Teil 12

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Philip und Martin werden in einen kleinen Raum geführt in dem ein Tisch und ein paar Stühle stehen. Der Tisch ist aus dickem Holz der mit Intarsien reich verziert ist und die Stühle sind schwer, wunderschön gedrechselt und mit edlem Leder bezogen. Martin schaut sich in dem Raum neugierig um. Die Wände sind mit Vorhängen abgedeckt und als Martin aus dem kleinen Fenster schaut kann er weit über die Landschaft sehen. Philip hat mehr Interesse daran seinen kleinen Novizen zu beobachten als das Mobiliar oder die Aussicht zu geniessen. Die Begeisterung die in dem hübschen Gesicht sichtbar ist erwärmt Philips Herz. Der Kleine ist wesentlich kommunikativer als zu Anfang als sie sich kennen lernten, bemerkt Philip. War sein Gesicht damals sehr verschlossen und zeigte eher Wehmut und Trauer so trägt es nun die Stimmung des Kleinen stets nach aussen und Martin ist meist fröhlich und sehr interessiert an allem was Philip ihm erzählt. Martin scheint nun begeistert von dem Ausblick zu sein, er hat das Fenster weit geöffnet und er lehnt sich heraus um gespannt nach draussen zu sehen. Mit strahlenden Augen wendet er sich an seinen Prior und verkündet atemlos: "Wir sind hier so hoch wie die Vögel fliegen!" Philip tritt hinter Martin, legt seine Arme um dessen Hüften um ihn notfalls festzuhalten sollte dieser sich in seiner Begeisterung zu weit hinauslehnen. Er lächelt seinem Novizen zu und möchte ihm gerade antworten als die Türe aufgeht und ein Mann hereinkommt der Philip seltsam vertraut vorkommt und Martin sehr verwundert weil er Philip doch äusserst ähnlich sieht. Der Fremde hat eine schwarze Kutte an und einen weissen Rosenkranz umgebunden. Er ist ein wenig fülliger als Philip und das Haar trägt er nicht struppig sondern ordentlich. Auf seinem Hinterkopf ist eine Tonsur akkurat einrasiert. Der Fremde stutzt als er Philip erblickt. Erstaunt starren sich die Männer an. Martin fallen vor Verwunderung fast die Augen aus dem Kopf. Doch dann überwinden die Männer ihre Überraschung und sie beginnen zu strahlen. Es beginnt in ihren Augen und zieht sich dann über ihr ganzes Gesicht. Bei Philip erreicht es sogar die Arme und den Körper. Er ruft freudig: "Francis!" und er dreht sich von Martin weg um dem anderen entgegenzugehen. Dabei öffnet er seine Arme. Der angesprochene muss über diese freudige Begrüssung lachen aber auch er geht mit einem fröhlichen "Philip!" weiter auf den Prior zu und lässt sich in eine liebevolle Umarmung ziehen. "Wie schön dich zu sehen! Welch freudige Überraschung! Was machst du hier?" fragt Francis und er drückt sich glücklich an des anderen Brust. Martin beobachtet das Schauspiel mit bangem Herzen. Wer ist dieser Fremde der so vertraut mit seinem Prior ist? Sogleich soll er es erfahren denn sein Philip wendet sich ihm zu und er sagt aufgeregt: "Martin, das hier ist mein jüngerer Bruder Francis!" Martin fällt es nicht einfach den Bruder zu begrüssen. Noch nie hat sein Herz so sehr geschmerzt wie in dem Augenblick als sein Philip glücklich in den Armen eines anderen gelegen ist. Philip winkt Martin heran und er stellt seinen kleinen Novizen vor: "Francis, das hier ist Martin. Er ist Novize bei uns in Kingsbridge und er ist meine rechte Hand." Francis lächelt ganz fröhlich dem Jüngeren zu doch der kann ihn nur um Fassung ringend anstarren. Erst als die älteren ihre Umarmung endgültig lösen kann Martin wieder atmen. Es hat ihm im Wahrsten Sinne des Wortes den Atem verschlagen. Nachdem sich die Männer begrüßt haben setzen sie sich an den edlen Tisch. Nur zögerlich setzt sich Martin nach Aufforderung neben Philip. Der bemerkt dass sein kleiner Novize verunsichert ist und er streichelt ihm fürsorglich über  den Rücken. Martin lächelt Philip hilflos zu aber Philip kann nicht verstehen was Martin gerade so entsetzt. Francis beobachtet seinen Bruder verwundert. Er hat Philip nicht gerade als einen fürsorglichen, kuschelbedürftigen Mann in Erinnerung. Im Gegenteil. Als er seinen Bruder nach dem Tod der gemeinsamen Eltern gebraucht hätte hat Philip ihm zwar stundenlang, ja tagelang zugehört aber er hat ihn kein einziges mal in den Arm genommen um ihn zu trösten. Auch andere Brüder hat Philip nie umarmt, zumindest nicht wenn Francis es hätte mitbekommen können. Und nun lächelt er liebevoll diesem kleinen Kerl zu als seien sie innig miteinander vertraut. Dass die streichelnde Hand am unteren Rücken liegenbleibt als sich Philip wieder seinem Bruder zuwendet nimmt Francis ebenfalls sehr erstaunt zur Kenntnis. "Sag, weswegen bist du in Shyring?" fragt Francis und Philip erklärt ihm dass er inzwischen Prior in Kingsbridge ist und dass die Kirche baufällig war und abgerissen ist. "Sie ist weg?" haucht Francis entsetzt. Dass der ehemalige Prior James verstorben ist und sein Bruder zu dessen Nachfolger ernannt wurde hat er bereits erfahren. Doch dass das Kloster in dem er seine Kindheit verbracht hat baufällig ist hat er nicht gewusst. Für ihn ist Kingsbridge sein Zuhause. Auch er ist unter dem guten Prior James aufgewachsen und fühlt sich sehr mit dem Kloster verbunden. Philip nickt traurig. "Wir werden die Kirche wieder aufbauen und du wirst sehen, sie wird noch viel schöner als vorher, denn wir haben den Welt besten Baumeister!" meldet sich Martin leise aber begeistert zu Wort. Er hat erkannt welch Schmerz der fremde Mann bei der Vorstellung dass dieses Kirchengebäude nicht mehr existiert verspürt hat und er möchte ihn mit seinen Worten trösten. Francis schaut zu Martin und der errötet sanft. Er senkt seinen Blick und lehnt sich hilfesuchend an Philip dem er praktisch am Körper klebt. Philip neigt seinen Kopf leicht gegen den Novizen und er nimmt strahlend dessen Worte auf: "Ja, Francis. Die Kirche wird wunderbar werden. Wir wollen sie ganz aus Stein bauen, so dass sie Wind und Wetter trotzen kann. Sie wird so gross, wie du dir nur vorstellen kannst. Sie soll ganz hell werden mit richtig grossen Fenstern und Säulen die bis in den Himmel reichen." Francis schaut seinem Bruder in dessen begeistertes Gesicht. Er strahlt vor Leidenschaft für dieses Gebäude. Francis muss unweigerlich lächeln. Er hat seinen Bruder noch nie so glücklich und so leidenschaftlich erlebt. Das Priorsamt und die daraus resultierende Aufgabe ist seinem älteren Bruder wie auf den Leib geschnitten und es tut ihm offensichtlich sehr gut. Francis lächelt. "Ich möchte deine Kirche gerne einmal sehen." sagt er und er bemerkt verwundert wie sich ein paar Wolken über Philips strahlendes Gesicht legen. "Unsere Kirche." verbessert der ältere leise und er drückt den kleinen Novizen kurz noch enger an sich. "Ich kann keine Kirche alleine bauen. Die Kirche wird von vielen Menschen gemeinsam zum Lobe Gottes realisiert. Ohne Tom Builder, meinen Baumeister und ohne die vielen hundert Menschen in Kingsbridge die auf der Baustelle arbeiten kann ich gar nichts tun. Aber gemeinsam, Francis, gemeinsam können wir dieses Wunder errichten. Tom hat mir schon Zeichnungen von der Kirche gezeigt, sie wird ein Traum! Wirklich ein Traum." Francis freut sich über die Euphorie die aus seinem Bruder spricht. Er hatte nie den Eindruck dass sein älterer Bruder glücklich im Kloster ist. Er hat stets befürchtet dass der ältere aus Pflichtgefühl gegenüber dem Prior James im Kloster geblieben sei. Dass er ihn nun so glücklich erlebt lässt Francis hoffen dass Philip sich wohl fühlt. "Und warum seid ihr dann hier in Shyring?" fragt Francis noch einmal. "Weil wir nicht genügend Baumaterial besitzen." sagt Philip und er erläutert: "Ich würde gerne den Herren von Shyring bitten dass ich in seinen Steinbrüchen Steine für die Kirchenmauern und in seinen Wäldern Bäume für die Gerüste holen darf." Francis nickt verstehend.  