51. Kapitel:

17 1 0
                                    

Sie zwingt mich dazu, das zu tun, was ich nie wieder tun wollte: morden. Auf ihre Kosten bringen wir unzählige Menschen um, damit Nacht für Nacht ein neuer Blutmond auferstehen kann.
Ein Oberhaupt gibt es nicht mehr, denn nicht einmal er selbst weiß, dass er einst unser Anführer gewesen ist.
Niemand weiß das mehr.
Jeder von uns wurde mehr oder minder komplett gereinigt und auf Null gestellt.
Und doch sehe ich ab und zu dieses eine Gesicht und höre diese eine Stimme.
Beides fügt mir Schmerzen zu.
Nur in Tiergestalt bin ich davon gefreit, denn die langsamen Gedanken des Wolfs kommen der Geschwindigkeit des Vampirs nicht hinterher.
Das ist auch gut so.
Wenn es wieder soweit ist, dass die Nacht blutrot gefärbt wird, rennen wir als unerbittlicher Wirbelsturm, oder einfacher gesagt, als trommelnde Pfoten, die Stadtmauer ein. Nur zerstören wir sie nicht, sondern rennen ohne Probleme hindurch, so als wären wir nichts weiter als Luft.
Doch dann, wenn wir im Zentrum der Stadt angekommen sind, beginnt das brutale Reißen, das das wohlbekannte Schreien und Weinen unserer Beute auslöst.
Könnten wir unsere Aggressionen nicht auf diese Weise ausleben, würden wir uns gegenseitig bekämpfen, jedoch wäre das kein Kampf auf Leben und Tod, denn wir können nicht sterben. Körperteile können wir trotzdem verlieren.
Denn die Frustration, seinem Gegner nicht endgültig den Gar ausmachen zu können, macht einen rasend, somit beißen wir uns so lange mit unseren messerscharfen Wolfszähnen, bis wir Muskeln, Knochen und Sehnen durchtrennt haben, um das zerstörte Körperteil mit einem heftigen Ruck unserer kräftigen Köpfe abzureißen.
Die Macht will das natürlich nicht.
Also leben wir unseren alles in den Hintergrund stellenden Tötungsdrang an unschuldigen Menschen aus...
Jetzt bin ich wirklich ein Monster.
Mein Menschsein geht mehr und mehr kaputt, die letzten Teile meiner Seele gehen verloren, was das Fell meiner Wolfsgestalt am deutlichsten zeigt: anfangs hatte ich ein schwarz-weiß geschecktes, jetzt jedoch wird das Weiß nach jedem weiteren Mord ein Stück grauer, bis es irgendwann genauso pechschwarz sein wird, wie das der anderen. Dann gibt es wirklich keinen Unterschied mehr zwischen mir und meinen Artgenossen.
Alle sind gleich.
Doch da ist noch dieser eine, der sich nicht annäherungsweise in unsere Einheit einfügt.
Er ist ein Schneeleopard, gänzlich aus Eis bestehend, was aber auf keinen Fall bedeutet, dass er zerbrechlich ist.
Viele von meinem Rudel sind, nachdem wir von weiteren Morden in den finstersten Teil des Waldes zurückgekehrt sind, im Eifer des Gefechts auf ihn losgegangen, wenn er zufälligerweise ebenfalls zu unserem Treffpunkt gekommen ist. Dann hat er stets mit vor Wut blitzenden Augen seinem "Angreifer" die Krallen in den Pelz versengt.
Daraus sind zugegebener Weise ziemlich tiefe Wunden entstanden, die selbstverständlich in wenigen Sekunden wieder weg waren, jedoch bleibt er stets unverletzt.
Eis eben.
Somit hat es niemand mehr gewagt ihn anzugreifen, obwohl er nie bei den "Besuchen" in der Stadt dabei ist.
Irgendetwas sagt mir, dass ich ihn durchaus kenne, doch da ich in letzter Zeit meistens in der Wolfsgestalt verweile, sind meine Erinnerungen restlos gelöscht.
Wir wurden alle gelöscht. Aber das zählt nicht mehr.
Was jetzt einzig und alleine zählt, ist der strikte Gehorsam gegenüber der Macht, meiner Herrscherin, meiner Gebieterin. Das ist von nun an das Wichtigste und ich schwöre, dass ich jeden töten werde, der es auch nur annäherungsweise wagt, die Macht anzuzweifeln.
Doch eine Sache bringt mich total aus dem Konzept: ich träume! Sogar in Tiergestalt! Diese Stimme und dieses Gesicht lassen mich einfach nicht in Ruhe! Die ganze Zeit quälen sie mich, verfolgen mich! Machen mich wahnsinnig!
Eines Tages halte ich es einfach nicht mehr aus und ein einziges, schwächliches Winseln entrinnt meiner Kehle. Sofort sträuben sich die schwarzen Pelze der Vampirwerwölfe, Lefzen werden hochgezogen, Zähne werden gefletscht.
Alle knurren im Chor:
"Schwäche ist nicht erlaubt!"
Auch mir hat sich der Pelz gesträubt und obwohl ich umzingelt bin, knurre ich wütend zurück.
So kann man nicht mit mir umgehen!
Voller Hass auf mich selbst und die anderen Vampire springe ich dem nächst Besten an die Kehle und reiße sie ihm oder ihr erbarmungslos auf.
Trotz Vampirsein töte ich meinesgleichen, denn eine aufgerissene Kehle kann nicht einmal ein Unsterblicher heilen, obwohl die Wunde durchaus versucht, sich zu verschließen.
Doch es geht nicht mehr.
Der verwundete Vampir wird zum Mensch, verblutet und stirbt. Sofort habe ich wieder den Respekt aller, die mich vor wenigen Sekunden noch für einen Schwächling gehalten haben.
Ich habe gesiegt.
Unterwürfig senken die anderen die Köpfe und weichen von mir zurück, während ich mit immer noch aufgestellten Nackenhaaren in einen anderen Teil des Waldes gehe, um meine Ruhe zu haben. Niemand hält mich auf oder stellt sich mir in den Weg.
Da mir meine Tiergestalt endgültig auf die Nerven geht, verwandle ich mich zurück in mein Vampir-Ich.
Ohne wirklich darüber nachzudenken stecke ich einer meiner blassen, eiskalten Hände in eine Tasche meines Mantels.
Als ich sie wieder herausziehen, halte ich ein kleines, silbernes Klappfeuerzeug fest umklammert.
Ein seltsamer Gedanke denkt in mir:
"Ein Geschenk von Likonell?"
Doch ich verliere ihn schnell wieder.
Grundlos klappe ich den Deckel auf und eine kleine Flamme kommt raus. Mit verlorenem Blick halte ich meine Hand hinein, doch anstatt dass mir das Feuer weh tut und mich verbrennt, liebkost es mich und entblößt meine wahre, neue Haut.
Mit leerem Blick betrachte ich dieses entstellte, rot-orange-gelbe Etwas, das nun meine Knochen überzieht.
Der Beweis, dass ich durch die Hölle gegangen bin...
Ohne wirkliche Gefühlsregung drehe ich sie mal so, mal so und beäuge fast schon interessiert mein "verbranntes" Fleisch.
Dies zeigt umso deutlicher, was ich jetzt bin: ein Höllentier, ein Biest, ein Monstrum.
Irgendetwas löst diese Erkenntnis in mir aus, jedoch kann ich es nicht definieren, nicht einordnen.
Doch bevor ich näher darüber nachdenken kann, ruft mich die Macht und ich kehre in Wolfsgestalt zu meinem Rudel zurück.
Sie hat einen Auftrag für mich, ich soll ein Mädchen ausfindig machen und sie zu ihr bringen.

Seelengift *komplett fertig/wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt