Samahas Eingebung - Teil 1

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Erhobenen Hauptes trat Samaha zwischen den Felsen hindurch auf die beiden Löwen zu, die noch immer unverändert an ihrem erhöhten Platz lagen. Ihren herablassenden Blicken gelang es nicht, den Stolz der Löwin anzukratzen. Sie hatte sich fest vorgenommen, keinen Schritt zurückzuweichen und sich von diesen heimtückischen Mördern nicht zurechtweisen zu lassen, mit was für Mitteln sie es auch versuchen mochten.

Nur wenige Schritte von dem Felsen entfernt, von dem aus die Fremden das Plateau überblickten, blieb Samaha stehen und sah die beiden Löwen mit einer Mischung aus Verachtung und blankem Hass an. Eine Weile herrschte Stille, ehe erneut Dhalimu, der größere der beiden, das Wort ergriff.

»Ich nehme an, du bist gekommen, um uns vom Erfolg eurer Jagd zu berichten?«, sprach er. »Wie viele Beutetiere habt ihr denn erlegt?«

Der Hohn in seiner Stimme ließ bereits erahnen, dass er bestens Bescheid wusste. Es war nicht auszuschließen, dass entweder er oder sein psychopathischer Bruder die Löwinnen genau beobachtet hatte und nun vor ihnen wieder hierher zurückgekommen war.

Den ganzen Nachmittag hatten Samaha und die einzigen beiden anderen Löwinnen des Rudels, die in der Lage waren, einem Zebra hinterherzujagen und nicht mit der Betreuung der Jungen beschäftigt waren, mit der Jagd zugebracht. Sie waren nicht einmal in die Nähe eines der Tiere gelangt und mit der Zeit hatten ihre Kräfte zunehmend nachgelassen, bis sie schließlich aufgegeben hatten.

»Wir sind zu wenige, um unsere Vorgehensweise durchzuführen«, sprach Samaha ohne einen Funken von Reumütigkeit. »Wenn nur eine einzige Löwin die Herde treibt, verteilt sie sich in alle Richtungen. Um sie zu reißen, brauchen wir die Tiere aber an einem bestimmten Punkt, sonst kommen die Jägerinnen nicht nah genug an sie heran. Aber wenn wir zwei Löwinnen als Treiber einsetzen, ist nur noch eine von uns übrig, um zuzuschlagen. Das genügt nicht. Wir könnten ebenso gut mit geschlossenen Augen in die Herde einfallen und hoffen, dass uns ein Tier vor die Schnauze läuft.«

Dhalimus Blick zeigte deutlich, dass er nicht viel von Samahas Argumentation hielt.

»Habe ich euch nicht deutlich gemacht, wie viel für euch auf dem Spiel steht? Ich dachte, das Überleben eurer Geliebten sei Anreiz genug, eure Leistungen zu verbessern. Habe ich mich etwa geirrt?«

Aus Wut über ihre Machtlosigkeit biss Samaha ihre Zähne zusammen.

»Selbst wenn du uns alle tötest, wird es nichts daran ändern, dass unmögliche Dinge unmöglich bleiben«, entgegnete sie schroff. »Wir können uns nunmal nicht aufspalten.«

»Dann macht ihr vielleicht etwas falsch. Strengt eure Köpfe an, ihr werdet schon eine Lösung finden.«

Allmählich begann Samaha die Beherrschung zu verlieren. »Nein, das werden wir nicht!«

Knurrend trat sie vor, die Augen zu schlitzen verengt. Ihr Blick verriet ihren ganzen Abscheu und ihre Verachtung gegenüber den beiden Eindringlingen, die sich mit so irrsinniger Brutalität an die Spitze des Rudels gemordet hatten. Sie allein trugen die Schuld daran, dass das Rudel dem Untergang geweiht war. Ihretwegen würden sie alle verhungern.

Dhalimu schien die Lust an der Unterhaltung vergangen zu sein. Mit strengem Blick sah er auf Samaha hinab und schätzte offenbar ab, wie er sie für ihr Versagen schikanieren konnte.

»Hat der Schlag, den ich dir verpasst habe, etwa nicht ausgereicht? Muss ich dir erst noch beibringen, wie du mit deinen Rudelführern zu sprechen hast?«

Samaha hielt still, ihre Muskeln aufs Äußerste angespannt und bereit, einen möglichen Angriff des Löwen gebührend zu empfangen. Doch anstatt dass Dhalimu sich erhob, behielt er Samaha ganz genau im Auge.

»Bharid«, sprach er in gebieterischem Tonfall, ohne seinen Bruder dabei anzusehen. »Bring mir eines der Jungen.«

Augenblicklich löste sich Samahas Zorn auf, überrumpelt von der tiefen Sorge, die Brüder könnten ihre Drohungen wahrmachen und eines der Jungen töten. Mit weit geöffneten Augen beobachtete sie Bharid, wie er sich aufrichtete, mit einem Satz vom Felsen herabsprang und nur wenige Schritte vor dem Unterschlupf landete, der Kimya und ihrem Nachwuchs als Schutz diente. Der Löwe hielt erbarmungslos auf die Mulde im Boden zu. Samaha konnte sich die entsetzliche Angst lebhaft vorstellen, die Kimya in diesem Augenblick verspüren musste.

»Nein!« Jeglicher Hass war aus ihren Zügen gewichen. »Tu ihnen nichts. Bitte!«

Unbeirrt von ihren Worten stieg Bharid in die Mulde hinab. Von unten erklang dumpf Kimyas erschrockener Schrei.

»Hört auf!« Samaha wandte sich wieder an Dhalimu. Sie hasste ihn, für das was er dem Rudel antat. Aber mehr noch hasste sie sich selbst für ihre Hilflosigkeit und Schwäche. »Du hast gewonnen. Ich tue alles, was du willst, nur lass sie in Frieden!«

Dhalimu schmunzelte zufrieden. Die Genugtuung war ihm deutlich anzusehen.

»Ich gebe dir Zeit bis Sonnenaufgang. Wenn du bis dahin nicht genug Beute für mich und meinen Bruder erlegt hast, werden wir uns an eurer Brut sattfressen. Und jetzt geh mir aus den Augen.«

Erleichtert sah Samaha, dass Bharid den Unterschlupf ohne eines der Jungen im Maul wieder verließ. Kimyas Schluchzen und Weinen war deutlich zu vernehmen, aber es blieb keine Zeit, sie zu trösten.

Samaha bedachte den großen Löwen vor ihr mit einem letzten, ernsten Blick. Dann wandte sie sich ab und lief schnellen Schrittes den Weg zurück, über den sie gekommen war. Dabei hoffte sie inständig, dass Dhalimu sich in ihrer Abwesenheit an seine eigenen Worte halten und es sich nicht anders überlegen würde.


Savanne in der AbendkühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt