Samaha fand den alten Rudelführer ein gutes Stück weit südlich der Schlafplätze, dort wo das Land bereits erkennbar abflachte. Den Kopf gesenkt trottete er voran, die Savanne vor seinen Pfoten ausgebreitet. Erst als Samaha ihn beinahe eingeholt hatte, schien er sie zu bemerken, so dass er stehenblieb und lauschte.
»Bist du gekommen, um mich zum Umkehren zu bewegen?«, fragte er tonlos und ohne Samaha eines Blickes zu würdigen.
Samaha stockte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Tazamaji offenbar bereits von der Anwesenheit der Fremden wusste. Doch nun, da sie seine Worte vernahm und sah, in welchem Gemütszustand er sich befand, schwand ihre Hoffnung rapide. Es schien, als wäre der Kampf entschieden, bevor er überhaupt begonnen hatte.
»Du hast sie also bemerkt«, stellte Samaha nüchtern fest.
»Mehr als das«, entgegnete der Rudelführer. »Ich habe sie sogar gesehen. Sie sind jung, ausdauernd und kräftig. Mit jedem Schritt kommen sie ihrem Ziel ein Stück näher, unbeirrbar, unaufhaltsam, zutiefst entschlossen, sich das zu nehmen, wonach sie gieren.«
Samaha hatte nicht vor, allzu schnell locker zu lassen.
»Und genau deshalb braucht das Rudel dich! Du bist es, der ihnen entgegentreten muss!«
Tazamaji ließ ein verächtliches Grunzen erklingen.
»Niemand braucht mich«, sprach er abweisend. »Lass sie nur kommen, meine Tage sind gezählt.«
»Sie werden die Jungen töten, Tazamaji! Deine Jungen!«
Der alte Löwe sah über die Schulter zurück und begegnete Samahas Blick. Doch weder ihre Entschlossenheit noch ihr Kampfeswille schienen auf ihn überspringen zu wollen. Erst jetzt sah Samaha die frische Wunde, die sich durch sein Gesicht zog. Sie konnte unmöglich von den Fremden stammen. Möglicherweise war sie das Ergebnis seines Annäherungsversuches an die junge Nia.
»Es liegt nicht mehr in meiner Macht, es zu verhindern«, entgegnete der Alte. »Es tut mir Leid. Die jungen Löwinnen werden neuen Nachwuchs zur Welt bringen, das Rudel ist nicht gefährdet.«
Er wandte sich wieder ab und schritt langsam weiter voran, den Blick nach Süden gerichtet, weg vom Plateau.
»Lass mir meine Ruhe, Samaha«, fuhr er fort. »Ich habe sie mir verdient. Ich trete beiseite, um Platz für neue Generationen zu machen. Du kannst es nicht verhindern.«
Zornig stampfte Samaha mit ihrer Pfote auf den Boden.
»Du solltest dich mal hören! Der Tazamaji, den ich einmal kannte, wäre niemals vor einem Kampf geflohen. Er hätte sein Rudel verteidigt, bis in den Tod.«
»Nun«, antwortete der Rudelführer und seine Stimme wurde leiser. »Dann behalte diesen Löwen gut in Erinnerung.«
Mit einer Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit sah Samaha dem Alten hinterher, während er sich zunehmend entfernte. So sehr es sie auch verärgerte, sie musste einsehen, dass ihre Worte zu nichts führen würden. Tazamaji hatte sich entschieden. Ihn nun vom Umkehren überzeugen zu wollen, war, als wollte man den Wind davon überzeugen, seine Richtung zu wechseln.
Die Löwin wagte nicht daran zu denken, was geschehen würde, nun da das Rudel seinen Beschützer verloren hatte. Aber eines war sicher: sie hatte nicht vor, kampflos aufzugeben.
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Savanne in der Abendkühle
FantasyDies ist meine Geschichte. Eine Geschichte voll Trauer und Schmerz, vom Blut, das den Savannenboden rot färbte und von der unstillbaren Gier und dem Durst nach kalter Rache. Aber es ist auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Mitleid und der H...