Unerbittlich wirft die Sonne ihre grellen, heißen Strahlen auf den trockenen Boden des Savannenlandes. Im Namen Mutter Naturs gebietet sie über Leben und Tod, lässt Samen sprießen und gedeihen, um sie nur Augenblicke später wieder verwelken zu lassen. Sie quält uns und spendet uns doch Trost im Angesicht unserer Qualen. Sie führt uns entlang unseres geschwungenen Pfads hinauf auf die höchsten Gipfel und hinab in die tiefsten Klüfte.
Ich spüre, dass nun der Moment gekommen ist, in dem sich mein Schicksal und das Schicksal all derer, die mir jemals etwas bedeutet haben, entscheidet. Ich starre in den endlosen und finsteren Abgrund, der sich vor mir ausgebreitet hat. Nur ein falscher Schritt und ich falle für immer in die schwarze Leere. Eine Herausforderung, der ich wohl kaum gewachsen bin. Aber ich bin nicht allein. Diese Erkenntnis gibt mir Mut.
Die Hitze war unerträglich. Mit all ihrer Kraft brachte die Sonne den Boden des Plateaus förmlich zum glühen. Kein Wind wehte und nicht ein einziger Wolkenfetzen war auszumachen, nur saphirblauer Himmel, so weit das Auge reichte. Schon jetzt fühlte sich Nias Kehle so trocken an als hätte sie seit Tagen nichts als Sand geschluckt. Dabei hatte die Löwin direkt vor ihrem Aufbruch von den Hängen noch einmal vom Wasser des Berghangs getrunken. Das Wasser war ausgesprochen trüb gewesen und hatten einen faden Nachgeschmack hinterlassen, doch in diesem Augenblick erschien es Nia wie eine seltene Köstlichkeit, nach der sie sich sehnte, wie nach einer göttlichen Erlösung.
Sie und Mavunde waren den Bergpfad hinabgestiegen, hatten sich den Schlafplätzen jedoch nicht auf direktem Weg genähert. Mavunde schien den Umweg über das Plateau zu bevorzugen, warum wusste Nia nicht. Sie war sich jedoch sicher, dass die Brüder ihre Ankunft bereits bemerkt hatten. Die Bestätigung erhielt sie kurze Zeit später, als sie drei Löwen den leicht abfallenden Hang, der von den Schlafplätzen herabführte, hinuntersteigen und auf sie zukommen sah. Die Brüder hatten den schattigen Schutz der Felsen verlassen, um sich dem weißen Widersacher entgegenzustellen.
Bei diesem Anblick zog sich Nias Magen zusammen. Naiv hatte sie gehofft, Angavu würde sich aus der Auseinandersetzung heraushalten. Nun wurde sie eines Besseren belehrt. Ob er sie wohl töten würde, wenn Dhalimu es befahl? Nachdem sie ihm auf dem Bergpfad in die Augen gesehen und seinen blanken Hass gespürt hatte, traute Nia dem Löwen nun alles zu. Vielleicht war es besser, nicht länger über ihre gemeinsamen Tage nachzudenken. Diese Gedanken würden sie nur unnötig ablenken. Denn die Linien in diesem Konflikt waren klar gezogen und eine Neuordnung der Kräfteverhältnisse undenkbar.
Mavunde gab ein langsames aber stetiges Tempo vor. Das Haupt gehoben und den Blick stets geradeaus gerichtet, glitt er förmlich über das grüne Gras hinweg. Ein erhabener Anblick, der in Nia jegliche Gedanken an einen Rückzug tilgte. Als er die Brüder erblickte, begann er leise zu Nia zu sprechen, ohne sie jedoch dabei anzusehen.
»Bleib dicht an meiner Seite«, wies er sie an.
Nia gehorchte. Sie schloss zu Mavunde auf, sodass die beiden sich Seite an Seite, kaum mehr als eine Beinlänge voneinander entfernt den Brüdern näherten. Durch die vor Hitze flimmernde Luft sah Nia, dass Dhalimu direkt auf sie zuhielt, Angavu zu seiner Rechten und Bharid, Nia gegenüber, auf seiner linken Seite.
Schließlich verlangsamte Mavunde seinen Gang und hielt an. Die Brüder kamen bis auf ein gutes Dutzend Schritte an sie heran, ehe sie ebenfalls stehenblieben.
Eine mörderische Stille lag über dem Plateau, wie Nia sie selten zuvor erlebt hatte. In Anbetracht der Hitze hatten sich offenbar alle Tiere in den Schatten geflüchtet. Mavunde hatte eine Stelle auf dem Plateau gewählt, an der weit und breit kein Baum oder Felsen stand, nur Sand und Gras. Er würde schon wissen, was er tat, so hoffte Nia, während sie die brennende Sonne auf ihrem Rücken zu ignorieren versuchte. Stattdessen warf sie einen Blick auf Dhalimu. Der massige Löwe mit dem Milchauge schien Nia überhaupt nicht zu bemerken, er hatte nur Augen für Mavunde. Und wieder war da dieses selbstgefällige und unheilvolle Grinsen in seinen Zügen, das trotz der Hitze das Blut in ihren Adern gefrieren zu lassen schien.
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Savanne in der Abendkühle
FantastikDies ist meine Geschichte. Eine Geschichte voll Trauer und Schmerz, vom Blut, das den Savannenboden rot färbte und von der unstillbaren Gier und dem Durst nach kalter Rache. Aber es ist auch eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Mitleid und der H...