Kapitel 72

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Seit zwei Tagen darf Tae seinen Freund besuchen. Seit zwei Tagen wartet er darauf, dass Jungkook aufwachte. Hoffend streichelt er über dessen Hand. Küsst sie und schmiegt sein Gesicht daran. Eigentlich hätte er aufwachen sollen nachdem sie das künstliche Koma beendet hatten, doch nichts geschah. Es gab keine Schwierigkeiten. Keine weiteren Blutung. Nichts. Und trotzdem wollte sein Freund nicht seine Augen auf machen. Am Anfang hatte er deswegen noch geweint. Mittlerweile ging auch das nicht mehr. 

Der Arzt erklärte, dass durch den Schock für kurze Zeit das Gehirn ausgesetzt hatte und das eine Möglichkeit von vielen war, warum er weiterhin ohne Regung da lag. Der zuständige Arzt meinte selbst, dass man jetzt nur noch warten konnte, bis er sich bereit fühlte wieder am Leben teilzuhaben. 

"Weißt du, unsere kleine Tochter entwickelt sich super, sagt ihre Ärztin. Wenn es so weiter geht könnten wir sie bald mit nach Hause nehmen. Du musst mir auch noch bei einem Namen helfen. Wir haben uns noch nicht Entschieden gehabt. Mittlerweile bin ich immer mehr für Yuna. Bei dem was sie bereits in ihren ersten Tagen auf dieser Erde geschafft hat ist das wohl am passendsten. Findest du nicht auch?" Tae schwieg wieder. 

Was hatte er nicht alles Jungkook schon erzählt und jedes Mal war er noch enttäuschter, weil keine Reaktion kam. "Taeguk ist gerade bei den anderen. Diese ganze Krankenhausatmosphäre ist nichts für ihn. Er hat es besser zu Hause. Du übrigens auch! Dazu musst du aber aufwachen." Tae legte wieder seinen Kopf auf das Bett und Jungkooks Hand auf sein Gesicht. So hatte er das Gefühl kurz abgeschirmt zu sein von dem Rest, der um ihn herum passierte. Dieses Piepen raubte ihm den letzten Nerv, wobei es ja eigentlich nur gutes Bedeutete. Solange das Gerät weiterhin einen regelmäßigen Herzschlag aufzeichnete, ging es auch Jungkook gut. So einfach war das. Fand Tae aber nicht, denn irgendwas stimmte nun mal gar nicht, wenn er weiterhin im Koma lag. 

"Ok, ich geh mal zu unserem Mädchen. Sie schläft zwar eigentlich auch nur, aber trotzdem reagiert sie auf mich. Ganz anders als du... Ach verdammt, dass ist kein Vorwurf! Du brauchst es wahrscheinlich, sonst würdest du mir nicht solche Sorgen bereiten..." Er stand auf und legte die Hand seines Freundes wieder neben dessen Körper. "Ich komm später wieder. Bis dahin bist du wach, Klar?" Er zeigte grinsend auf Jungkook, doch schnell verschwand dieses Grinsen wieder und er senkte seine Hand. Er drehte sich zu Tür und lief langsam auf sie zu. Schnell drehte er sich wieder zu ihm. "Jetzt bist du aber wach!..." Scheiße, er machte sich hier zum Deppen. Könnte Jungkook es sehen, würde er Lachen, wenn der Grund dafür nicht so traurig wäre. 

Tae seufzte auf und ging dann aus dem Zimmer raus. Jungkoos Eltern würden morgen eintreffen. Ihren Sohn so zu sehen wird ihnen wahrscheinlich ihr Herz brechen. Seine Mutter machte sich eh schon seit Jahren Vorwürfe nicht genug für ihn da gewesen zu sein. Nicht so viel Zeit mit ihm gehabt zu haben, wie andere Mütter für ihre Kinder. Und dann auch noch sowas... Als Tae sie angerufen hatte, war sie am Telefon zusammengebrochen und selbst für einen Tag ins Krankenhaus gekommen. Der Anblick von ihm im Krankenhausbett mit lauter Schläuchen würde ihr hoffentlich nicht den Rest geben. 

Er nickte der Krankenschwester zu, die auf ihn zu kam und drückte dann auf den Knopf für den Fahrstuhl. Er hatte das Gefühl mittlerweile alle Angestellten hier zu kennen, denn er hatte bisher das Krankenhaus, außer am ersten Tag, nicht einmal verlassen. Er hatte hier geschlafen, geduscht und gegessen. Abwechslung gab es ab und zu, wenn die Jungs mit Taeguk vorbei kamen oder er seine Tochter oben besuchte. Seine Kinder waren gerade der einzige Lichtblick in seinem Leben und munterten ihn immer wieder aufs Neue auf. Taeguk wusste natürlich nicht, was mit seinem Papa nicht in Ordnung war und verhielt sich daher Jungkook gegenüber nicht anders als sonst auch. 

...

Wieder kam Herr Kim auf die Frühchen Station. Er war ungefähr immer dreimal am Tag hier für ungefähr eine Stunde, dann ging er wieder zu seinem Freund auf die Intensivstation. Wenn er so weiter machte, dann würde auch er irgendwann zusammen klappen, aber in diesem Zustand konnte er solch einen Rat gerade nicht annehmen. Sein Mädchen hatte auch noch keinen Namen, aber Dr. Kim hatte das Gefühl, dass es nur ein Eingeständnis für ihn wäre, wenn er ohne seinen Freund den Namen aussuchte. Ein Eingeständnis, dass er vielleicht gar nicht mehr aufwachte, was durchaus schon vorgekommen war im Laufe ihrer Karriere. Es machte ihr immer besonders stark zu schaffen, wenn die Angehörigen feststellten, dass es nicht mehr weiterging und die Hoffnung langsam zu schwinden begann. 

Bisher waren es nur zwei Tage, aber es konnte noch Monate so weiter gehen, ohne das sich etwas an der Lage von Herrn Jeon änderte. Mit ihm litt auch das gesamte Krankenhaus. Sie waren die wichtigste Band in Südkorea und hatten es schon fast zu Nationalhelden geschafft. Daher wiegte das Leid der  Gruppe nur um so schwerer auf den Schultern der Mitarbeiter des Krankenhauses, denn sie konnten nichts dagegen machen. Es war wieder nur ein Spiel auf Zeit, wie es täglich hier stattfand. 

Routiniert setzte sich Tae mit Kittel an den Inkubator und streckte seine Hände zu seiner Tochter hinein. Vorsichtig strich er ihr über den Kopf und reicht ihr einen Finger, den sie auch sofort ergriff. Es war bereits ein immer wiederkehrender Ablauf zwischen den Beiden und brachte ihnen etwas Ruhe und Zufriedenheit. Er schöpfte immer wieder neue Kraft, wenn er sie anschauen konnte. Irgendwann würde sie, genau wie Taeguk, auf der Brust von Jungkook liegen und in den Schlaf gewogen werden. 

Tränen wollten sich wieder raus kämpfen, doch er hielt sie zurück. "Denken sie dran Herr Kim: Wenn sie weinen müssen, weinen sie! Ich hab hier eine große Packung Taschentücher, die ich ihnen gerne gebe!", rief ihm Dr. Kim lächelnd von ihrem Beobachtungsposten zu. Tae nickte. "Vielen Dank..." Er musste sich was überlegen, wie er der Frau noch anders danken konnte. Sie war ständig für ihn da und hatte ein offenes Ohr, wenn er mal nicht mehr konnte. Er hatte das Gefühl, dass sie hier wohnte, aber so einen Job machte man wahrscheinlich auch nicht nur fürs Geld. 

Familie - Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt