Beutezeit - Teil 1

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Mit Schwung warf Samaha die Gazelle auf den Haufen der anderen erlegten Beutetiere, wo sie ebenso reglos liegenblieb. Kurz betrachtete sie ihr Werk, die Frucht ihrer nächtlichen Jagd, dann trat sie zurück zwischen ihre beiden Gefährtinnen, die genau wie sie noch immer schwer atmeten von der Last, die sie bis hierher zu tragen hatten. Mit einer Mischung aus Erwartung und sturem Trotz sah Samaha hoch zu den beiden Löwen, die an ihrer gewohnten Stelle auf dem Felsen ruhten.

»Das war die letzte«, verkündete sie.

»Gut«, erklang die Antwort von oben herab. Dhalimu wollte es sich vielleicht nicht anmerken lassen, aber Samaha konnte eine Spur von Verblüffung in seinen Augen bemerken. Zufrieden lächelte sie in sich hinein.

Als sie dem milchäugigen Rudelführer von ihrer erfolgreichen Jagd in Kenntnis gesetzt hatte, war die Sonne noch lange nicht aufgegangen. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er ganz offensichtlich am Wahrheitsgehalt ihrer Aussage gezweifelt hatte. Erst die Gnukeule, die Imani ihm vor die Pfoten geschmissen hatte, hatte ihn umgestimmt. Doch anstatt dass er und sein finster dreinblickender Bruder sich auf den Weg gemacht hätten, die Beute zu begutachten und ihren Teil einzustreichen, hatten sie Samaha und ihren Gefährtinnen aufgetragen, ihr neues Jagdschema weiter zu erproben. Das hatten sie getan. Er hatte ganz sicher nicht damit gerechnet, dass die Löwinnen in relativ kurzer Zeit so viel Beute machen würden. Zugegebenermaßen hatte nicht einmal Samaha daran geglaubt. Aber ihre neue Methode hatte sich als ausgesprochen effektiv erwiesen und wahren Eifer in den drei Löwinnen geweckt. Und an diesem Vormittag war zusätzlich noch eine gute Portion Glück hinzugekommen, eine nicht zu unterschätzende Bedingung für eine erfolgreiche Jagd.

Dhalimu musterte die drei erfolgreichen Jägerinnen, als hoffte er, ihr Geheimnis aus ihren Augen ablesen zu können.

»Das wird für's erste reichen«, sprach er und räusperte sich. »Nehmt euch eines der Tiere, den Rest lasst ihr hier liegen.«

Er warf seinem Bruder, der bereits gierige Blicke auf den Haufen toter Tiere warf, eine flüchtige Geste zu, was dazu führte, dass Bharid sich von seinem Platz erhob und in das Gras zwischen den Felsen hinabstieg, um seinen Teil der Beute zu sichern. Wie angewiesen trat Samaha vor und zog eine der Gazellen aus dem Haufen heraus, wobei sie den eifrig zulangenden Bharid nicht aus den Augen ließ.

»Glaubt ihr mir jetzt, dass Jagderfolg nichts als eine Frage des richtigen Ansporns ist?«, fragte Dhalimu von seinem Platz aus. Sichtbare Genugtuung lag in seinen Zügen.

Samaha hielt es für angebracht, nicht zu antworten. Stattdessen nickte sie nur stumm und zog sich dann mit der Gazelle im Maul zurück, gefolgt von den beiden anderen Jägerinnen.

Als sie außer Hörweite waren, ergriff Imani das Wort.

»Sieh sie dir an, wie sie uns unsere Beute stehlen und auch noch stolz darauf sind«, murrte sie. »Diese Nacht war die härteste meines Lebens und alles was man uns lässt, ist eine einzige mickrige Gazelle.«

Samaha wusste, dass es Imani nicht darum ging, ihren Hunger zu stillen. Genau wie sie selbst hatte Imani sich bereits draußen auf dem Plateau am ersten Gnu, das sie erlegt hatten, ausreichend sattgefressen. Es ging ihr lediglich ums Prinzip, sie hatte viel Mühe in die Jagd gesteckt und fühlte sich nun hintergangen.

»Lass uns dankbar sein, dass sie die Jungen nun vorerst in Frieden lassen«, sprach Samaha, nachdem sie den Gazellenkörper abgelegt hatte. »Ich denke, mehr können wir uns für den Augenblick nicht wünschen.«

Imani knurrte angewidert. »Ich schwöre dir, eines Tages werden diese Bastarde für all das bitter bezahlen. Ich lasse mich nicht von ihnen herumschubsen wie ein Jungtier, das kaum auf seinen eigenen Beinen stehen kann.«

Samaha, die es gewohnt war, Imanis andauernde Beschwerden zu ertragen, wandte sich von ihr ab und Nadhari zu.

»Wie geht es Kimya?«, fragte sie. »Hast du nach ihr gesehen?«

Die junge Löwin nickte.

»Shahidi ist bei ihr«, sprach sie sanft. »Jedenfalls körperlich. Den Jungen geht es gut, aber...«

»Aber was?«, wollte Samaha wissen.

Nadhari stockte. Mit besorgter Miene sah sie ihre Freundin an.

»Kimya wirkt anders. Nicht so, wie ich sie kenne. Sie -«

»Natürlich wirkt sie anders«, fiel Imani ihr grimmig ins Wort. »Sie hat Nachwuchs. Wenn du irgendwann einmal auf die dumme Idee kommst, einen Haufen Fellknäuel aus deinem Becken hervorzuquetschen, wirst du auch nicht mehr dieselbe sein.«

Samaha wies die vorlaute Löwin mit einem harschen Blick zurecht. Dann wandte sie sich wieder Nadhari zu.

»Ich werde ihr die Beute bringen«, sprach Samaha mit verständnisvoller Stimme. »Vielleicht geht es ihr wieder besser, wenn sie etwas zu sich genommen hat.«

Erst schien es, als würde die junge Löwin ihr uneingeschränkt zustimmen. Doch dann trat sie an Samaha heran und legte ihre Schnauze an deren Ohr.

»Sie hat große Angst«, flüsterte sie in beinahe verschwörerischem Tonfall, so dass nur Samaha sie verstehen konnte. »Mehr noch als wir alle zusammen. Sie hat etwas mit angehört. Aber sie wollte es mir nicht erzählen.«

Imani musterte ihre beiden Gefährtinnen argwöhnisch. Ganz offensichtlich hielt sie nicht viel von Nadharis Geheimnistuerei.

»Ich werde mit ihr reden«, antwortete Samaha so, dass beide Löwinnen sie verstehen konnten. »Danke, dass du mir das anvertraut hast.«

Mit diesen Worten nahm sie die tote Gazelle wieder zwischen ihre Zähne und ließ die anderen Jägerinnen zurück.

Während sie auf Kimyas Unterschlupf zuhielt, malte Samaha sich aus, was es wohl gewesen sein könnte, das die junge Mutter gehört hatte und das sie so sehr verunsichert hatte. Sie selbst und ihre beiden Jagdgefährtinnen waren beinahe die ganze Nacht über unterwegs gewesen. Wer wusste schon, was hier in der Zwischenzeit geschehen war?

Gerade wollte Samaha in die Mulde hinabsteigen, die unter den Fels führte, da überkam sie mit einem Mal ein merkwürdiges Gefühl. Für einen kurzen Augenblick war ihr, als hätte sie in einiger Entfernung zwischen den Gräsern, die nahe der Schlafplätze wuchsen, eine plötzliche Bewegung ausgemacht. Als sie innehielt, um näher hinzusehen, konnte sie jedoch niemanden erkennen. Und doch war ihr, als würde sie jemand beobachten.

Einige Atemzüge lang hielt sie still. Den Hals der Gazelle zwischen ihren Kiefern haltend, versuchte sie zwischen den Gräsern etwas zu erkennen. Doch ihr fiel beim besten Willen nichts auf, was ihrer Aufmerksamkeit würdig gewesen wäre. Schließlich tat sie ihre Eingebung als Hirngespinst ab, vermutlich angeregt durch die schlimmen Ereignisse des vorigen Tages.

»Du musst einen kühlen Kopf bewahren, Samaha«, redete sie sich ein. »Wenn du es nicht tust, dann tut es niemand.«

Savanne in der AbendkühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt