Die Erben Sahibs - Teil 1

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Alles deutete darauf hin, dass Dhalimu gleich mit seinem ersten, unangekündigten Schlag einen Volltreffer landen würde. Doch im Gegensatz zu seinen bisherigen Widersachern schien Mavunde den Angriff erwartet zu haben. Agiler, als Nia es einem Löwen jemals zugetraut hatte, duckte er sich unter der Attacke weg.

Dhalimu, der all seine Kraft in den Schlag gelegt hatte, verlor für einen kurzen Augenblick seinen festen Stand, fing sich jedoch sofort wieder. Noch bevor Mavunde sich wieder zu seiner vollen Größe aufgerichtet hatte, folgte der nächste Angriff. Dhalimu stieß sich mit seinen Vorderpfoten vom Boden ab und hob seinen massigen Körper auf seine Hinterbeine, wodurch er in der Lage war, beide Pranken gegen seinen Widersacher einzusetzen. Mit gefletschten Zähnen und sichtlicher Genugtuung ließ der kräftige Löwe eine ganze Folge von Schlägen und Hieben auf den weißen Löwen los, denen dieser nur knapp entging.

In der Furcht, selbst Ziel eines Angriffs zu werden, war Nia instinktiv zurückgewichen. Doch ihr wurde schnell klar, dass Dhalimu es nicht auf sie abgesehen hatte. Seine unaufhörlichen und beängstigend schnellen Angriffe galten einzig und allein Mavunde. Der weiße Löwe war gezwungen, Stück für Stück zurückzuweichen und man sah ihm an, dass seine präzisen Bewegungen ihm ein hohes Maß an Konzentration abverlangten. Er selbst schien keine Gelegenheit für einen Gegenangriff zu finden oder aber er wartete den günstigsten Moment ab.

Während Nia den Kampf der beiden Löwen besorgt und mit immer schneller schlagendem Herzen beobachtete, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass Bharid ebenfalls zum Angriff auf den weißen Löwen überging. Auch Angavu regte sich für einen kurzen Moment, hielt dann aber plötzlich inne, als Bharid ihm etwas zurief.

»Halt dich raus, Bruder«, knurrte er und Nia war erstaunt, wie abwertend seine Worte klangen. »Das ist unser Kampf.«

Angavu nickte bestätigend, obwohl ihm Bharids Zurückweisung nicht sonderlich zu gefallen schien. Aber er verharrte ohne Widerworte an seinem Platz und beobachtete das Geschehen, nach wie vor ohne Nia eines Blickes zu würdigen.

Bharids Eingreifen in den Kampf wendete das Blatt zu Gunsten der Brüder. Zwar schien Mavunde den neuen Angreifer herbeieilen zu sehen, doch da die Abwehr von Dhalimus Angriffen seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, hatte er sichtliche Mühe, den Krallen des nun wild auf ihn einschlagenden zweiten Löwen zu entgehen. Einer der Hiebe traf Mavunde am Hals. Wäre seine weiße Mähne nicht gewesen, die dem Angriff den Großteil seiner Wucht raubte, hätte der Treffer fatale Folgen haben können. So genügte der Schlag immer noch, um Mavunde aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der weiße Löwe schlitterte seitlich und seine Krallen rissen den trockenen Erdboden auf. Mit einem siegessicheren Brüllen setzte Bharid ihm nach und warf Mavunde mit seinem bloßen Körpergewicht zu Boden.

Nias Herz setzte einen Schlag aus, als sie sah, wie lange, messerscharfe Reißzähne nach der Kehle ihres Verbündeten schnappten, während die beiden Brüder über ihn hereinbrachen wie ein unheilvoller Orkan. Doch der weiße Löwe entging ihrem Griff, rollte sich am Boden liegend herum und stand schon im nächsten Augenblick wieder auf seinen Beinen. Sein weißes Fell hatte sich an vereinzelten Stellen rötlich gefärbt, aber sein standhafter Blick war ungebrochen. Er stand bereit, weitere Angriffe abzuwehren.

Während Bharid sich aufrappelte, hielt sein Bruder inne. Alle drei Kontrahenten atmeten sichtbar schwer. Die extremen Bedingungen schienen bereits ihren Tribut zu fordern. Nia, der die Hitze ebenfalls zusetzte, war erleichtert, dass Mavunde den ersten Angriff überstanden hatte. Doch sie erkannte gleichzeitig, dass er den beiden Brüdern alleine unterlegen war.

Noch während die Löwen durchatmeten, sah sie sich hilfesuchend um. Angavu hatte derweil damit begonnen, an Ort und Stelle auf und abzugehen, offenbar abwägend, ob er nicht doch in den Kampf eingreifen und dem Ganzen ein Ende bereiten sollte. Nia wusste, dass sie das nicht zulassen durfte. Mavunde hatte bereits gegen die beiden Brüder einen sichtbar schweren Stand, gegen drei Widersacher würde er nicht lange durchhalten können. Sie würden ihn töten.

Der Hitze zum Trotz lief es Nia eiskalt den Rücken hinab, als es ihr für einen kurzen Moment gelang, Mavunde in die Augen zu sehen. Die Anweisung des Weißen war eindeutig: Halte Abstand, mach keine Dummheiten.

Aber war Nia nicht hier, um Mavunde im Kampf zu unterstützen? Wann, wenn nicht jetzt würde sie ihm beistehen können?

Angespannt grub die Löwin ihre Krallen in den heißen Untergrund. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Brüder Mavundes Verteidigung durchbrachen und ihn übermannten. Wenn es erst einmal soweit war, würden sie keinen Augenblick zögern, sein Blut über den Boden des Plateaus zu verteilen.

Während Nia noch mit ihrem Gewissen ring, fielen ihr mit einem Mal die beiden Löwinnen auf, die sich aus Richtung der Schlafplätze näherten. Unter ihnen meinte sie Samaha zu erkennen. Mit leicht angehobener Vorderpfote humpelte die Löwin auf das Geschehen zu.


Die Auseinandersetzung war bereits in vollem Gange. Sand und Staub waren aufgewirbelt worden, dort wo die Widersacher aufeinandergeprallt waren. Aus sicherer Entfernung beobachtete Samaha die Kontrahenten. Sie hatte zu keinem Zeitpunkt damit gerechnet, dass das Aufeinandertreffen der beiden Seiten friedlich verlaufen würde, dafür kannte sie Dhalimus feuriges Gemüt inzwischen zu gut. Davon abgesehen schien dieser weiße Löwe für die Brüder eine entscheidende Rolle zu spielen. Nur zu gut erinnerte Samaha sich an das Gespräch der beiden Brüder, das sie vor drei Nächten belauscht hatte. Nun endlich war ihr klar geworden, über wen die beiden sich unterhalten hatten.

Sie konnte nur Mutmaßungen darüber anstellen, weshalb die Brüder so erpicht darauf waren, dem Weißen den Garaus zu machen, aber es schien so, als ob sie dieses Aufeinanderprallen von vornherein sorgfältig geplant hatten. Eine Tatsache, die die Löwin beunruhigte. Dhalimu mochte ein skrupelloses Monster sein, aber er war kein Dummkopf. Er hätte sich niemals auf einen Kampf eingelassen, den er nicht würde gewinnen können. Sein Plan schien tatsächlich aufzugehen, denn soweit Samaha die Lage beurteilen konnte, war es nicht gut bestellt um den weißen Löwen, der sich allein gegen gleich zwei Angreifer zu behaupten hatte.

Deutlich mehr Sorgen als um den fremden Weißen machte Samaha sich allerdings um Nia. Die junge Löwin befand sich so nah am Geschehen, dass es beinahe einem Wunder glich, dass die Brüder sie nicht bereits in Stücke gerissen hatten.

»Verschwinde da, Mädchen«, flüsterte Samaha vor sich hin, obwohl sie wusste, dass die Löwin sie auf diese Entfernung niemals würde hören können. Sie war Nia dankbar, dass sie die Brüder auf dem Bergpfad zurückgehalten und den weißen Löwen hierher gebracht hatte. Dadurch hatte sie das Leben der Jungen vorerst gerettet, die nun wieder allesamt bei ihrer Mutter waren. Doch all das würde einen schrecklich bitteren Nachgeschmack nach sich ziehen, sollte Nia nun hier, auf dem Plateau, ihren Tod finden. Und trotzdem schien die Löwin keine Anstalten zu machen, sich in Sicherheit zu begeben. Stattdessen beobachtete sie den Kampf aus nächster Nähe, als wollte sie selbst jeden Augenblick einschreiten.

»Sollten wir ihn nicht unterstützen?«, fragte Imani, die Samaha auf das Plateau begleitet hatte, wohlwissend, dass sich der Rest des Rudels vorerst in Sicherheit befand, jedenfalls solange die Männchen miteinander beschäftigt waren. Nun beobachtete sie das Geschehen ebenfalls sehr genau. »Immerhin setzt er sein Leben dafür ein, die Brüder zu vertreiben. Sollte er Erfolg haben, rettet er uns womöglich das Fell. Ich will nicht wissen, was Dhalimu mit uns vorhat, wenn er den Fremden erst einmal ausgeschaltet hat. Vermutlich haben wir für ihn dann keinen Wert mehr.«

»Und woher willst du wissen, dass der Weiße auch nur einen Hauch besser ist?«, entgegnete Samaha misstrauisch. Schmerz schoss durch ihre verletzte Schulter, als sie versuchte, ihre Vorder-pfote abzusetzen. Unter leisem Fluchen zog sie die Pfote wieder an. »Was lässt dich vermuten, dass er Kimyas Junge nicht töten wird?«

»Sie scheint ihm zu vertrauen.« Imani deutete mit der Schnauze in Nias Richtung.

Samaha folge ihrem Blick. Sie sah, dass Nia gebannt auf die drei Widersacher starrte, die soeben ihren rasanten Schlagabtausch beendet hatten und sich nun Auge in Auge gegenüberstanden. Samaha wusste nicht, was Nia mit dem weißen Löwen verband. Sie hoffte nur, dass sie keiner falschen Hoffnung erlegen war.

»Komm mit«, sprach Samaha an Imani gewandt, während sie sich bereits in Bewegung setzte.

Imani sah sie fragend an. »Was hast du vor?«

Die ältere Löwin steuerte bereits das hohe Gras an, das ihr Deckung vor den Blicken der Brüder bieten würde. »Ich will wissen, worüber die so eifrig reden.«

Savanne in der AbendkühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt