu gehen.

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