Jotos Schicksal - Teil 2

34 7 0
                                    

Einen Augenblick zögerte Nia. Es fiel ihr schwer, Angavus argwöhnisches Verhalten nachzuvollziehen. Natürlich waren Mavunde und seine beiden Begleiter Fremde, deren Worte mit Vorsicht zu genießen waren. Aber gleichzeitig wirkten sie so ehrlich und aufrichtig, dass Nia keine Zweifel daran hatte, dass sie die Wahrheit sagten. Auf der anderen Seite jedoch war Angavu ihr Freund und deshalb würde sie ihn nicht ignorieren.

»In Ordnung«, antwortete sie knapp.

Ein flüchtiger Blick hinüber zu Mavunde verriet ihr, dass auch dieser einverstanden war. Also wandte Nia den Fremden den Rücken zu und entfernte sich gemeinsam mit Angavu von der Gruppe, hinein in den dunstigen Nebel.

Nach einigen Schritten schloss der Löwe zu ihr auf.

»Warum vertraust du ihnen?«, zischte er aufgebracht. »Du bist ihnen nichts schuldig!«

Nia wandte sich ab. Sie konnte seine vorwurfsvollen Blicke nicht länger ertragen.

»Manchmal ist es ratsam, auch denen Vertrauen zu schenken, die wir kaum zu kennen glauben«, sprach sie und in ihren eigenen Ohren klangen die Worte sehr weise. »Was für einen Grund hätte Mavunde, uns zu belügen?«

»Die wollen doch auch bloß das, was alle Löwen wollen. Denkst du, sie sind gekommen, um dein Rudel zu befreien? Wach endlich auf! Sobald sie diese Brüder besiegt haben, werden sie selbst die Führung an sich reißen. Darum geht es doch nur! Hör zu, du hast doch selbst gesagt...«

Doch Nia hörte bereits nicht mehr zu. Sie schwieg, abgelenkt. Angavus Worte hatten in ihr etwas ausgelöst.

Wach endlich auf... Mavunde hatte ihr bei ihrer Begegnung etwas ganz Ähnliches gesagt. Nun ist es an der Zeit für dich, zu erwachen, das waren seine Worte gewesen. Er hatte recht. Sie musste endlich lernen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, das zu tun, was sie selbst als richtig erachtete. Und sie durfte sich von nichts und niemandem beirren lassen. Sie musste endlich erwachen.

»Nein!«

Angavu erstarrte. Er war mitten in seiner Erläuterung, als Nias Schrei ihn aus dem Nichts heraus abwürgte. Nun sah er sie perplex an, ergründete ihre Augen auf der Suche nach einer Erklärung.

»Nein«, wiederholte Nia noch einmal, diesmal ein wenig leiser, aber nicht weniger deutlich. Schlagartig spürte sie, wie ihre Anspannung stieg und ihr Herz schneller zu schlagen begann, während Blut durch ihre Adern schoss. »Ich lasse mir von dir nicht vorschreiben, was ich zu tun habe.«

Um ihrer Entschlossenheit Ausdruck zu verleihen, stampfte sie mit ihren Vorderpfoten auf und verengte ihre Augen zu Schlitzen, während sie Angavu mit dem durchdringendsten Blick ansah, den sie aufbringen konnte.

»Du hast mir geholfen, Angavu, und dafür bin ich dir sehr dankbar«, erklärte sie. »Aber auch du warst für mich ein Fremder und hätte ich dir nicht vertraut, würde ich vermutlich immer noch durch das Gebirge irren, wenn die Hyänen mich nicht längst in Stücke gerissen hätten. Also halte mir keine Vorträge darüber, wem ich zu vertrauen habe und wem nicht. Ich werde Mavunde auf das Plateau führen, ob es dir passt oder nicht. Ich werde nicht tatenlos zusehen, während irgendwelche verrückten Mörder meine Freundinnen foltern und quälen. Wenn ich irgendetwas tun kann, um ihnen zu helfen, dann werde ich es auch tun, ganz egal wer mir dabei zur Seite steht. Wenn du lieber hier im Tal bleiben möchtest, dann werde ich dich nicht daran hindern, aber hör auf, mir in meine Entscheidungen hineinzureden. Und tu nicht so, als ob ich dein Junges wäre, denn das bin ich nicht.«

Schwer atmend sah Nia ihren Freund an, nicht länger seinem Blick ausweichend. Angavus Miene verriet vieles. Überraschung, Enttäuschung, Frust. Aber er sagte nichts, nicht einmal als sie sich abwandte, um zu den anderen zurückzukehren. In ihrem ganzen Leben hatte sie niemals so viel Entschlossenheit verspürt. Und doch... Die Vorstellung, Angavu zurückzulassen und ihn vielleicht nie wieder zu sehen, traf sie hart. Aber das würde sie ihm ganz gewiss nicht zeigen.

Savanne in der AbendkühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt