Teil 5

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Die Taufe hat Martin sehr verändert. Er ist nicht mehr der kleine Junge sondern er wirkt seit dem erhaben. Dem Medicus haben Philip und Martin das Versprechen abgerungen dass er niemandem erzählen soll dass Martin Flügel besitzt, doch auch ohne dass der Medicus es ausplaudert merken die Brüder alle dass Martin verändert ist. Sein Lächeln ist nicht länger ergeben sondern huldvoll. Er wirkt viel autoritärer und er läuft weniger geschäftig durch die Gänge. Sein Gang ist aufrechter und schwebender. Ein himmlischer Glanz scheint ihn zu umgeben auch wenn er seine Flügel eingefaltet lässt. Besonders nachts fällt Philip auf dass Martin keine Kerze mehr zu entzünden braucht wenn Johannes ihn um Mitternacht aus dem Bett ruft. Ausserdem spricht Martin seit dem er getauft ist mit den anderen Brüdern und er erhebt während der Stundengebete seine Stimme. Seine glockenhelle, reine Stimme lobt Gott während der Messfeierlichkeiten in den höchsten Tönen und die Menschen die an diesen Gottesdiensten teil nehmen haben stets das Gefühl ein Stück der Herrlichkeit des Herrn zu erhaschen wenn sie Martin zuhören. Seit dem Martin mitsingt füllt sich die provisorisch reparierte Kirche immer mehr. Die Menschen aus der kleinen Stadt und auch aus den umliegenden Gehöften finden immer häufiger ihren Weg in die Kirchenruine um gemeinsam mit den Mönchen die Messe zu feiern. Mit den Menschen kommen auch das Geld in die Kirche. War zu Ostern der Klingelbeutel mit ein paar Pfennigen gefüllt, so ist es im Sommer schon ein ganzer Taler der für den Neubau der Kathedrale zusammengekommen ist.

Philip gibt sich richtig Mühe in seinem Amt. Er möchte Kingsbridge in einen Ort verwandeln an dem man gerne lebt. Dazu benötigt er aber mehr Geld als in dem Klingelbeutel zusammenkommt. Martin hat immer ziemlich gute Ideen um Geld zu verdienen.  So haben sie Fischteiche angelegt und eine eigene Mühle gebaut. Als sie mal wieder nach Shyring unterwegs sind um die Wolle ihrer Schafe zu verkaufen  überredet Martin Philip einen eigenen Markt zu eröffnen.  „Lass uns an den König wenden! Er hat sicherlich auch Interesse daran dass unsere Kirche bald wieder steht. Wir könnten ihm anbieten dass er eine Kapelle bekommt wenn er uns das Marktrecht gibt." Philip liebt es wenn Martin von ‚unserer' Kirche spricht. Er hat dann immer das beruhigende Gefühl dass dem Knaben auch an der Kirche gelegen ist. Martin stammt ja nicht von hier und Philip könnte sich vorstellen dass er Heimweh hat. Aber wenn Martin so vergnügt und Pläne schmiedend neben ihm her zieht, dann weiß er dass diese Angst unbegründet ist.
Der Markt ist laut und voll. Die Händler sind alle gut beschäftigt. Einer schimpft gerade mit einer jungen Frau die ihre Wolle verkaufen will. Er bietet ihr für ihren Ballen einen unverschämt niedrigen Preis. Der Junge, der bei ihr steht, ist zu alt um ihr Sohn zu sein aber auch zu jung um schon ihr Gemahl zu sein. Martin wundert sich. Die Frau geht frustriert vom Händler weg. Tränen der Verzweiflung rollen ihr über die Wangen.  Sie sieht dass Martin sie anstarrt. „Was willst du?" fragt sie barsch. „Ich kaufe dir deine Wolle ab. Wenn du sie mir gibst."sagt Martin ernst zu ihr. „Warum?" fragt sie argwöhnisch. „Weil ich mit Wolle handle." antwortet Martin schulterzuckend. Philip ist gerade dabei ihre Wolle dem Händler zu verkaufen. Er bekommt mehr als den dreifachen Preis pro Ballen geboten wie eben das Mädchen.„Wie viele Ballen habt ihr?" fragt der Händler. „8" sagt Philip. „9" ruft Martin. „9" berichtigt sich Philip lächelnd. Was Zahlen und Mengen angeht  vertraut er seinem Novizen. Martin ist inzwischen für Philip so etwas wie ein Sekretär geworden. Stundenlang brüten sie daheim über den Rechnungsbüchern und Martin verrechnet sich selten.  Martin nimmt indes die Wolle der Frau und hievt sie zusammen mit seinen 8 Ballen auf den Karren des Händlers. Der gibt Philip das Geld. Martin nimmt sich das Geld für den einen Ballen und gibt es der Fremden. Sie bedankt sich sichtlich erleichtert. „Dankeschön! Darf ich euch zum Essen einladen?" sagt sie als sie das viele Geld in ihren Händen hält. „Danke, das ist sehr lieb. Aber wir haben unser Proviant dabei. Dürfen wir euch einladen unser Brot mit euch zu teilen?" fragt Martin freundlich. „Bruder Matthias gibt immer reichlich. Wir wären erfreut wenn ihr unsere Gäste seid." ergänzt Philip. Er bewundert Martin. Der hat die Not gesehen und eine einfache und praktische Lösung gefunden während er selber das Mädchen nur bedauert hat. Es hat Martin nichts gekostet für Gerechtigkeit zu sorgen. Die junge Frau ist über die Einladung zum Essen sehr erfreut. Gemeinsam setzen sie sich auf eine niedrige Mauer die ein wohlhabendes Stadthaus umzäunt. Martin holt aus der Satteltasche des Mulis ihr Proviantpaket und reicht es Philip. Es gibt ausreichend Brot und Käse. Dazu saures Bier und süsse Äpfel. Martin reicht drei Äpfel Philip der sie an die anderen weiter gibt und den vierten verfüttert Martin an das Muli. Er krault dem Tier den Kopf und tätschelt es. Das Muli stupst Martin glücklich an. Philip hat den Eindruck dass sogar die Tiere Martin sehr zugetan sind. Nicht nur das Muli reagiert freundlich auf Martin auch die Schafe scheinen sich über Martin zu freuen und eilen stets zu ihm wenn er mal wieder ihre Weide betritt. Philip beobachtet kurz lächelnd seinen Novizen mit dem Tier.
Dann schneidet Philip Brot und Käse auf. Sie greifen alle zu und essen gemeinsam. Das Muli stibitzt Martin sein Brot. Der lacht nur und krault das Tier. „Wieso habt ihr uns geholfen?" fragt die Frau. „Weil Ihr Hilfe nötig hattet." antwortet Martin als sei das das natürlichste der Welt. Die Frau nickt. Der Junge sagt traurig: „Wir haben schon seit einer ganzen Weile Hilfe nötig aber keiner hat uns jemals geholfen." Martin schaut ihn entsetzt an. „Wer seid ihr?" fragt Philip. „Aliena und Richard von Shyring." sagt die junge Frau mit hoch gerecktem Kinn. Philip erkennt jetzt die Tochterdes Lehnsherrn von Shyring. Er ist erstaunt sie so ärmlich gekleidet und Dienstbotenarbeit verrichtend zu sehen. „Ich bin Prior Philip und das ist Bruder Martin." stellt Philip sich selbst erst einmal vor.  „Wieso verkauft ihr Wolle?" will er dann von ihnen wissen. „Die Hamleihgs sind die neuen Herren von Shyring." wir stehen nicht in ihrer Gunst und irgend wo von müssen wir leben." erklären die beiden. Philip hat mitbekommen dass der weltliche Adel in seiner Nachbarschaft gewechselt hat. Der ehemalige Lehnsherr, der Vater von Aliena und Richard hat wohl eine Intrige gegen den amtierenden König gesponnen und darum ist die Gunst ein Lehen zu führen ihm entzogen worden. Offenbar hat die Familie Hamleigh nun das Lehen zugeteilt bekommen. Philip kratzt sich am Kopf. Mit dem Namen Hamleigh verbindet er nichts Gutes. Es ist eine arrogante Familie, die nicht dafür gerühmt wird besonders Gottesfürchtig zu sein. Die Eltern nicht und ihr Spross erst recht nicht. Es ist ein aufbrausender junger Mann, der schnell mit dem Schwert ist.   „Philip du musst unbedingt mit König Stephan verhandeln. Wenn Kingsbridge erst einmal das Marktrecht hat kann keiner Aliena mehr übervorteilen." bettelt Martin und zupft vor Aufregung an Philips Kutte.  Philip lächelt ihn an. „Ich werde mich bemühen." sagt er sanft und löst die Finger seines Novizen von seiner Kleidung. Aliena schaut Martin und Philip mit glänzenden Augen an. „Aber bis dahin können wir dir gerne deine Wolle abkaufen. Wir sind im Frühjahr noch zwei mal hier." bietet Philip ihr an. Aliena nickt begeistert. Sie hat an diesem Tag mehr als das Doppelte von dem verdient was sie sich ausgerechnet hatte. Die beiden sind ein Geschenk Gottes, da ist sie sich sicher.
Sie verabschieden sich voneinander. Philip segnet die beiden Geschwister. „Bis bald." lächelt Martin die beiden an.

PhilipWo Geschichten leben. Entdecke jetzt