Schon früh erkannte Bharid die Löwin, die sich in einem behäbigen Trab den Felsen näherte. Obwohl sie sich sichtbar zur Eile antrieb, hätte jedes lahmende Tier die Alte mühelos hinter sich lassen können. Es war einfach lächerlich, dass eine solche Last – denn als mehr konnte Bharid die Löwin nicht ansehen – überhaupt noch im Rudel geduldet wurde. Wäre er anstelle der anderen Löwinnen gewesen, hätte er die Alte längst zur Hölle gejagt. Aber was kümmerte es ihn? Wenn die anderen dumm genug waren, nutzlose Rudelmitglieder mit ihrem eigenen Beuteanteil durchzufüttern, dann war das ihre Angelegenheit. Sollten sie doch alle an ihrem Hunger krepieren.
Was ihn dagegen durchaus interessierte, war der Anlass für die ungewöhnliche Eile der Alten. Denn bislang hatte er sie nur faul herumliegen oder durch die Gegend schlürfen sehen. Was mochte sie nun dazu veranlasst haben, ihre trägen Pfoten zu heben und sich den Hang hinauf zu kämpfen?
Nicht ohne ein genervtes Schnaufen von sich zu geben, rappelte sich der stämmige Löwe auf und stieg von seinem Ausguck auf einen der niedrigeren Felsen hinab. Da Dhalimu zurzeit unterwegs war, war es immerhin seine Aufgabe, die Löwinnen zu überwachen und sie gegebenenfalls an ihre Pflichten zu erinnern. Das galt auch für die nichtsnutzige Alte.
Es verstrichen einige absurd lange Augenblicke, ehe die Löwin endlich zwischen den Felsen ins Zentrum der Schlafplätze trat, lauthals röchelnd und nach Luft ringend. Der Anblick beflügelte Bharids ohnehin schon deutlich ausgeprägte Abneigung gegenüber der Löwin zusätzlich.
»Was willst du, altes Weib?«, fragte er in gebieterischem Tonfall, nachdem er sich sicher sein konnte, dass die Löwin nah genug war, um ihn zu verstehen.
Sofort blieb die Alte an Ort und Stelle stehen und musterte den Löwen. Bharid war es gewohnt, dass die Löwinnen für gewöhnlich bei dem bloßen Klang seiner ungewöhnlich tiefen und rauen Stimme zusammenfuhren, doch diese Löwin schien selbst dafür jeglichen Sinn verloren zu haben.
»Ich muss den Rudelführer sprechen«, erklärte sie in ihrer gebrechlichen Sprechweise. »Es ist sehr dringend.«
»Ich bin dein Rudelführer!« Unter Knurren wies Bharid die dreiste Alte zurecht. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann war es Respektlosigkeit. Doch auch vor seinen Drohgebärden schreckte die Löwin entgegen seiner Erwartung nicht zurück.
»Sehr gut«, sprach sie rasch. »Dann werdet ihr uns mit Sicherheit vor dem fremden Eindringling beschützen.«
Augenblicklich horchte Bharid auf.
»Ein Eindringling?«, fragte er angespannt. »Wo?«
»Am Fluss, nicht weit von hier.« Die Alte deutete den Hang hinter sich hinab.
»Wie sah er aus?«
»Nun«, sprach sie zögernd. »Er wirkte sehr kräftig.«
Rasch ging Bharid seine Möglichkeiten durch. Dhalimu zu finden würde zu viel wertvolle Zeit in Anspruch nehmen. Aber er selbst war ausgeruht und in bester körperlicher Verfassung. Er war bereit, sich dem Fremden alleine zu stellen. Noch nie hatte er einen Kampf verloren. Ganz gleich, wer dieser Eindringling auch sein mochte, Bharid würde ihn in Stücke reißen. Doch dazu musste er ihn zunächst einmal ausfindig machen.
»Führ mich zu der Stelle, an der du den Fremden gesehen hast, Weib«, befahl Bharid der Alten. Es war ihm gleich, wenn sie auf dem Weg vor Überanstrengung zusammenbrach und verendete, solange sie ihn nur ein Stück näher an sein Ziel bringen konnte.
Die Löwin schien es für klug zu halten, sich dem Willen ihres Anführers zu beugen. Jedenfalls widersprach sie nicht, sondern atmete tief durch und machte auf der Stelle kehrt. Sie lief den Hang hinab, den sie sich kurz zuvor hinaufgeschleppt hatte. Während Bharid ihr mit einigem Abstand folgte, hielt er beständig Ausschau nach dem Eindringling. Nicht mehr lange und der Kerl würde sich wünschen, nie eine Pfote in dieses Revier gesetzt zu haben.
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Savanne in der Abendkühle
FantasyDies ist meine Geschichte. Eine Geschichte voll Trauer und Schmerz, vom Blut, das den Savannenboden rot färbte und von der unstillbaren Gier und dem Durst nach kalter Rache. Aber es ist auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Mitleid und der H...