Gleißende Sterne und dichter Nebel - Teil 1

30 3 0
                                    

Ein weiterer Stern jagte über den dunklen Nachthimmel. Er bewegte sich auf einer langen, gebogenen Bahn, wobei er einen leuchtenden Faden hinter sich herzog. Nia sah ihm nach, bis er hinter den Bergen verschwand.

»Sieben«, zählte sie laut und spürte die Aufregung, die sich in ihr breit machte. Mit strahlenden Augen sah sie ihre Mutter an, die ihr mild lächelnd zunickte.

»Und gewiss nicht der letzte«, sagte sie und blickte wieder hoch in den Himmel, der mit zahlreichen stillstehenden Sternen besprenkelt war. Nias Blick folgte ihr.

»Wo kommen die alle her?«, wollte die junge Löwin wissen, bereits eifrig nach der nächsten Sternschnuppe Ausschau haltend.

Ihre Mutter begann zu erklären.

»Der Löwe des Berges schickt sie. Sie stammen aus einer fernen Welt, weit weg von hier, auf die noch nie ein Löwe seine Pfote gesetzt hat.«

Nia staunte. »Und warum schickt er sie hierher?«

Sichtlich erfreut über die Neugier der Kleinen antwortete die erwachsene Löwin: »Weil sie hier dringender gebraucht werden als in ihrer Heimat. In unserer Welt leben so viele Seelen, die instinktiv ihren Schutz suchen.«

»Mehr als es Sterne gibt?«, fragte Nia mit einem Blick auf die unzähligen funkelnden Punkte, die sie niemals alle hätte zählen können.

Ihre Mutter lachte. Es war ein freundliches Lachen, das von Herzen kam.

»Vielleicht«, sprach sie und mit einem Zwinkern fügte sie hinzu: »Du kannst es ja herausfinden.«

Nia konnte ihren Blick nicht von den Sternen abwenden. Wenn der Löwe des Berges über sie alle herrschte, musste er groß und mächtig sein. Gesehen hatte sie ihn noch nie, aber sie war sich sicher, dass es lediglich eine Frage der Zeit war, bis sie sein edles Antlitz zum ersten Mal erblicken würde.

Die beiden Löwinnen saßen am Rand des Plateaus, nahe des Bergpfades, dem sie ein Stück weit gefolgt waren. Den größten Teil der Strecke hatte Nia auf ihren eigenen Pfoten zurückgelegt, worauf sie sehr stolz war. Nur stellenweise, immer dann, wenn der Pfad steil und unwegsam geworden war, hatte ihre Mutter sie getragen.

»Lebt er dort oben?«, fragte Nia mit einem Blick auf die Berggipfel, die sich in der Dunkelheit als Silhouetten hervortaten.

»Auf dem höchsten von ihnen«, bestätigte ihre Mutter. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, zuckte sie zusammen, ihr Gesicht schmerzverzogen, ihr Rücken gekrümmt.

»Was hast du?«, fragte Nia erschrocken. Ihre Mutter so verletzlich zu sehen, jagte ihr entsetzliche Angst ein.

»Es ist schon gut«, sprach die Löwin und bemühte sich zu lächeln, was ihr aufgrund der Schmerzen sichtbar schwer fiel. »Ich muss auf dem Weg hier hoch falsch aufgekommen sein. Mach dir keine Sorgen.«

Aber genau die machte sich Nia. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Schon seit Tagen verhielt ihre Mutter sich merkwürdig. Sie hatte kaum etwas getrunken, geschweige denn gefressen und immer wieder hatte sie über Schmerzen geklagt.

»Nia«, sprach ihre Mutter, während die kleine Löwin sich an ihr Bein schmiegte.

»Ja?« Nia hob vorsichtig den Kopf. Noch immer stand ihrer Mutter der Schmerz ins Gesicht geschrieben, auch wenn sie sich allmählich zu entspannen schien.

»Kannst du mir etwas versprechen?«

Nia nickte.

»Versprich mir, dass du immer deinen eigenen Weg gehen wirst, ganz gleich was geschehen mag. Dass du nachdenkst und nicht blind denen vertraust, die sich über dich stellen wollen.«

Savanne in der AbendkühleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt