36. Kapitel:

46 3 0
                                    

Die Hände unter ihrem Gesicht gefaltet, schläft das Mädchen mit dem Kopf auf meinem nackten Oberkörper.
Sanft streiche ich ihr über die Haare und fahre die zarten Konturen ihres feinen Gesichts nach.
Auch ich bin müde und erschöpft, da ich immer noch nicht wirklich in Form bin, fühle mich aber gleichzeitig wundervoll und weiß, dass unsere Liebe durch nichts zerstört werden kann. Dennoch trüben andere Gedanken mein Glück. Hier ist sie in größter Gefahr, die Macht hat deutlich gemacht, dass sie sich nicht so einfach geschlagen gibt, wenn, dann müsste ich sie töten. Ein unangenehmer Stich von Bedauern setzt meinem Körper zu. Ich ignoriere ihn.
Das Kind muss in Sicherheit gebracht werden!
Des Mädchens Idee taucht in meinen Geist auf. In ihrem Land ist die Macht nicht zuhause, sie hat dort keine Macht, also ist ihre Kontrolle über mich geschwächt... Das Kind hat recht, es wird Zeit sich in Sicherheit zu bringen, jedoch geht es hierbei nicht um die Meine sondern einzig und allein um die Ihre.
Mit einemfestgefrorenem, künstlichem Lächeln versuche ich meine Sorge zu verstecken und wecke meine Geliebte vorsichtig auf. Erschrocken schlägt sie die Augen auf, lächelt dann aber als sie mich erblickt. "Guten Morgen", ihre Stimme ist nicht mehr als ein verschlafener Hauch. Als ich nicht reagiere nimmt ihr schönes Gesicht einen besorgten Ausdruck an. "Was ist denn?" Ich kann ihr nichts vormachen, sie hat mich sofort durchschaut. Mit kratziger, beinahe schon heißerer Stimme antworte ich: "Kannst du dich noch daran erinnern, wie du mir den Vorschlag gemacht hast, dass ich mir eine Auszeit gönnen sollte? Hm, ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich ihn annehme." Ein breites Lächeln breitet sich in ihrem Gesicht aus. Lachend fällt sie mir um den Hals und drückt mich fest an sich. Ich sie auch, jedoch eher halbherzig.
Kurz trennen wir uns um Vorräte (die nur sie alleine benötigen wird, damit sie längere Zeit überleben kann, da ich nichts davon brauchen werde) für unsere lange Reise zu sammeln.
Als wir genügend zusammen haben machen wir uns auf den Weg, obwohl keiner von uns weiß, wo genau unser Ziel liegt und ob wir es überhaupt erreichen können. Sie kann sich ja nicht einmal daran erinnern, wie sie überhaupt in mein Land gekommen ist.

Wir laufen schon sehr, sehr lange, sie ist müde und erschöpft. Oft muss ich sie tragen, entweder weil sie sonst nicht mehr weiter kann, oder damit sie wenigstens etwas schläft. In diesen Momenten in denen sie sich nur selten rührt und ihre Augen geschlossen sind, muss ich mich sehr beherrschen nicht in Panik zu verfallen.
In stetigem Schritt folge ich dem aussichtslosem Weg.
Ich muss oft nach Nahrung und Wasser suchen, da die Vorräte schnell aufgebraucht sind, zum Glück sind wir in einem üppigen Wald unterwegs.
Während der ganzen Zeit wird meine Stimmung immer düsterer und finsterer. Das Wissen, das ich die Macht (allein schon dieser Name verleitet mich dazu meine Lippen voll Hass zusammenzupressen) nun doch nicht aus mir vertreiben konnte frustriert und deprimiert mich zugleich. Ich bin wütend auf mich selbst, schließlich ist es meine eigene Schuld, dass sie mich überhaupt erobern konnte.
Außerdem habe ich manchmal das Gefühl, verfolgt zu werden, zusätzlich, dass etwas anderes in meinem Inneren zu wachsen beginnt, etwas, das ist nicht zuordnen kann.
Das Mädchen bekommt von alledem nichts mit, denn meistens lasse ich es nur zu, wenn sie schläft oder nicht auf mich achtet, was leider eher seltener vorkommt.
Ich halte mich sehr zurück, jedoch kann ich ein paar Mal nicht widerstehen in ihren Gedanken nach etwas Bestimmten zu suchen, obwohl ich mir nicht bewusst bin was das sein sollte.

Wieder sind wir viele Meter gelaufen und meine Hoffnungen schwinden mit jedem weiteren. Und doch fühlt es sich an als hätten mich unsichtbare Hände ganz sacht berührt, die bei jedem Schritt fester zupacken und mich irgendwo hin ziehen wollen. Da ich sowieso nicht weiß wo ich bin bzw wo ich hin soll lasse ich mich von ihnen führen. Sie scheint über meine plötzliche "Zielstrebigkeit" irritiert zu sein, bleibt aber stets an meiner Seite und spricht sehr wenig. Naja, um ehrlich zu sein unterhalten wir uns kaum, jeder ist in seiner eigenen Welt versunken, vielleicht ab und zu darüber wo wir kurz anhalten und wer diese Nacht wache hält (was ich sowieso jedes Mal übernehme), sonst herrscht Schweigen.
Die Hände werden fordernder, drängen mich zu Eile, jedoch lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen und behalte mein stetiges Tempo bei.

Wieder einmal ist es Nacht geworden. Sie liegt schlafend auf dem Boden, den Kopf in die Kuhle meiner verschränkten Beine gelegt. In Gedanken vertieft lege ich meine Hand auf ihre warme Haut und fühle wieder dieses Prickeln, als würden meine Finger auftauen. Es ist ein an- und gleichzeitig unangenehmes Gefühl.
Ich mache mir sehr große Sorgen um die Sicherheit des Kindes, im Mindesten wegen der Gefahr die von mir ausgeht.
Im Prinzip ist es doch ganz einfach: ich bin nichts weiter als eine einfache, mickrige Figur, gefangen in einem unendlichem Spinnennetz, aus dem man nie wirklich frei kommt. Beinahe kann man es mit den Geisterhänden vergleichen, die mich stetig in eine bestimmte Richtung locken, sie sind zwar kaum spürbar, trotzdem immer noch da.

Als die ersten Sonnenstrahlen die Schwärze der Nacht spalten, wecke ich das Mädchen und wir wandern weiter. Zwar taumelt sie immer wieder, da sie noch mitten im Halbschlaf ist, jedoch weiß ich zu verhindern, dass sie stolpern oder fallen könnte.
Die Hände haben mich nun fest im Griff und ziehen und zerren immer grober an mir und meinen Klamotten. Das Kind weiß nichts davon. Ich werde ihr auch nichts darüber sagen, sie wird es sowieso nicht verstehen. Außerdem geht es sie nichts an! Zwar erschreckt mich dieser Gedanke, mein Trotz überwiegt aber. Leider ist es ihr nicht entgangen, dass ich mich immer mehr zurück ziehe und verschließe. Natürlich versucht sie sich nichts anmerken zu lassen, ihre gerunzelte Stirn aber spricht Bände. Kurz überkommt mich der Wunsch, mit ihr darüber zu reden, wird allerdings schleunigst weg geschoben.

Wieder laufen wir, wahrscheinlich schon mehrere Stunden wenn nicht sogar Tage oder Wochen. Meine Arme machen keine Anstalten einzuschlafen, obwohl ich meine Geliebte schon sehr lange und weit getragen habe.
Wieder ziehen dunkle Wolken in meinem Geist auf. Meine Mimik wird leer und kalt, die des Kindes umso besorgter. Desto mehr ziehe ich mich zurück, egal wie schlecht es mir dabei geht. Auch ihre Stimmung verdüstert sich sichtlich. Es frustriert sie, dass sie die Mauer, die sich zwischen uns aufgetan hat, nicht überwinden kann.
Die Hände lassen mich immer noch nicht los und aus lauter Frustration beginne ich zu rennen. Das Mädchen hat große Mühe hinter mir her zu kommen, da ich als Jäger ein gewisses Grundtempo aufzuweisen habe, zu ihrem Pech ist schnell außer Atem. "Warte, bitte warte doch!", keucht sie. Von einer plötzlichen Version gepackt reiße ich meine Augen auf und bleibe schlagartig stehen. In Ausschnitten, wie als würde jemand Fotos schießen, sehe ich vor meinem geistigen Auge wie sie aus meinem ehemaligen Versteck rennt, sich außer Atem auf ihren Knien auf stützt, mich bitte zu warten und mir unzählige Fragen stellt. Jetzt sehe ich mich selbst, wie ich einfach nur dastehe, mich nicht rühre und nicht reagiere, wie sie ihre Hand auf meine Schulter legt, mich zu sich umdreht, mir in die Augen schaut, ich ihr Handgelenk packe und zudrücke. Es knackt. Nackte Angst und purer Schmerz zeigen sich auf ihrem Gesicht. Das Meine sehe ich nicht.
Heftig beiße ich mir auf die Lippen und sauge scharf die Luft ein. Ob es wirklich so ist oder nicht weiß ich nicht, trotzdem pocht mein Handgelenk als sei es meines, das ist gequetscht oder sogar zerbrochen haben. Der imaginäre Schmerz schießt durch meinen Arm und breitete ist in meinem Brustkorb aus. Er wandert immer weiter, bis er schließlich meinen ganzen Körper ausgefüllt hat. Es geschieht nur im Bruchteil einer Sekunde, dass etwas anderes den Platz des Schmerzes einnimmt, nichtsdestotrotz ist es sehr deutlich zu spüren. Jetzt erfüllt mich, einen unbesiegbaren Vampir, wie bei einem schwächlichen Menschen, nackte Angst. Mein inneres Ich versucht panisch etwas zu erkennen, versuch das Neue zu finden, die Suche bleibt aussichtslos. Ich weiß, dass da etwas ist, leider jedoch nicht WAS es ist. Ich beginne zu zittern, obwohl mir keinesfalls kalt ist, meine Zähne klappern, trotzdem bleibe ich wo ich bin, ich rühre mich nicht. In anderen Geschichten hätte vermutlich an dieser Stelle gestanden: mir wird schwindelig und schwarz vor Augen und ich kippe um, in dieser Geschichte jedoch bleibe ich stehen.
Wie Wellen brandet die Sorge des Kindes zu mir herüber. Gleichzeitig ist es so, als würde mich einer der Geisterhände ohrfeigen. Wahrscheinlich tut sie das nicht einmal, mein Kopf wird, warum auch immer, trotzdem zur Seite geschleudert. Meine Benommenheit schwindet, das Zittern hört ganz auf.
Ihre Frage, was denn mit mir passiert war, kann ich beim besten Willen nicht beantworten, da ich es mir ja selbst nicht erklären kann.

Beide stehen wir regungslos da, mein Kopf schaut wieder geradeaus, um uns herum ist es angenehm ruhig, wir beide jedoch sind es nicht mehr, zumindest innerlich.
Etwas passiert und ich reagiere sofort, trotzdem bekomme ich einen brutalen Schlag in die Magengegend, erst krümme ich mich nur, dann legt sich ein Schalter in mir um und mir geht das Licht aus.

Ob meine Augen offen sind oder nicht weiß ich schon wieder nicht. Wenn ja, dann ist alles sowieso verschwommen und undeutlich. Ich kann nicht erkennen wo ich bin, im Wald auf jeden Fall nicht mehr.
Das Mädchen ist neben mir, ich fühle ihren Körpern an meinen geschmiegt. Das Wissen, dass sie da ist, tröstet mich ungemein. Kurz versuche ich mich zu bewegen, bin aber wie gelähmt. Ohne Protest gebe ich mich der Schwärze hin die mich ruft.


Seelengift *komplett fertig/wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt