Ich gehe im Polizeipräsidium hin und her, wie ein wildes, unruhiges Tier im Käfig.
Mir geht die Angst und das Gefühl, das kleinste, unwichtigste Wesen dieser unbedeutenden Welt zu sein, das ich wegen dieses jungen Mannes hatte, nicht mehr aus dem Kopf. Denn genau das hatte ich: Angst, so als stünde der Tod persönlich vor mir.
Alles an diesem Wesen stand für Dunkelheit und die Unterwelt.
Kopfschüttelnd versuche ich diese Gedanken, die zäh wie Spinnweben an mir kleben bleiben, zu verdrängen.
"Kommst du?" Die tiefe, freundliche und doch autoritäre Stimme gehört meinem Chef, einem stämmigen, betagten Mann mit grau-weißem Haar.
Ohne ein Wort gehe ich in den nächsten Raum, denn seit sehr langer Zeit hat niemand mehr meine Stimme gehört. Ich kann nicht einmal mir selbst erklären, warum ich so lange schweige, und trotzdem tue ich es. Doch eines Tages wird sie wie ein wiederentdecktes Heiligtum wegen jemandem besonderen erklingen.
Das ist mein Ziel, nur bin ich dieser Person noch nicht begegnet.
Naja, das gilt für alle außer meinen Eltern..., deswegen habe ich für meinen Job ein extra Aufnahmegerät, dass an meiner Stelle: "Hände hoch! etc.", brüllt.
"Geh nach Hause." Mein Chef selbst klingt müde und abgegriffen, jedoch ist er immer der letzte, der nach Hause geht.
Ich habe mich schon so oft auf meine Art versucht dagegen zu wehren, wurde aber jedes Mal freundlich herausgeworfen...
Auch dieses Mal packe ich sehr sehr widerwillig meine Sachen, ziehe meine Polizeimütze tiefer ins Gesicht, werfe mir meine grüne Polizeijacke lässig über die Schulter, um sie letztendlich doch ganz anzuziehen und den Reißverschluss bis zum geht nicht mehr zu schließen. Meinen Rucksack nehme ich Huckepack.
Dann trete ich hinaus, in die Dunkelheit, in die angenehme, erfrischende Abendluft.
Und endlich ist es so weit: Ich renne, ich sprinte so schnell und so lange ich kann, versuche immer schneller zu werden und immer weiter zu kommen, bis meine Lungen nicht mehr können und nach Luft schreien, denn ich liebe diese Art von Geschwindigkeit.
Manche würden diese Art der Selbstherausforderung Eigenquälerei nennen, ich nenne es: leben. Sich selbst spüren.
Wieder komme ich völlig außer Atem vor dem Haus meiner Eltern an, denn egal wie viel und tief ich versucht habe, Luft in meine Lungen zu bekommen, es war trotzdem zu wenig. Jedoch fühle ich mich gut, denn es ist das erste Mal, dass ich den ganzen Weg in einem Zug geschafft habe. Auch jetzt entnehme ich der Luft sehr viel Sauerstoff und atme tief ein und aus. Meine Lunge weitet sich und zieht sich wieder zusammen, bis sie einen gleichmäßigen Takt findet, ebenso wie mein Herzschlag.
Ich liebe dieses Gefühl zwischen völliger Erschöpfung und dem Wissen, weitergekommen zu sein. Deswegen gehe ich auch ins Fitnessstudio, um meinen Körper immer größeren Belastungen aussetzen zu können.
Mehr kann ich von ihm nicht erwarten, denn ich bin krank. Krank auf den Tod.
Deswegen bin ich auch so erschrocken, denn ich dachte, dieses Wesen sei mein persönlicher Todesengel, gekommen um mich nun doch zu holen.
Anscheinend ja nicht...
Trotzdem habe ich an ihm den Sensenmann sehr deutlich gespürt, so, wie ich die Klinge des Totengottes stets an meiner Kehle spüre, bereit, das Blut heraussprudeln zu lassen.
Während ich darüber nachdenke, hat sich die Tür meines Elternhauses geöffnet und meine Mutter mustert besorgt die Schweißperlen, die meine Stirn bedecken. Mit ihrer wohlklingenden Stimme fragt sie: "Bist du wieder gerannt? Dumme Frage..., höchstwahrscheinlich hast du dich wieder einmal völlig verausgabt!" Der Tadel ist deutlich herauszuhören.
Die Stirn der wichtigsten Frau in meinem Leben ist gerunzelt, sodass ich erkennen kann, dass sie wieder einmal an meine Krankheit denkt, sofern sie das jemals sein gelassen hat, wenngleich sie das höchstwahrscheinlich die ganze Zeit nicht geschafft hat. Trotzdem lächle ich sie so breit wie noch nie an und keuche: "Ich habe es endlich geschafft, ich hab den GANZEN Weg geschafft!" Dies sage ich nicht, ohne mich an den Türrahmen lehnen zu müssen. Obwohl sie so besorgt um mich ist, ihr habt sicher schon bemerkt, dass sie sehr doll und mindestens jede Sekunde um mich besorgt ist, muss sie ebenfalls lächeln, wenn auch nur sehr schwach, aber immer hin.
Damit sie keine Zeit hat das Lächeln zu verlieren, drücke ich sie ganz fest an mich, um ihr zu zeigen, dass er mir (momentan) wirklich gut geht, obwohl ich weiß, dass dieser Zustand des Wohlbefindens nicht ewig anhalten kann. Irgendwann kommen die Schmerzen wieder und dann heißt es Tabletten schlucken ohne Ende, bis sie wenigstens etwas erträglich werden, sodass ich kaum mehr bei Bewusstsein sein werde. Immerhin ein kleiner Vorteil, jedoch erinnert es meine Eltern umso mehr daran, dass ich jeden Moment tot umkippen könnte..., oder in diesem Sinne, wie ich aussehe, wenn ich schon tot bzw grade gestorben bin...
Deshalb versuche ich alles mir mögliche, sofern es in meiner Macht liegt, um mich lange genug am Leben zu halten, sei es meinen Körper zu stärken, oder abertausende Medikamente einzunehmen, von denen ich jedes Mal kotzen könnte, wenn ich das nicht sowieso schon tue.
Also gehe ich Tag ein Tag aus mit einem Lächeln durch die Gegend, stelle Kriminelle und versuche meine Eltern glücklich zu machen, so wie immer, obwohl ich das leider nicht tun kann, wenn ich nicht wirklich anwesend bin.
Für meine Eltern, besonders für meine Mutter, müssen diese "Momente", die manchmal Wochen andauern können, die pure Hölle sein, und das kann ich nie wieder mit einem Lächeln oder anderen Kleinigkeiten wettmachen, egal wie sehr ich mich anstrenge. Und doch geben sie sich so große Mühe, ihren (so offensichtlichen) Kummer vor mir zu verbergen, wenngleich ihnen das nicht besonders gut gelingt. Aber wir alle, als Familie, versuchen unser bestes.
Diese Momente, in denen ich immer schneller renne, sind die einzigen, in denen ich vergessen kann, wie dünn und rissig mein Lebensfaden ist, in denen ich nicht die tieftraurigen Gesichter meiner Mutter und meines Vaters vor Augen habe, in denen ich mich fühlen kann, wie jeder andere Mensch.
Diese Momente werde ich leider nicht mehr lange haben...
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Seelengift *komplett fertig/wird überarbeitet*
VampireAnfangs bin ich wie tot, ausgelaugt und geschwächt von den Kämpfen zwischen mir selbst und der Macht, die in mir haust und mich zu dem gemacht hat wer bzw. was ich jetzt bin - ein Vampir. Doch dann kam sie, meine Kerze, mein Licht in der Dunkelhei...