Dann fragt er: "Und was bietest du im Gegenzug dafür an?" Philip bekommt grosse Augen. Martin antwortet fröhlich: "Wir könnten ihn in unsere Stundengebete aufnehmen oder ihm eine Kapelle widmen." Francis lächelt zu dem kleinen, eifrigen Novizen. "Ich befürchte dass die neuen Herren von Shyring euch die Baumaterialien nicht für Gotteslohn überlassen werden." Philip verstummt vor Schreck. Er scheint keinen weiteren Plan zu haben. Martin dagegen sagt: "Ich habe die Bullen und Urkunden in unserer Klosterbibliothek gelesen. Zahlreiche Ländereien, die als Lehen von Shyring gelten gehören eigentlich dem Kloster. Wir könnten anbieten dass sie diese Lehen behalten dürfen, die sie bewirtschaften." Francis wundert sich aber Martin erklärt was er herausgefunden hat. Zahlreiche Dörfer und Gehöfte gehören eigentlich zum Kloster, geben aber den Tribut an die Grafschaft. Francis überlegt ein wenig dann sagt er: "Der König ist zugegen. Ihr könnt König Stefan um Gerechtigkeit bitten. Vielleicht spricht er euch ja das Recht zu dass ihr die Lehen gegen den Steinbruch tauschen dürft. Falls nicht könnt ihr die Steine von dem Gewinn der Lehen bezahlen." Philip nickt zufrieden. Martin runzelt die Stirn. "Wenn wir noch solch einen harten Winter bekommen dann nützen uns die Lehen nichts." merkt er nachdenklich an. Francis amüsiert sich über den jungen Mann. Er scheint alle Eventualitäten schon einmal in seinem niedlichen Köpfchen bedacht zu haben. Martin schaut Francis plötzlich mit einem sehr stechenden Blick an. "Sag, wie schätzt du unsere Chance ein wenn wir beim König ein Marktrecht erbitten? Mit einem Markt werden wir mit Sicherheit genug Geld für unseren Kirchenbau erwirtschaften. Wir wären dann sicherlich unabhängiger." Francis lächelt. "Wie ich meinen König kenne wird er euch das Marktrecht für eine Kapelle und Stundengebete gewähren. Stefan ist ein Mann Gottes." sagt er ernst und erntet dafür zwei strahlende Blicke. "Kannst du uns eine Audienz bei König Stefan organisieren?" bittet Martin frech und Francis nickt. Philip hebt erstaunt eine Braue und Francis erklärt lachend: "Ich bin sozusagen König Stefans rechte Hand, ich bin sein Schreiber." Dankbar über die gute Fügung dass der König sie bestimmt empfangen wird und ihnen dann bei ihrem Vorhaben helfen wird verbringt Philip den Nachmittag und Abend fröhlich plaudernd mit seinem Bruder Francis. Martin hat bei diesem innigen Gespräch wenig beizutragen, schwelgen die Geschwister doch hauptsächlich in ihrer gemeinsamen Erinnerung. Als die beiden nach dem Abendbrot ihre Unterhaltung an dem mächtigen Kamin fortsetzen kuschelt sich Marin in Philps Schoß ein und ihm fallen vor Müdigkeit die Augen zu. Philip streichelt selig lächelnd durch die Locken des jüngeren. Francis fragt mit belegter Stimme: „Du magst den Kleinen sehr, oder?" Philip bejaht mit leuchtenden Augen. „Ja, der Junge ist so fleißig und wissbegierig, dabei bescheiden und fromm. Er ist das Abbild eines Novizen, das kannst du dir gar nicht vorstellen." erklärt Philip glücklich. Als er das skeptische Gesicht seines Bruders sieht stutzt er ein wenig und hört auf Lobeshymnen über Martin zu erzählen. „Was ist?" fragt Philip statt dessen verwundert und Francis windet sich etwas bevor er leise tadelnd erklärt: „Du wirkst mit Martin zu innig vertraut. Ständig seid ihr im Körperkontakt und du streichelst und schmust den Kleinen als wärt ihr mehr als nur vertraute Brüder." Philip erschrickt bei Francis Worten. Im ersten Moment nimmt er erschrocken seine Hände von dem jüngeren der so unschuldig auf ihm eingerollt schläft. Doch dann legt er seine Hände wieder sanft auf Martin und er erklärt seinem Bruder: „Ich liebe Martin mit meinem Herzen. Seine Gesellschaft macht mich fröhlich und ich möchte ihn nicht missen. Ich kann dir aber versichern dass wir uns nicht näher sind als unser Gelübte zulässt." Francis schaut Philip skeptisch an. Doch er hat keinen Grund an der Aufrichtigkeit seines Bruders zu zweifeln. Da es schon spät ist verabschieden sich die Brüder. Francis verspricht morgen König Stefan um die Audienz zu bitten. Da Martin schon schläft trägt Philip ihn kurzerhand in ihre kleine Kammer die ihnen zugewiesen worden ist.

PhilipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt