8. Kapitel:

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Wir müssen hier weg.
Wir müssen fliehen, es hat keinen Sinn mehr hier zu bleiben.
Sie ist schwach, viel zu schwach.
Ich könnte sie retten, ihr Held sein. Stattdessen verstecke ich sie in einen der unzähligen verlassenen Räume und verschließe die Tür, drehe mich nicht mehr um, gehe einfach weg und lasse sie und mein Versteck hinter mir.
Ich weiß nicht wohin, schon wieder...
Ich lasse sie allein, sie bekommt alles mit, bleibt zurück in diesem grauenhaften Anblick, fürchtet sich wahrscheinlich.
Ich zögere.
Das war ganz eindeutig ein Fehler, denn sie ist mir gefolgt, hält sich den Bauch und zeigt Symptome die man aufweist wenn man schnell gerannt ist: sie beugt den Oberkörper nach unten, stützt sich mit der einen Hand am Oberschenkel ab und holt keuchend Luft.
„Warte, bitte warte."
Sie hat eine bezaubernde Stimme, jetzt zwar aufgelöst und ängstlich, trotzdem wunderschön.
Sie steht einige Meter hinter mir, ich drehe ihr den Rücken zu, der Vollmond wirft ihren Schatten auf den Boden und zeigt ihr meinen Standpunkt.
Ich hätte sie einsperren und ihrem Schicksal überlassen sollen! Jetzt ist es jedoch zu spät.
Inzwischen hat sie sich halbwegs aufgerichtet und starrt mich abermals an. Ich will mich nicht umdrehen, nicht ihr Gesicht sehen, welches höchstwahrscheinlich einen vorwurfsvollen Ausdruck angenommen hat. Ich erwarte nichts anderes, ich hätte sie alleine gelassen um mich zu retten. Oder? Wäre ich wirklich weitergelaufen? Es kann sein, jedoch hat sie mir keine Zeit gelassen, um entweder wegzugehen oder mich umzudrehen, sie hat mir diese Entscheidung abgenommen und irgendwie bin ich ihr dankbar dafür.
Etwas Erleichterung, nichts wichtiges.
Ich lausche ihrem Keuchen während ihre Gedanken zu mir strömen.
Es geht ihr elend.
Es wäre ihr Untergang gewesen wäre sie länger dort festgesessen. Ich hätte ihr ein schlimmeres Leben als das meine beschert und dazu einen lebenslangen Aufenthalt in der Psychiatrie. Sie hat sich dagegen entschieden, hat ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und ist nicht davor geflohen.
Ein starkes und majestätisches Geschöpf... Trotz all der Angst hat sie immer noch diese Ausstrahlung, die unzerstörbar scheint. Doch ich weiß, alles kann kaputt gehen...
„Du kannst nicht einfach weggehen und mich hier alleine lassen!" Nein, das könnte ich nicht, hätte es aber fast gemacht.
Sie ist nicht wütend, nur verzweifelt.
Es existiert kein Vorwurf in diesen Worten. Irgendwie fühlt sie sich mir nah, es kann sein, dass das wegen der Einsamkeit ist die wir gemeinsam haben. Sie sucht Halt bei mir, sieht mich eventuell als Seelenverwandten, obwohl sie mich überhaupt nicht kennt. Ich war so lange alleine, diese Nähe, die sie bei mir sucht, macht mir Angst, löst ein mulmiges Gefühl aus und lässt mich auf Abstand gehen.
„Was ist eigentlich passiert? Woher kommen all die Leichen? Was bist du? Was ist das hier für ein Ort? Warum bist du hier alleine? Wollte dich irgendjemand aus dem Haus haben? Hast du irgendetwas verbrochen? War das eine Art Rache?"
Warum fragt sie so viel? Erwartet sie wirklich Antworten? Ich denke es ist ihr bewusst, dass es keine schönen Antworten geben wird. Was verflucht nochmal will sie hören?!
Sie soll endlich ihren Mund halten!

Warum will jeder die Wahrheit wissen, obwohl sie IMMER Schaden anrichtet?! Das könnte ein weiterer Grund sein weswegen ich mich von meinem Menschsein losgesagt habe

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Warum will jeder die Wahrheit wissen, obwohl sie IMMER Schaden anrichtet?!
Das könnte ein weiterer Grund sein weswegen ich mich von meinem Menschsein losgesagt habe...
Doch jetzt als Vampir gilt nur noch dieses eine Gesetz: Die Wahrheit zählt nicht, keiner hinterfragt, die Gleichgültigkeit regiert, die Wichtigkeit von Lüge und Wahrheit geht verloren. „Nein, nicht wichtig."
Sie erschrickt als sie meine raue, brüchige Stimme hört. Sie klingt uralt und wie die Stimme eines Toten, was kaum verwunderlich ist. Sie schweigt, steht einfach nur da und starrt mir Löcher in den Rücken.
Ein Gedanke lässt ein leichtes, schmerzhaftes Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen: dieser Blick bohrt mir wirklich Löcher in den Rücken, mein Oberkörper ist plötzlich nackt und beginnt literweise Blut zu verlieren. Merkwürdigerweise nimmt meine Haut einen rosigen Ausdruck an.
Ich bin wieder ein Mensch.
Das Blut fließt weiter, ich beginne zu sterben und lande letztendlich leblos am Boden. Kurz bevor der Sensenmann mich holt fühle ich meine eigene Wärme und meinen eigenen Herzschlag..., mein Mund lächelt.
Doch schnell verfliegt dieses Trugbild, denn allein schon der Gedanke, wieder Mensch zu sein und dann sterben zu müssen, zerstört das Lächeln und verwandelt es in eine ausdruckslose Grimasse.
„Was bist du?"
Ihre Stimme zittert.
Dass ich ihr vorher geantwortet habe war ein weiterer Fehler den ich ihretwegen begangen habe, deswegen lasse ich meinen Mund geschlossen.
Sie verwirrt mich, bringt mich aus dem Gleichgewicht.
Schnell rufe ich mir ins Gedächtnis, dass ich ihr nichts, rein gar nichts schulde, keine Antworten, keine Wahrheiten.
Es ändert nichts, also ist es völlig egal...
„Nein", krächze ich wieder.
Langsam wird sie aufgebracht: „Aber warum denn nicht?!"
„Keinen Sinn, tut nur weh."
Meine Stimme klingt immer schrecklicher, sie wird heiser und ist kaum hörbar.
Ich zucke zusammen, ihre Hand liegt jetzt auf meiner Schulter.
Sie dreht mich zu sich und schaut in meine abscheulichen Augen und vertieft diesen Blick. Wie ferngesteuert packe ich ihr Handgelenk und drücke zu.
Es knackt.
Schreiend und mit Tränen in den Augen zieht das Mädchen ihre Hand zurück, die jetzt schlaff an ihrem Arm hängt und anzuschwellen beginnt. Jetzt ist das Mädchen stumm, verzieht ihr Gesicht und versteht die Welt nicht mehr. Entgeistert taumelt sie einige Schritte zurück, ist kurz davor wegzurennen, jedoch verharrt sie regungslos.
Jetzt steht sie mit dem Rücken zu mir.
Ich hab sie verletzt, ich hab das Mädchen verletzt... Und doch ist mir auch das völlig egal, nichts rührt sich bei mir, sei es Mimik oder Gefühl.
So bin ich nun mal, unerschütterlich und kalt.
Als sie das erkennt ergreift sie schlagartig die Flucht.
Sie erkennt endlich, dass ich eine Gefahr für sie bin, auch wenn es jetzt schon zu spät ist. Sie wird immer eine Erinnerung an mich an ihrem Körper tragen, wird sie nie vergessen und schlimme Albträume haben.
Selbst schuld...

Seelengift *komplett fertig/wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt