Aufbruch - Teil 2

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Sie hatten bereits ein gutes Stück entlang des Bergkamms zurückgelegt, Nia nun wieder an der Spitze der kleinen Schar, da schloss Ajali unerwartet zu ihr auf. Obwohl die Löwin nicht wirkte, als hätte sie etwas zu verbergen, entging Nia der argwöhnische Blick nicht, den Angavu, der ein Stück abseits der anderen lief, für die Fremde übrig hatte.

»Bist du viel hier im Gebirge unterwegs?«, fragte Ajali in ihrer strengen, aber doch gutgesinnten Art.

Nia schüttelte den Kopf.

»Ich habe mein ganzes Leben auf dem Plateau verbracht«, antwortete sie aufrichtig. »Angavu ist derjenige, der das Vorgebirge kennt und er war es auch, der das Tal entdeckt hat.«

Während sie sprach, warf Nia einen weiteren flüchtigen Blick in Angavus Richtung. Ganz sicher konnte er sie aus der Entfernung nicht verstehen, aber das hinderte ihn nicht daran, die beiden Löwinnen genau zu beobachten.

»Ein ziemlich vorsichtiger Typ, dein Freund«, sprach Ajali. Auch ihr war Angavus Gestarre nicht entgangen.

Nia beschloss, die aufdringlichen Blicke des Löwen von nun an zu ignorieren. Was er ihr sagen wollte, verstand sie nur zu gut. Er wollte sie davon abhalten, mit den Fremden zu reden. Aber das passte ihr nicht.

»Ich glaube, er ist es einfach nicht gewohnt, so viel Gesellschaft um sich zu haben«, mutmaßte Nia. »Zugegeben, ich weiß nicht viel über ihn, aber ich glaube er ist lange Zeit sehr einsam gewesen und diese Einsamkeit hat ihn sehr geprägt.«

Ajali schien zu verstehen.

»In meinem Rudel nannten wir solche Löwen Peke Yangu, Löwen, die ihr ganzes Leben abseits eines Rudels oder einer Gemeinschaft verbringen, immer auf sich allein gestellt. Wenn ich ihn so sehe, bin ich umso dankbarer für die Zeit, die ich mit meinen Schwestern verbringen durfte.«

Die Worte riefen Nia die tragische Geschichte vom Untergang von Ajalis Rudel augenblicklich wieder ins Gedächtnis.

»Es tut mir sehr leid, was mit deinem Rudel geschehen ist«, sprach sie aufrichtig. »Ich hoffe, dass du eine neue Gemeinschaft findest, in der du dich geborgen fühlst.«

Beinahe beiläufig winkte Ajali ab.

»Oh, darüber mache ich mir keine Sorgen«, sagte sie. »In dem Augenblick, in dem ich meine Zähne in die Kehle dieses niederträchtigen Mörders Dhalimu getrieben habe, ist mein Zweck in dieser Welt erfüllt. Was auch immer dann kommen mag, es spielt keine Rolle.«

Während Ajali sprach, erkannte Nia einen feurigen Schimmer in ihren Augen, der sie erstaunte und beinahe beängstigte. Diese Löwin war wirklich zu allem entschlossen und es hätte nicht viel gefehlt und Nia hätte Mitleid mit denen verspürt, die ihren Zorn geweckt hatten. Ajalis feste Entschlossenheit und vollkommene Furchtlosigkeit beeindruckte sie. Sie wusste, dass sie selbst niemals so würde denken können. Und doch machten ihre Worte sie traurig, in einer gewissen Weise, die sie nicht recht zu fassen vermochte.

»Darf ich dich etwas fragen, Ajali?« Im Angesicht dessen, was Ajali widerfahren war, wollte Nia auf keinen Fall aufdringlich wirken. Aber sie kam nicht umhin, eine gewisse Neugier zu verspüren.

»Nur zu«, forderte die ältere Löwin sie auf.

Nia legte sich ihre Worte sorgsam zurecht.

»Du hast sicher einen langen Marsch hinter dir. Wie lange warst du unterwegs, um hierher zu gelangen?«

»So lange war es gar nicht«, antwortete Ajali. »Mavunde und Jawabu haben mich gefunden, nachdem ich mehr oder weniger unbeholfen durch die Gegend geirrt bin. Das war vor vier Tagen. Sie haben mir von ihrer Suche erzählt und du kannst dir sicher vorstellen, dass ich es mir nicht zwei Mal überlegt habe, mich ihnen anzuschließen. Gemeinsam sind wir eine ganze Weile einer Spur der Brüder gefolgt, die uns auf einigen Umwegen schließlich hierher ins Gebirge führte. Dann haben wir sie verloren. Es war Mavunde, der dich im Tal aufgespürt hat. Er hat irgendwie mitbekommen, dass du vor den Brüdern geflohen bist.«

Savanne in der AbendkühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt