Kapitel 92_Sonnenaufgang - Teil 1 / Verlorene Macht
Die Stille um sie herum wurde von leisem Vogelgezwitscher unterbrochen, die das Licht mit sich brachte, als einzelne Strahlen die Wolkendecke durchdrangen und in das Touristenbüro fielen. Es war schon eine gewisse Ironie. Der Sturm, der einige Sekunden draußen gewütet hatte, war praktisch an Kiba vorbeigegangen, nur irgendwo am Rande seines Bewusstseins flüchtig aufgetaucht. Es waren die Vögel, die ihn in die Gegenwart zurückholten und aus seiner Trauer rissen.
Abwesend strich er durch Carags Pumafell. Noch immer lag der Wandler neben ihm, den Kopf auf die Pfoten gelegt. Seine Nase berührte fast Zaans Schulter. Als Puma konnte Carag natürlich nicht weinen, aber Kiba war auch so klar, dass der Schmerz des Pumas genauso groß sein musste wie sein eigener. Sie kannten sich nur ein paar Wochen, aber hatten sich direkt gut verstanden - Carag hatte sogar angefangen, Zaans Sprache zu lernen.
Noch immer konnte Kiba nicht so ganz glauben, was passiert war. Es fühlte sich so unwirklich an. Dabei war es ihm mittlerweile glasklar geworden, keine falsche Hoffnung trübte mehr seinen Verstand.
Und trotzdem. Mila - es war unerwartet bei ihr, aber schnell zu akzeptieren. Selin - es war ein Schock gewesen, aber hätte sich realer nicht anfühlen können.
Aber bei Zaan war es anders. Nicht nur schockierend und unerwartet - es fühlte sich unecht an. Vor einigen Minuten hatte Kiba noch geglaubt, nur er und Carag könnten Kimura besiegen und dann hatte ein einziger Stoß gereicht ...
Das Singen der Vögel gab Kiba das Gefühl, langsam würde die Zeit wieder anfangen, weiterzulaufen. Die dunkle, zeitlose Welt wurde von ihnen zerbrochen. Als Kiba genauer hinhörte, fand er ihre Lieder traurig, ein leiser, gleichmäßiger Gesang, als würden sie eine Trauerhymne singen.
Als würde die Welt Zaan langsam verabschieden.
Kiba konnte nicht anders, als die Augen zu schließen und der Hymne zuzuhören. Denn trotz all der Trauer und Schmerzen in ihr, klang sie immer noch wunderschön. So schön, dass es wehtat.
Ganz langsam stieß Kiba die Luft aus, er hatte während dem Gesang unbewusst den Atem angehalten. Dann senkte er wieder den Blick und schaute zu Carag. Noch immer strich seine Hand über das weiche, zimtfarbene Fell des Pumas. „Na los", flüsterte er. „Gehen wir."
Erst nach ein paar Sekunden erhob Carag sich auf die Pfoten und erwiderte Kibas Blick. Selbst in seiner Puma-Gestalt war ihm die Trauer deutlich anzusehen.
Kibas Hände zitterten ein wenig, aber er hatte überraschenderweise keine Probleme, Zaan zu tragen. Sein Körper fühlte sich bereits kühl an und obwohl es nur ganz leicht war, jagte es Kiba einen leichten Schauer über, der seinen Körper erzittern ließ.
Während sie sich dem Ausgang näherten, wich Carag kein einziges Mal von Kibas Seite - er konnte sein Fell an seinem Bein spüren. Und irgendwie beruhigte es ihn. Er dachte an Naho, die kindliche Stimme in seinem Kopf, die er nie wieder hören würde und fühlte sich irgendwie ... erleichtert. Du brauchst ihn nicht zu vermissen. Flüsterte seine innere Stimme ihm zu. Er ist wieder Teil von dir, so wie es sein sollte.
Ja, Kiba musste nicht um diesen zerbrochenen Teil trauern. Schließlich war er geheilt.
Wortlos ließ Kiba die Reaktionen seiner Kameraden über sich ergehen. Die Vögel schienen wieder verstummt. Ein neuer Gesang setzte ein, aber ein grauenvoller. Voll Schmerz und Trauer und Entsetzen. Die Stimmung ließ sich gar nicht beschreiben. Gin hatte sich hingekniet und wollte Zaan nicht mehr loslassen, Kirin wirkte vorbereiteter, aber trotzdem entsetzt. Diago fiel Kiba um den Hals, während dieser stur den Blick gen Himmel richtete.
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IMVELO || Woodwalkers FF
FanfictionWoodwalkers - Die Schnittwelt der Menschen und Tiere, ein uraltes Geheimnis, gefährdet und gehütet von allen, die es kennen. Eine Natur, die Menschen als Übernatürlich bezeichnen. Doch tief versteckt wird eine weitere Natur gehütet. Eine Magie, mit...