Irgendwann, sie hatte bereits ein gutes Stück hinter sich gebracht, war sie so erschöpft, dass sie sich einfach in den Sand fallen ließ. So lag sie eine ganze Weile, Schnauze und Augen unter ihren Vorderbeinen begraben, abwechselnd weinend und nach Atem ringend.
Was hatte sie nur getan? Tazamaji war ihr Anführer, sie hatte ihm zu gehorchen, was auch immer er verlangte. Er würde ihr niemals verzeihen. Und keine Löwin des Rudels besaß genug Macht, sich ihm entgegenzustellen. Allmählich dämmerten ihr die Konsequenzen ihrer grenzenlosen Dummheit. Sie war verloren und würde von hier fortgehen müssen. Für immer.
Als Nias Klagen in ein leises Wimmern überging, begann sie plötzlich etwas anderes wahrzunehmen. Zunächst war es nur ein Geruch, befremdlich und unheilverkündend, dann vernahmen ihre Ohren plötzlich ein Geräusch. Es war das Stapfen von schweren Pfoten auf hartem Lehmboden und es drang von Südwesten heran, dort wo die weiten Ebenen lagen. Nia begann ihre Verzweiflung zu vergessen, stattdessen überkam sie ein kalter Angstschauder. Hatte Tazamaji sie gefunden? Was würde er nun mit ihr tun?
Doch der Geruch, den sie wahrnahm, passte nicht zu Tazamaji. Es war ein anderer, fremder Geruch. Als Nia in ihrer Furcht aufsah, stellte sie fest, dass ihre Sicht in Richtung des Ursprungs der Schritte versperrt war. Ein junger, entwurzelter Affenbrotbaum, offenbar ein Opfer des Sturms, lag nicht weit vor ihr und Stamm, Geäst und Blätter blockierten jeden Blick.
Ihren ganzen Mut zusammennehmend kroch Nia voran, so leise es ihr möglich war, bis sie den umgestürzten Baum erreicht hatte. Als sie über den breiten Stamm hinwegspähte, zwischen den Ästen, Zweigen und Blättern hindurch, da erkannte sie etwas. Es handelte sich um einen ausgewachsenen männlichen Löwen, jedoch nicht um Tazamaji, sondern um einen Fremden, einen Eindringling, der das Revier des Rudels betreten hatte. Soweit Nia es auf die Entfernung beurteilen konnte, wirkte er jünger und kräftiger gebaut als ihr Rudelführer. Seine Mähne war dicht und lang und ungewöhnlich dunkel. Sein Gang hatte etwas Zielstrebiges und Selbstbewusstes und er blickte immerzu geradeaus, während er sich Stück für Stück näherte. Nia hielt den Atem an. Sein Weg würde ihn direkt zu den Schlafplätzen führen.
Ihre Furcht wurde weiter geschürt als Nia unweit des ersten Löwen einen zweiten ausmachte. Er wirkte größer und muskulöser als sein Begleiter, sah ihm ansonsten aber sehr ähnlich. Als er näher kam, bemerkte Nia jedoch ein Detail, das ihn deutlich von seinem Gefährten unterschied. Während sein linkes Auge die für die meisten Löwen kennzeichnende bersteinartige Färbung besaß, wirkte das rechte Augen fade, beinahe milchig, wie von einem trüben Wolkenschleier verhangen.
Die beiden Löwen waren Nias Versteck nun bereits beunruhigend nahe gekommen und es verlangte der Löwin bereits ein hohes Maß an Selbstbeherrschung ab, nicht einfach aufzuspringen und Hals über Kopf zu flüchten. Sachte, jede Art von verräterischer Bewegung meidend, senkte Nia den Kopf und duckte sich direkt hinter den umgestürzten Baumstamm, wobei sie sich so klein wie möglich machte. Wenn die Löwen ihrem Pfad treu blieben, würden sie Nias Versteck mit einigen Schritten Abstand passieren. Sie konnte nur hoffen, dass sie unbemerkt blieb und dass ihr Geruch nach Angst sie nicht verraten würde.
Die Schritte wurden erst lauter, dann verstummten sie plötzlich von einem Augenblick auf den nächsten. Das konnte nur bedeuten, dass irgendetwas die Fremden dazu veranlasst hatte, innezuhalten. Nia verfluchte ihre unverbesserliche Neugier. Aller Furcht zum Trotz wollte sie wissen, was diese Fremden taten. Sie hoffte, dass die Äste und Blätter der Baumkrone des umgestürzten Baobabs sie ausreichend verdecken würden, also kroch sie vorsichtig ein Stück voran und riskierte einen Blick. Der Anblick ließ sie erstarren.
Der Fremde mit dem milchigen Auge stand nur ein paar Schritt weit von ihr entfernt und rührte sich nicht. Sie sah ihn an. Und er starrte zurück.
DU LIEST GERADE
Savanne in der Abendkühle
FantasyDies ist meine Geschichte. Eine Geschichte voll Trauer und Schmerz, vom Blut, das den Savannenboden rot färbte und von der unstillbaren Gier und dem Durst nach kalter Rache. Aber es ist auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Mitleid und der H...