Die Höhle - Teil 3

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Nur wenige Schritte vom Bachufer entfernt lag Ajali. Blut trat aus einer Wunde in ihrer Schulter und lief in langen Rinnsalen ihr linkes Vorderbein hinab. Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte die Löwin immer wieder, sich auf die Beine zu kämpfen und stieß dabei jedes Mal auf ein Neues bitterliche und hasserfüllte Schmerzensschreie aus.

»Dieser verdammte Bastard!«, keifte sie, wobei sie Blut und Speichel spuckte. Ihre Augen waren vor Wut und Schmerz rot unterlaufen. »Verdammter Bastard, ich kriege dich! Ich reiß dir dein Gehänge raus und stopf es dir ins Maul! Ich - arrrr -«

Die Löwin brach auf der Stelle zusammen, als ihr Vorderbein nachgab. Unsanft schlug sie auf dem harten Boden auf, was ihren Zorn jedoch nur zusätzlich befeuerte und sie ihre Vergeltungsschwüre nur umso lauter in die Nacht hinausschreien ließ.

Unmittelbar neben Ajali stand Jawabu. Nia erkannte, dass sein Gesicht und seine Flanke einige oberflächliche Kratzspuren aufwiesen. Davon abgesehen schien er unverletzt. Immer wieder versuchte er sich der vor Wut tobenden Ajali zu nähern, doch er hatte sichtbare Mühe, an sie heranzukommen und sie zu beruhigen. Als er Mavunde sah, wirkte er erleichtert.

Der weiße Löwe zögerte nicht lange. Augenblicklich eilte er zu Ajali und begann sachte auf sie einzureden.

»Ruhig«, sprach er, um die Löwin zu besänftigen. »Du machst es nur noch schlimmer.«

»Es hat keinen Zweck«, entgegnete Jawabu in einem Anflug von Hilflosigkeit. »Ich habe es ihr schon mehrfach gesagt, aber sie hört nicht.«

Mit zusammengebissenen Zähnen begann Ajali sich am Boden hin und her zu winden, wobei sie immer wieder vereinzelte Flüche ausstieß.

»Bastard! Elender Bastard!« Ein furchteinflößendes Fauchen erklang, dann biss die Löwin ihre Zähne zusammen und verzog schmerzerfüllt ihr Gesicht.

»Sie steht unter Schock«, stellte Mavunde nüchtern fest.

Als Ajali bemerkte, dass der weiße Löwe auf sie herab sah, ließ ihre Wut mit einem Mal nach und sie begann kläglich zu wimmern. »Er hat mir alles genommen, Mavunde. Alles, was ich habe.«

Ihre Worte ignorierend begann Mavunde die Wunde an Ajalis Schulter zu betrachten, so gut ihr Hin- und Herwinden es zuließ.

»Einer der Knochen könnte gebrochen sein«, hörte Nia ihn sagen, während sie sich verzweifelt umsah. Von Angavu fehlte jede Spur.

»Was ist geschehen?«, fragte der weiße Löwe seinen Gefährten.

Jawabu atmete tief durch, ehe er antwortete.

»Sie hat ihn gefragt, warum er alleine losziehen wollte, ohne uns andere«, berichtete er. »Als er ihr keine Antwort gegeben hat, hat Ajali versucht ihn aufzuhalten. Das hat ihm offenbar nicht geschmeckt.« Er deutete hinab zu der Löwin, die immer noch Blut verlor. »Ich bin ihr zu Hilfe gekommen, aber da war es schon zu spät. Nun ist er auf und davon. Ich habe ihn in Richtung des Plateaus davonlaufen sehen.«

Ungläubig starrte Nia auf die Szene vor ihren Augen. Über wen sprach Jawabu? Wollte er ihnen weismachen, dass Angavu hierfür verantwortlich war?

»Es sieht ganz so aus, als seien meine Sorgen berechtigt gewesen«, sprach Mavunde an Nia gewandt. »Dein Freund ist nicht, was er vorgibt zu sein. Offenbar hat er mitbekommen, dass ich ihm auf die Schliche gekommen bin. Ich nehme an, er hatte guten Grund, uns davon abzuhalten, den Weg auf das Plateau einzuschlagen.«

Nia war fassungslos.

»Nein«, hauchte sie von tiefer Furcht ergriffen. »Das kann nicht sein. Das ist unmöglich.«

»Wie du siehst, deutet alles darauf hin. Es tut mir Leid.«

»Nein.« Panisch sah Nia von Mavunde auf Jawabu, dann auf die sich noch immer am Boden windende Ajali und wieder zurück.

»Etwas ist falsch«, sprach sie mit bebender, verzweifelter Stimme. »Du musst doch sehen, dass hier etwas nicht stimmt, Mavunde.«

Der Blick des Löwen verriet Anteilnahme, jedoch keine Zustimmung. Zum ersten Mal ereilte Nia das Gefühl, dass er der Situation nicht Herr war. Er konnte ihr nicht helfen. Sie stand einfach vor ihm, starr vor Entsetzen, während all ihre Gedanken sich in endloser Leere zerstreuten. Der Blick, den Jawabu ihr zuwarf, gefiel ihr überhaupt nicht.

»Was ist, wenn sie mit ihm unter einer Decke steckt?«, fragte der stämmige Löwe mit ungewöhnlicher Kühle. »Können wir ihr über-haupt noch vertrauen?«

Diese Frage und Mavundes darauf folgendes Zögern genügten Nia, um eine Entscheidung zu treffen. Langsam, Schritt für Schritt, trat sie zurück und vergrößerte damit ihren Abstand zu den drei Löwen.

»Nia, was hast du vor? Nia

Mavundes Worte hallten ihr hinterher, während Nia sich vom Boden abstieß und losrannte. So schnell ihre Beine sie trugen, stürzte sie voran in Richtung des Plateaus im Westen, wo die Sonne bereits vor Stunden untergegangen war. Sie konnte nicht sagen, ob sie verfolgt wurde, denn sie wagte es nicht, nur einen Augenblick innezuhalten und zurückzublicken. Alles, woran sie nun denken konnte, war Angavu. Sie musste ihn finden. Er würde ihr all dies erklären können. Ohne Angavu fühlte sie sich einsam und verloren, allein unter dem wolkenverhangenen Nachthimmel.

Savanne in der AbendkühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt