Noch bis in die frühen Morgenstunden hinein lag das Plateau unter einer dichten, grauen Decke. Wie der Geier sein erbeutetes Aas festkrallt, so hielten die Berge von Milima Kubwa die vom Wind herangetriebenen Wolken in ihrem Griff. Nebeldunst hatte sich über die Hügel und Wiesen gelegt und die sich allmählich erhebende Sonne war selbst mit guten Augen nur zu erahnen.
An diesem trüben Morgen trafen am östlichen Hang, unweit der Schlafplätze des Rudels, zwei männliche Löwen aufeinander. Obwohl ihnen eine gewisse äußere Ähnlichkeit hinsichtlich ihrer Fellfarbe und ihrer kantigen Körperform nicht abzusprechen war, fiel es einem jeden aufmerksamen Beobachter doch nicht schwer, festzustellen wie unterschiedlich sich die beiden Artgenossen gaben. Der größere und weitaus stämmigere von ihnen hielt sich aufrecht, das Haupt erhoben und den Blick geradeaus gerichtet, während seine breiten Pranken einem gleichmäßigen, geordneten Rhythmus folgten. Sein Gegenüber dagegen, vergleichsweise schlank und von weniger imposanter Statur, hielt sich vielmehr geduckt, als sei er beständig auf der Hut und setzte jede seiner Pfoten mit Bedacht. Als er den stämmigeren Löwen bemerkte, warf er rasch einen Blick zurück, als würde er verfolgt werden. Dann beschleunigte er seine Schritte.
Dhalimu blieb stehen und wartete, bis der Ankömmling auf Hörweite herangekommen war. Sein Blick ließ eine gewisse Feindseligkeit erahnen, die er gleichermaßen mit seinen Worten kundtat.
»Dass du dich überhaupt traust, hier aufzutauchen«, knurrte der stämmige Löwe grimmig. Misstrauisch beäugte er sein Gegenüber, doch dieser hielt dem Blick stand.
Mit einigen Schritten Abstand blieb Angavu stehen. Sein tiefer, schleppender Atem verriet, dass er die hinter ihm liegende Strecke in Eile zurückgelegt hatte.
»Ich komme, um euch zu warnen«, sprach er eindringlich zwischen seinen Atemzügen.
»Zu warnen?«, wiederholte Dhalimu wenig beeindruckt. »Vor was könntest du uns warnen wollen?«
Um deutlich zu machen, dass er es ernst meinte, sah Angavu dem großen Löwen direkt in die Augen.
»Ihr werdet angegriffen. Der weiße Löwe und seine Gefährten nähern sich vom Gebirgskamm aus.«
Innerhalb weniger Augenblicke durchlebte Dhalimus Blick einen erkennbaren Gemütswandel. Die Erwähnung des weißen Löwen schien sein Interesse geweckt zu haben, auch wenn der Zweifel ihm deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
»Geh und versuch jemand anderen mit deinen Lügen zu füttern. Bei mir wirst damit keinen Erfolg haben.«
»Es ist wahr, Dhalimu«, beharrte Angavu auf seinen Worten. »Ich war selbst bei ihnen. Sie sind auf der Suche nach dir und Bharid und sie wissen, dass ihr euch hier auf dem Plateau niedergelassen habt. Ihr Ziel ist es, euch zu töten und die Löwinnen des Rudels zu befreien.«
Verächtlich zog Dhalimu seine Lefzen zurück und präsentierte so seine scharfen Reißzähne.
»Und wie kommt es, dass sie dich am Leben gelassen haben?«, fragte er skeptisch. »Hast du ihnen etwa versprochen, sie hierher zu führen?«
»Sie wissen nicht, wer ich bin. Sie glauben, ihr seid zu zweit.«
Ohne jede Vorwarnung ließ Dhalimu plötzlich ein kaltes, überlegenes Lachen erklingen, das Angavu augenblicklich zusammenzucken ließ, obwohl er es nicht zum ersten Mal vernahm.
»Vielleicht habe ich zu früh über dich geurteilt«, sprach der massige Löwe. Von den Worten seines Gegenübers war er sichtbar angetan. »Ich habe lange auf diese Gelegenheit gewartet. Wenn das, was du sagst, wahr ist, können wir den weißen Löwen nun endlich für seine grenzenlose Dummheit bluten lassen.«
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Savanne in der Abendkühle
FantasyDies ist meine Geschichte. Eine Geschichte voll Trauer und Schmerz, vom Blut, das den Savannenboden rot färbte und von der unstillbaren Gier und dem Durst nach kalter Rache. Aber es ist auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Mitleid und der H...