»Vergiss es, das klappt niemals.«
Das waren Imanis Worte gewesen, nachdem Samaha ihr und der aufmerksam lauschenden Nadhari ihren Plan erläutert hatte. Vielleicht hätten die Löwinnen auf Imanis erste Einschätzung hören sollen.
»Wir machen es wie die Spinne«, hatte Samaha vorgeschlagen. »Wir lassen die Beute zu uns kommen.«
»Und wie willst du das anstellen?«, war Imanis berechtigter Einwand gewesen.
»Mit Geduld. Wir verzichten auf das Treiben und legen uns stattdessen alle drei dicht beisammen auf die Lauer. Die Herde lassen wir an uns vorüberziehen und warten, bis sich der Kern direkt vor unseren Schnauzen befindet. Und dann müssen wir nur noch zuschlagen.«
Es klang beinahe beängstigend simpel. Im Zentrum der Herden befanden sich in der Regel die schwachen und kränklichen Tiere, die dort, inmitten der anderen, Schutz suchten. Wenn die Löwinnen nah genug an sie herankämen, würde das ihre Chancen erheblich verbessern.
»Wenn wir sie nicht treiben, warum sollten sie ausgerechnet zwischen uns entlanglaufen?«, hatte Imani skeptisch widersprochen. »Sie werden uns wittern!«
»Nicht, wenn der Wind günstig steht. Außerdem besteht die Chance, dass die Tiere sich an uns gewöhnen, wenn wir lange genug stillhalten.«
Imani hatte nicht überzeugt gewirkt. Und auch Samaha sah durchaus die Schattenseite ihres Plans. Selbst wenn es ihnen gelang, den Pfad der Herde vorauszuahnen, bestand immer noch die Gefahr, dass es die ganze Nacht oder länger dauern mochte, bis die Tiere nahe genug waren für einen Angriff. Da die Löwinnen aber ohnehin Zeit brauchten, um ihre Kräfte zu sammeln, waren ein paar Stunden Lauer vielleicht gar nicht verkehrt. Das hatte schließlich, nach einigen weiteren Widersprüchen, auch Imani eingesehen und so hatten sich die drei Jägerinnen hinaus auf das Plateau begeben. Nach kurzer Zeit hatten sie zahlreiche Gnus ausgemacht, die sich in Richtung des Flusses bewegten. Die ideale Gelegenheit. Zumindest hatte Samaha das angenommen.
Seither waren mehrere Stunden vergangen und tiefste Nacht hatte sich über die Savanne gelegt. Die Herde hatte ihre Wanderung unterbrochen und nun grasten die verstreuten Tiere friedlich im Licht der Sterne. Trotz der mondlosen Nacht ermöglichten ihre Katzenaugen Samaha eine gute Sicht auf die Geschehnisse, die Umrisse der hochgewachsenen Gnus waren klar auszumachen. Sie rührten sich kein Stück vom Fleck.
»Vertraue niemals auf die Zielstrebigkeit eines Gnus«, seufzte Samaha entmutigt vor sich hin. Ihre Gefährtinnen lagen zu weit entfernt, um sie zu hören. »So viel also zu deinem großartigen Plan.«
Wenn es so weiterging, würden die Löwinnen noch bis zum nächsten Vollmond hier hocken und abwarten. Bis dahin würde Dhalimu nicht nur die Jungen verschlungen haben, sondern vermutlich auch noch Kimya und Shahidi. Irgendwie musste es doch möglich sein, die Herde in Bewegung zu versetzen, ohne sie gleich aufzuscheuchen.
Samaha war noch in ihre Gedanken vertieft, da bemerkte sie mit einem Mal, wie sich nicht weit vor ihr etwas rührte. Als sie die Augen zusammenkniff und ihre Sinne schärfte, erkannte sie, dass es sich um Nadhari handelte. Die junge Jägerin schlich vorsichtig voran. Den Kopf gesenkt, ihren Körper nur knapp über dem Boden, bewegte sie sich Stück für Stück die Herde entlang, Hals, Wirbelsäule und Schwanz bildeten eine einzige gerade Linie.
Samaha biss angespannt die Zähne zusammen. Was tat Nadhari da? Sie hatten doch klar ausgemacht, dass niemand von ihnen sich bewegte, ehe sich die Gnus nicht unmittelbar zwischen ihnen befanden. Für gewöhnlich hielt die junge Löwin sich an das, was man ihr sagte.
Doch Nadhari hielt nicht auf die grasenden Gnus zu. Stattdessen schien sie einen weiten Bogen um die Tiere zu schlagen. Unschlüssig sah Samaha sich nach Imani um, aber die wirkte ebenso ratlos wie sie selbst. Was für eine Art von Spiel spielte Nadhari mit ihnen?
Inzwischen war die junge Löwin zwischen den Gräsern nicht mehr auszumachen. Es verstrichen einige weitere zermürbend lange Momente, in denen die Gnus sich genüsslich ihre Mägen mit grünem Savannengras vollschlugen und Samaha sich ernsthafte Sorgen über die Zukunft des Rudels machte. Dann, plötzlich, erklang aus einiger Entfernung, von jenseits der Herde ein leises Rascheln, kaum mehr als das Flüstern von Akazienblättern im Wind einer milden Brise. Die Gnus schienen das Geräusch ebenfalls wahrzunehmen, Samaha sah wie ihre Ohren sich in Richtung des Geschehens ausrichteten. Doch das Rascheln genügte nicht, um die Tiere aufzuschrecken und so blieben sie einfach an Ort und Stelle und fraßen gemütlich weiter.
Das war ja nicht so erfolgreich, dachte Samaha, erleichtert darüber, dass die Beutetiere Nadhari immerhin noch nicht bemerkt hatten.
Offenbar hatte auch Nadhari erkannt, dass ihr Eingreifen wirkungslos war, denn das Rascheln verklang augenblicklich wieder. Einige Augenblicke lang war erneut nur das gemächliche, rhythmische Kauen der Gnus zu vernehmen, das beeindruckend unauffällig die Stille der Nacht durchbrach. Dann erklang das Rascheln wieder, diesmal deutlicher.
Einige der dümmlich dreinblickenden Tiere hoben ihre Köpfe und spähten in Richtung des Geräuschs. Sie schienen es nicht als Bedrohung wahrzunehmen, doch geheuer war es ihnen ganz offensichtlich auch nicht. Es sah ganz danach aus, als wüssten sie nicht, wie sie die Laute einzuschätzen hatten. Dann geschah das Wunder.
Eines der Gnus, ein stämmiger Bulle mit langen Hörnern und schwarzem, aufgerichtetem Rückenfell, setzte sich in Bewegung und trabte in sachtem Tempo weg von Nadharis Position. Er kam direkt auf Samaha und Imani zu und die beiden Löwinnen duckten sich rasch ins Gras und hielten den Atem an. Als Samaha zwischen den Halmen hindurchspähte, sah sie, dass der Bulle zwischen ihnen entlanglief und dass sich bereits mehrere der anderen Tiere an seine Fersen geheftet hatten. Samaha traute ihren Augen kaum. Es funktionierte, die Herde folgte und schon wenige Atemzüge später war die Löwin umringt von Beutetieren, ohne dass auch nur eines von ihnen ihre Anwesenheit zu bemerken schien.
Ihre Aufregung unterdrückend sah Samaha sich rasch nach einem geeigneten Ziel für einen Angriff um. Die Jungtiere hielten sich dicht bei ihren Müttern, aber da waren ein paar ältere Tiere, die unvorsichtig wirkten und zunehmend den Abstand zu ihren Artgenossen vergrößerten. Imani schien sie ebenfalls erblickt zu haben. Über die Spitzen der Gräser hinweg warf sie Samaha einen fragenden Blick zu. Samaha nickte nur knapp. Das Zeichen zum Angriff.
Im nächsten Augenblick sprangen die beiden Löwinnen beinahe zeitgleich aus ihren Verstecken hervor. In Höchstgeschwindigkeit passierten sie eine Gruppe junger Weibchen, die unter aufgeregtem Grunzen auseinanderstoben. Der Weg auf ihr Ziel wurde dadurch freigegeben. Chaos brach aus. Überrumpelt von der plötzlichen Attacke schlugen die Tiere wie wild Haken, rannten gegeneinander und verteilten sich in alle Himmelsrichtungen.
Das Tier, das Samaha als Opfer auserkoren hatte, war nur noch einige Schritte voraus. In seiner Panik hatte es flink die Richtung gewechselt und rannte nun weg vom Fluss. Imani erreichte es einen Augenblick früher. Die Löwin stieß sich vom Boden ab und sprang auf das panisch blökende Tier zu. Noch im Flug erwischte sie den Hals des Gnus und riss seinen ganzen Körper mit zu Boden. Geschickt wich Samaha den umherwirbelnden Hufen aus und grub ihre Klauen in die Flanke des Beutetiers. Noch während sie es gepackt hielt und damit am Weglaufen hinderte, kam Nadhari herbeigeeilt und unterstützte sie. Imani hatte währenddessen den Hals fest im Griff ihrer kräftigen Kiefer.
Das Zucken des Tiers ließ schnell nach, als es sich seinem Schicksal hinzugeben schien. Fast tat es Samaha ein wenig Leid. Es hatte keine wirkliche Chance zur Flucht gehabt. Die Jägerinnen waren aus nächster Nähe herbeigeprescht, gnadenlos und unerschrocken. Nur einige Augenblicke später war die Jagd vorüber.
Samaha verspürte ein berauschendes Gefühl des Triumphs. Noch nie zuvor hatte sie erlebt, dass die letzte Phase einer Pirschjagd so glatt verlaufen war. Sie hatten es geschafft. Mit vereinten Kräften war ihnen das gelungen, woran keiner von ihnen mehr geglaubt hatte. Sie hatten tatsächlich Beute geschlagen. Mit etwas Glück konnten sie Kimyas Jungen noch einmal vor dem Tod bewahren.
DU LIEST GERADE
Savanne in der Abendkühle
FantasiDies ist meine Geschichte. Eine Geschichte voll Trauer und Schmerz, vom Blut, das den Savannenboden rot färbte und von der unstillbaren Gier und dem Durst nach kalter Rache. Aber es ist auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Mitleid und der H...