Als Philip und Martin am nächsten Morgen unter der Tanne erwachen ist es bitterkalt. Die Feuchtigkeit ist ihnen in die Glieder gefahren und sie bauchen eine Weile um ihre ausgekühlten Arme und Beine wieder warm zu bekommen. Sie reiben und wärmen die klammen Glieder bis sie einigermassen warm sind. Dann beten sie miteinander und teilen sich später einen Apfel als Frühstück. Ihre Reittiere sind nicht weit gelaufen. Sie Sammeln sie ein und dann machen sie sich wieder auf den Wag nach Shyring. Martin ist wesentlich fröhlicher und Philip freut sich dass sein Novize wieder so gut drauf ist. Den Tag reiten sie zügig nebeneinander her, nicht ohne gemeinsam zu singen und zu lachen. Philip gefällt Martins Stimme. Noch hat der Knabe seinen glockenhellen Sopran den so viele Menschen in Kingsbridge bewundern. Wehmütig denkt Philip manchmal daran dass Martin bald in den Stimmbruch kommen wird. Was dann wohl aus dessen Stimme werden wird? Wird er weiterhin so anbetungswürdig klingen? Doch noch besitzt der Junge seine tolle Stimme und Philip kann sich kaum satt hören wenn sie gemeinsam singen. Sie singen nicht nur Lieder zum Lobe Gottes. Philip bringt Martin auch einige Lieder aus seiner Kindheit bei. Die singt Martin nicht weniger inbrünstig und Philip lächelt bei dem Gedanken was wohl seine Mutter zu dem kleinen Novizen gesagt hätte. Philips Mutter hat so gerne gesungen und ihr Sohn hat die Liebe zur Musik von ihr geerbt.
Am Abend sind die beiden aus dem dunklen Wald heraus geritten. Sie folgen noch eine Weile dem kleinen Pfad um in der Enklave einzukehren das am Rande des Waldes liegt und zu Kingsbridge gehört. Als die beiden an das Tor kommen werden sie Zeuge wie ein Junge, der etwa in dem Alter von Martin ist an das Tor hämmert und laut um Hilfe bittet. "Was ist dein Begehr?" fragt ein mürrischer Mönch der das kleine Fenster im Tor geöffnet hat. Philip zieht die Zügel und bedeutet auch Martin anzuhalten. Dieser knurrende Tonfall mit dem der Junge angesprochen wird gefällt ihm gar nicht. Philip möchte der Unterhaltung lauschen und da kann er kein Hufgetrappel gebrauchen. "Bitte, wir benötigen einen Priester. Meine Mutter liegt im Sterben." bettelt der Knabe. "Mach, dass du weg kommst, Lumpenpack! Ihr habt euren eigenen Priester im Dorf." bekommt der Junge als Antwort und dann wird die kleine Luke wieder mit einem Knall verschlossen. Doch der Bub lässt sich nicht abwimmeln. Er hämmert wieder an das Tor und er schreit dass der Priester selber krank danieder läge. Doch von innen brüllt der Mönch nur dass die Menschen Unzucht getrieben hätten und darum selber Schuld an ihrem Schicksal seien. Philip gibt seinem Muli die Sporen und Martin folgt ihm. Philip hält bei dem Jungen und er fragt ob sie denn helfen könnten. Weinend berichtet der Knabe dass er einen Priester bräuchte weil seine Mutter im Sterben läge. "Ich bin zum Priester geweiht, mein Sohn." sagt Philip und der Junge schaut das erste mal hoffnungsvoll die beiden an. "Würdet ihr die Sakramente meiner Mutter spenden?" fragt der Knabe bang und Philip beeilt sich dem Jungen zu versichern dass er genau dies vor habe. Dennoch klopft er laut an das Tor um darauf hinzuweisen dass er und Martin heute Nacht ein Lager bräuchten. Doch die Türe öffnet sich nicht. Irgendjemand öffnet hoch oben eine kleine Luke. Sein Gesicht ist nicht zu sehen, dafür seine Stimme um so lauter zu hören: "Scheer dich weg! Lumpengesindel! Wir haben nichts zu verschenken!" Ehe Philip seine Stimme zur Antwort heben kann wird die Luke mit einem lauten Knall zugeschlagen. Philip zuckt mit den Achseln und wendet sich dann freundlich an den Jungen: "Zeige uns bitte den Weg zu deiner Mutter." bittet Philip und der Junge nickt aufgeregt. Er sagt dass das Dorf nicht weit weg sei und darum nimmt Martin den Buben mit auf sein Muli. Gemeinsam geben sie den Tieren noch einmal die Sporen. Die finden das nicht wirklich toll und bocken etwas. Sie hatten gehofft hier am Ende ihrer Reise zu sein und endlich in einem warmen Stall ausruhen zu dürfen. Doch nach ein paar Bocksprüngen haben die zwei sich in ihr Schicksal ergeben und sie laufen zügig zu dem Dorf. Das Dorf besteht aus ein paar ärmlichen Hütten und einer winzigen Kapelle. Der Junge, der auf den Namen Heinrich hört lotst sie in ein kleines, etwas abgelegenes Häuschen. Die drei steigen ab und Philip bittet den Jungen sich um die Tiere zu kümmern. Er und Martin betreten die kleine Kate. Es ist ein typisches Einraumhaus. Sehr dunkel und mit einer Feuerstelle die im Winter sicherlich zum wärmen dient. Das Feuer ist heruntergebrannt und es liegt nur sehr wenig Holz neben dem Herd. Über der Feuerstelle hängt ein eiserner Topf der nun kalt ist. Normalerweise würde dort eine Suppe oder ein Eintopf köcheln. In dem kleinen Bett in einer Nische liegt eine Frau und sie sieht nicht gut aus. Sie schwitzt stark und gleichzeitig zittert sie wie Espenlaub. Philip und Martin treten an ihr Bett. Martin legt seine Hände auf die heisse Stirn der Frau und er merkt dass sie sehr hohes Fieber hat. Philip schaut Martin besorgt an. "Weisst du was sie hat?" fragt er den jüngeren weil Martin ja bei Ellen gelernt hat glaubt Philip dass Martin sich besser mit den Krankheiten der Menschen auskennt als er selber. Martin zögert. "Sie hat hohes Fieber. Wo das her kommt weiss ich nicht. Dazu müsste ich sie untersuchen." sagt Martin leise. Philip nickt. Doch Martin schüttelt seinen Kopf. "Nein, ich möchte das nicht ohne das Einverständnis ihres Sohnes machen." sagt Martin flüsternd. Philip versteht was Martin meint. Um jemanden zu untersuchen muss man ihn genauestens inspizieren. Es wäre sicherlich ein verstörendes Bild wenn zwei Mönche eine fieberkranke Frau einfach so untersuchen würden. Philip nimmt seine geweihte Salbe und ein wenig Weihrauch aus seiner Satteltasche. Er geht zum Feuer und entzündet es. Er legt das restliche Holz in den Herd und sie warten ungeduldig auf Heinrich. Martin hält derweil die Hand der Kranken und er redet sanft zu ihr. Die Frau scheint ihn nicht zu hören, zumindest reagiert sie nicht. Als Heinrich nach Hause kommt fragen sie ihn sofort ob sie seine Mutter untersuchen dürften. "Bruder Martin kennt sich ein wenig mit den Krankehiten aus. Er ist zwar nicht unser Medicus aber er hilft in unserer Krankenstube aus." erklärt Philip rasch. Martin nickt. Heinrich ist sichtlich überfordert mit dieser neuen Option. "Meint ihr wirklich ihr könnt Mutter helfen?" fragt er bang. Martin erwidert leise: "Das weiss ich noch nicht. Dazu müsste ich deine Mutter untersuchen. Darf ich?" Heinrich nickt eingeschüchtert und Martin fängt an die Frau abzutasten. Zunächst tastet er an ihrem Hals ob er irgendwelche Verdickungen ertasten kann. "Hat deine Mutter gehustet?" fragt er Heinrich. Der verneint. "Hatte sie irgendwelche Beschwerden? Hat sie über Kopfschmerzen, Schwäche oder Gliederschmerzen geklagt?" fragt Martin weiter und er nimmt der Kranken die Decke weg um sich ihre Arme und Beine anzuschauen. Heinrich zuckt mit den Schultern. "Mutter hat immer über Schmerzen in den Knien geklagt." sagt der Junge. Martin nickt verstehend als er die geschwollenen und deformierten Knie sieht. Er ertastet sie und dann sagt er: "Aber die Schmerzen an den Knien währen schon länger. Etwas neues ist vor ihrem Fieber nicht dazu gekommen?" Heinrich denkt nach. "Eigentlich nicht." sagt er. Martin betrachtet das schlecht sitzende Kleid der Kranken. Es ist viel zu weit. Entweder hat die Frau sehr abgenommen oder es ist nicht ihr Kleid. "Hat deine Mutter ein neues Kleid an?" fragt Martin und Philip würde gerne auflachen. Der Lumpen der die Frau kleidet sieht alles andere als neu aus. Heinrich bejaht nickend. "Das Kleid hat Mutter von unserer Nachbarin bekommen. Es hat ihrer Mutter gehört die vor vier Wochen von uns gegangen ist. Mutters Kleid war aber auch schon sehr zerschlissen." erklärt der Bub errötend. Martin schaut sich die Haut an den Armen und an den Beinen genau an. Dann sagt er mit fester Stimme: "Deine Mutter leidet an Fleckfieber. Schau, hier sind die Flecken. Das schlimmste Fieber hat sie wahrscheinlich schon hinter sich. Ich gebe ihr Fieber senkende Kräuter und wir kühlen ihre Arme und Beine mit Wasser. Wenn du hast gerne auch Kohl. Vielleicht haben wir Glück und deine Mutter übersteht die Krankheit. Wir werden auf alle Fälle für sie beten." sagt Martin und dann holt er aus seiner Satteltasche allerhand Salben und Kräuter heraus. Heinrich läuft zur Nachbarin um sich ein paar Kohlköpfe auszuleihen. Martin macht Krautwickel daraus die das Fieber senken. Bald duftet die kleine Kate nach Kraut und Kräutern. Aus dem restlichen Kohl kocht Philip eine nahrhafte und kräftigende Suppe. Da Martin bei der Kranken wacht müssen Heinrich und Philip die kleine Hütte säubern. Sie schrubben jede Ecke und fegen den ganzen Schmutz aus der Hütte. Martin schickt Heinrich die Kleidung und die Decken zu waschen. Ein paar Tage verbringen Philip und Martin bei Heinrich. Da das Essen knapp wird geht Philip zu der Enklave um dort um etwas essbarem zu bitten. Doch da die Brüder ihn nicht erkennen geben sie nichts. "Wir warten selber auf Nahrung." weisen sie ihn ab. Philip weiss dass bald ein Wagen aus Kingsbridge ankommen wird. Er hat ihn selber noch vor seiner Abreise beauftragt. Nun wartet er auf die Lieferung und er fängt sie ab. Die Lebensmittel, die eigentlich für die Mönche gedacht waren leitet er in das Dorf um. Die Menschen hungern hier. Sie haben sich noch nicht vom letzten Winter erholt und der Lehnsherr scheint ihnen nichts zu erlassen. Da die Mönche auch nichts vom Teilen halten ist das kleine Dorf verelendet. Der alte Priester, der in der Kapelle wohnt kann seinen Gläubigen kaum helfen. Er ist nicht mehr gut zu Fuss und er ist kaum noch in der Lage die Messe zu lesen. Philip übernimmt die Sonntagsmesse und er spendet den Gläubigen das Sakrament. Einige Mütter kommen zu ihm und bitten ihn dass er ihre Kinder taufen möge. Philip hat also alle Hände voll zu tun. Er ist enttäuscht von den Brüdern dass die sich so gar nicht um die Menschen kümmern und jede Hilfe verwehren. Doch Philip packt nun an wo er anpacken kann. Er tauft die Kinder, segnet und verheiratet die Ehepaare und er stört sich auch nicht daran dass er die Eltern traut und gleichzeitig die Kinder tauft. Er weiss dass die Kirche es normalerweise nicht gerne sieht wenn die Eltern heiraten nachdem sie die Kinder geboren haben, aber da möchte Philip nicht richten. Er ist froh dass die Menschen an Gott glauben und er will ihnen Hoffnung schenken. Das Essen das er verteilt hilft sehr den Menschen Hoffnung zu schenken. Philip bittet Bruder Thomas, der den Wagen zur kleinen Enklave bringen sollte und sich nun mitten im Dorf wiederfindet noch ein oder zwei Fuhren an Lebensmitteln zu bringen. Natürlich wird auch eine Lieferung zu den Mönchen gebracht. Aber längst nicht so üppig wie die Brüder es gewohnt sind. Philip selber ist derjenige der ihnen erklärt weswegen er ihnen nur noch Grundnahrungsmittel zukommen lässt. Er geht zu den Brüdern und er lässt sie sich versammeln. Dann spricht er zu ihnen: "Ich bin zutiefst von eurem Verhalten enttäuscht. Vor ein paar Tagen hat ein junger Mann an eure Tür geklopft und um Hilfe gebeten. Er wollte die Sterbesakramente für seine Mutter erbitten. Die Mutter liegt im Sterben weil die Menschen in eurer unmittelbaren Nachbarschaft an Hunger leiden. Der Winter war hart und sie haben über den Sommer nicht genug erwirtschaftet um die Schulden zu begleichen und gleichzeitig genug zu essen zu haben. Es sind gute und fleissige Menschen, sie haben Bruder Martin und mich gerne in ihrer Mitte aufgenommen und sie haben uns beherbergt wo ihr es nicht getan habt. In unserer heiligen Schrift, im Buch des Apostel Matthäus in Kapitel 7 Vers 7 spricht Jesus: "Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan." Philip schaut die Brüder streng an. "Jesus selber will dass wir die Bitten erhören, die suchenden nicht wegschicken und diejenigen die anklopfen nicht verhöhnen. Doch dies habt ihr alles getan. Ihr habt Heinrich beschimpft, ihn nicht angehört und ihm nicht geholfen. Als euer Prior mit einem eurer Mitbrüder vor eurem Tor stand habt ihr uns weg geschickt. Wie könnt ihr nur glauben dass euch dann vergeben wird? Wie könnt ihr von Jesus erwarten dass er euch einst seine Himmelspforte auftun wird?" Philip schaut wütend in die Runde und er schaut jeden Bruder genau an. Die meisten halten ihre Häupter gesenkt und sie schämen sich. Wenigstens etwas! denkt sich Philip. "Das Dorf hätte schon länger Hilfe nötig gehabt. Ihr hättet helfen müssen anstatt weg zu schauen." erklärt Philip den Brüdern. Da meldet sich Bruder Anselm zu Wort dem die kleine Enklave untersteht. "Wir haben selber nur sehr wenig und wir sind von euch abhängig. Wie können wir da abgeben?" fragt er zaghaft. Philip schaut immer noch sehr streng. "Ihr hättet uns um mehr bitten können. Hier hungern Menschen. Meint ihr wir hätten euch die Lebensmittel versagt?" regt sich Philip auf. Anselm duckt sich etwas vor Philips Zorn. Doch tapfer hält er dagegen: "Das Dorf unterliegt dem Lehen derer von Shyring. Sie sind für das Elend verantwortlich, weil sie den Bauern das letzte Korn nehmen!" Philip seufzt. "Ich werde zur Burg Shyring gehen und dieses Unrecht anprangern." erklärt er. "Doch das entschuldigt nicht euer Verhalten dass ihr dem armen Jungen die Sakramente für seine sterbende Mutter versagt." Die Mönche geben Philip ausnahmslos recht und sie geloben Besserung. "Wie geht es Heinrich nun? Sollen wir seine Mutter beerdigen?" fragt Bruder Anselm zerknirscht. Philip schüttelt seinen Kopf. "Nein. Bruder Martin ist bei ihr und er hilft ihr mit Kräutern die schlimme Krankheit zu überstehen. Betet für sie damit sie es überlebt. Doch bis jetzt schaut es ganz gut aus. Seit heute morgen ist ihr Fieber gesunken und sie ist wieder bei Sinnen. Sie hat ein paar Schlucke getrunken und sogar ein wenig Suppe essen können." Bei der Erwähnung des Essens lecken sich einige der Brüder über die Lippen. Philip weiss dass sie seit einigen Tagen den Gürtel sehr eng schnallen mussten. Die wichtige Lieferung an Nahrungsmitteln hat er ja abgefangen und die Dorfbewohner haben sie bekommen. Philip nimmt sich vor den Brüdern doch wieder etwas mehr an Lebensmitteln zu schicken.
Als Philip am Nachmittag wieder im Dorf ankommt da sitzt Heinrichs Mutter schon wieder in ihrem Bett. Sie ist noch schwach aber sie ist nicht mehr so blass und sie sieht wirklich aus als sei sie auf dem Wege der Besserung. Heinrich und Martin haben die ganze Hütte geputzt und gefegt. Sie haben alle Kleider gewaschen und alle Decken ausgeklopft. Martin ist sich sicher dass das Fleckfieber durch Schmutz und Unsauberheit Einzug in die kleine Kate erhalten hat. Als Philip sich sicher ist dass es den Menschen in dem kleinen Dorf wieder gut geht beschliesst er dass der alte Priester seinen Lebensabend in der kleinen Enklave verbringen darf. Er bringt den alten Mann persönlich hin und er beauftragt die Brüder die Sonntagsmesse für die Dorfbewohner zu lesen und sich ab sofort um die Belange der Menschen zu kümmern.