Imani und Nadhari lagen ein Stück von den Schlafplätzen entfernt im Gras. Als sie die Löwin näherkommen sahen, sprangen sie eilig auf und traten auf sie zu.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Nadhari verunsichert und ver-suchte, den Blick ihrer Gefährtin zu deuten.
»Nicht gut. Hilfe können wir von denen Wohl kaum erwarten, im Gegenteil. Wenn wir es nicht schaffen, ihnen bis morgen etwas Fressbares vor die Schnauzen zu werfen, werden sie mindestens eines von Kimyas Jungen töten.«
Mutlos ließ Nadhari sich zurück ins Gras sinken.
»Das war's dann wohl«, knurrte Imani. »Wir können nichts mehr für sie tun. So entkräftet wie wir sind, können wir nicht einmal mehr ein humpelndes Flusspferd einholen. Wie sollen wir da noch Beute machen?«
»Flusspferde sind schneller als du denkst«, entgegnete Samaha lediglich, nicht ohne einen zynischen Unterton. Auch sie sah nicht mehr viel Hoffnung. Am meisten ärgerte es sie jedoch, wie leicht Dhalimu sie aus der Fassung hatte bringen können. Samaha war bereit gewesen, dem Löwen im Kampf gegenüberzutreten und wenn nötig für die Freiheit ihres Rudels zu sterben. Aber kaum hatte Dhalimu gedroht, eines der Jungen umzubringen, da war ihre Entschlossenheit mit einmal wie vom Wind hinfortgefegt gewesen.
»Diese widerlichen Bastarde«, sprach Imani. »Erst bringen sie meine Schwester um und nun rauben sie unserem Rudel auch noch die Grundlage unseres Fortbestehens.«
»Sie werden schon dafür sorgen, dass das Rudel nicht ausstirbt«, entgegnete Samaha kühl. »Ein paar Junge zu zeugen, wird ihnen bestimmt nicht schwer fallen. Vorausgesetzt wir sind bis dahin nicht alle längst verhungert.«
In einem Anflug von bitterem Sarkasmus zog Imani die Lefzen zu einem finsteren Lächeln zurück. Eine Geste, die ihren kantigen Kopf an einen Totenschädel erinnern ließ.
»Tazamaji hätte es nie mit einer halb abgemagerten Löwin getrieben. Wie wir wissen, mochte er seine Weibchen gerne gut genährt.«
»Tazamaji hat alles bestiegen, was nicht rechtzeitig auf den Bäumen war«, entgegnete Samaha platt. »Aber verglichen mit diesen beiden Monstern war er wohl alles, was eine Löwin sich wünschen kann.«
»Ich wünsche mir eigentlich nur Ruhe und Frieden«, seufzte Imani. »Und einen gut gefüllten Magen.«
»Da bist du nicht die einzige.«
Samaha sah hinüber zu Nadhari, die kein Wort sagte und stattdessen resigniert in die Ferne starrte. Sie war jünger als die anderen beiden Löwinnen und die jüngsten Ereignisse schienen sie noch mehr mitzunehmen. Ihre Mutter und ihre Schwester waren geflohen und hatten sie hier alleine zurückgelassen, in diesem zerrütteten Haufen, der einmal ein Rudel gewesen war.
Der einzige Lichtblick, der Samaha blieb, war die Tatsache, dass vom Streit der letzten Tage nun nichts mehr zu spüren war. Im Angesicht des Todes zweier Rudelmitglieder und der bedrohlichen Situation, in der sie sich nun befanden, war den Löwinnen bewusst, dass sie es sich nicht länger leisten konnten, einander zu beschuldigen. Doch das war zugegebenermaßen nur ein geringer Trost.
Die Löwinnen entschieden, dass sie zunächst einmal Ruhe benötigten, bevor sie noch einmal einen Jagdversuch unternehmen konnten. Die Nacht war noch nicht hereingebrochen und bis zum nächsten Morgen war noch Zeit, wenn auch weitaus weniger als es Samaha lieb war. Vielleicht würde die Dunkelheit ihnen bei der Jagd helfen, wie sie es in der Vergangenheit das ein oder andere Mal getan hatte.
Die Löwin legte den Kopf ins Gras und atmete tief durch. Sie fühlte sich erschöpft und nicht mehr in der Lage, heute auch nur noch eine einzige Pfote zu rühren. Sollten die Brüder doch tun und lassen, was sie wollten. Die Überlebenschancen der Junglöwen standen ohnehin schlecht.
Im Licht der untergehenden Sonne fiel ihr auf einmal etwas auf. Es war eine Spinne, kaum dicker als eine von Samahas Krallenspitzen aber mit weißen Streifen überzogen, die ein wirres Muster zeichneten. Die Spinne hatte zwischen den Grashalmen ein Netz gesponnen. Das Netz wies allerlei elegante Muster auf und wirkte trotz seiner geringen Größe und der Feinheit der einzelnen Fäden beeindruckend stabil. Als ein leichter Windhauch durch das Gras ging, hielt das Netz problemlos stand. Dann geschah etwas, das Samahas volle Aufmerksamkeit auf sich zog.
Vom Wind getragen, landete eines der herabfallenden Blätter einer nahebei stehenden Akazie im Spinnennetz und wurde von den feinen Fäden aufgefangen. Sofort kam die Spinne von ihrem Platz herbeigeeilt und prüfte das Blatt. Als sie bemerkte, dass es nicht fressbar war, ließ sie es in Frieden und krabbelte zurück auf ihren Wachtposten.
Samaha sprang auf. Halb erschrocken, halb verwundert sahen die beiden anderen Löwinnen sie an.
»Was ist los?«, fragte Imani. »Hat dich etwas gebissen?«
Samaha ließ die Spinne nicht aus den Augen, während ihr Kopf wie wild arbeitete. Mit einem Mal spürte sie neue Energie in sich aufkeimen.
»Ich habe eine Idee«, sprach sie aufgeregt. »Und ich will wissen, ob sie etwas wert ist.«
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Savanne in der Abendkühle
FantasyDies ist meine Geschichte. Eine Geschichte voll Trauer und Schmerz, vom Blut, das den Savannenboden rot färbte und von der unstillbaren Gier und dem Durst nach kalter Rache. Aber es ist auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Mitleid und der H...