Nia blinzelte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, zusammen gesunken zu sein, doch nun lag sie hier auf dem Waldboden und starrte ihn an. Ihn, den Löwen des Berges, der erschienen war, um sie in ihre Zukunft zu geleiten, der den Spross ihres Schicksals in seiner Pfote hielt und ihn Wurzeln schlagen ließ. Sie konnte es kaum glauben. Von nun an würde sich alles ändern, einfach alles.
In ihrer Trance, die sie den weißen Löwen als Mittelpunkt all ihres Seins fixieren ließ, nahm sie die beiden Gestalten die zu seiner Linken herangetreten waren lediglich als bloße Randfiguren wahr. Vermutlich hätte sie, geblendet von seinem unendlichen Glanz, die beiden Löwen direkt wieder vergessen, hätte einer von ihnen nicht das Wort ergriffen.
»Ist sie das?«, fragte der Löwe mit mürrischer Stimme, während er Nia musterte, einen großzügigen Abstand wahrend.
Mavunde nickte langsam und bedächtig.
»Ja«, erwiderte er knapp und seine Stimme ließ Nia in Ehrfurcht erstarren.
Der andere Löwe meldete sich erneut zu Wort. Aus dem Augenwinkel erkannte Nia, dass er kleiner und breiter wirkte als Mavunde, stämmig gebaut, aber mit für einen ausgewachsenen Löwen kurzen Beinen. Sein Fell war ebenfalls weiß, doch erblasste es förmlich in der strahlenden Erscheinung, die den Löwen des Berges umgab.
»Sonderlich gesund sieht sie nicht aus, wenn du mich fragst«, sprach er. »Sieh dir diese glasigen Augen an. Als würde sie durch dich hindurchsehen.«
»Das tut sie auch«, antwortete Mavunde, den Blick fest auf Nia geheftet. »In einer gewissen Weise. Sie sieht nicht mich, sondern jemand anderen. Jemanden, den sie nicht erwartet hat, der ihr aber sehr viel bedeutet.«
Der kleinere Löwe schnaubte genervt.
»Und wie bekommen wir sie dazu, dich zu sehen?«, fragte er.
Mavunde antwortete nicht. Stattdessen trat er an Nia heran, bis sich ihre Schnauzen beinahe berührten. Sein Antlitz füllte nun Nias gesamtes Sichtfeld und sie verlor sich in seinem Blick wie ein einzelnes Sandkorn in einer endlosen Wüste.
»Nia«, sprach er und seine Worte hallten in ihrem Kopf. »Komm zu dir.«
Die Löwin spürte, wie ein Teil des Nebels, der sie zuvor umgeben hatte, verschwand. Sie sah den weißen Löwen nun deutlicher vor sich, seine Umrisse erschienen schärfer und hoben sich vom Hintergrund ab, gleichzeitig war das Leuchten fast vollständig aus seinem Fell gewichen.
»Woher kennst du meinen Namen?«, hauchte sie, durchdrungen von endlosen Fragen, Hoffnungen und Ängsten.
»Ich weiß einiges über dich. Du würdest dich wundern.«
Der weiße Löwe zwinkerte flüchtig, kaum erkennbar, und zeigte ein mildes Lächeln. Dann deutete er mit dem Kopf in Richtung der anderen beiden Fremden.
»Lass mich dir meine Begleiter vorstellen«, sprach er. »Der Löwe mit der vorlauten Schnauze und ohne jegliche Manieren hört auf den Namen Jawabu.«
Ganz als wollte er Mavundes Worten trotzen und den ersten Eindruck, den Nia von ihm hatte, glatt polieren, deutete der kleine, stämmige Löwe eine höfliche Verbeugung an. Nur wenige Schritte von ihm entfernt stand eine junge und kräftige Löwin, der Stolz und Ehrgefühl ins Gesicht geschrieben standen. Für ein Weibchen erschien sie beeindruckend zäh und kräftig. Zahlreiche Narben und Spuren von erst kürzlich zugezogenen Wunden durchzogen ihr ansich hübsches Fell und verliehen ihr eine raue und stürmische Aura.
»Und das ist Ajali. Sie hat sich uns erst kürzlich angeschlossen und hat bereits eine Reihe von Fragen an dich. Dazu kommen wir aber später. Zunächst müssen wir deinen Gefährten aufsuchen. Kannst du uns sagen, wo wir ihn finden?«
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Savanne in der Abendkühle
FantasíaDies ist meine Geschichte. Eine Geschichte voll Trauer und Schmerz, vom Blut, das den Savannenboden rot färbte und von der unstillbaren Gier und dem Durst nach kalter Rache. Aber es ist auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Mitleid und der H...