Zurück in die Vergangenheit: (Teil 11 -> Bezug auf das 28. Kapitel)

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Schon wieder ist der Junge gealtert, um genau zwei Jahre. Seine Eltern mussten wegen des Feuers nun wirklich in den Teil der Armen umziehen und tragen wie sie Leinen und Fetzen...
Seine Mutter liegt weiterhin im Bett.
Ohne damit gerechnet zu haben bekommt der Sohn zu seinem 12. Geburtstag einen alten, schmuddeligen Teddybären geschenkt.
Er freut sich nicht.
Schon lange ziert kein Lächeln seine Züge, denn Trauer, Armut und die Verzweiflung seiner Eltern erdrücken ihn. Die Feldarbeit wird immer härter, seine Muskeln stählern sich im Nu. Nahrung wird immer knapper, Geld ist nun wertvoller und notwendiger als je zuvor.

Heute Nacht quälen das Kind Albträume. Als er erwacht bleibt ihm keine Erinnerung, der Traum löst sich in Luft auf.
Schlafen kann er nicht mehr.
Von seiner kleinen Kammer aus, in der er jetzt schläft, flüchtet er in das einzige Zimmer mit Bett, in dem seine Mutter ruht, um ihr, wie so oft, Gesellschaft zu leisten.
Vorsichtig legt er sich neben sie.
Trotzdem kann er auch hier nicht schlafen, denn die Trauer und Niedergeschlagenheit, die wie kalter Rauch in der Luft hängt, hindern ihn daran. Am liebsten würde er wieder fliehen, doch da er weiß, dass sie seine Nähe braucht, bleibt er.
Der Vater ist außer Haus.
Dann passiert etwas Merkwürdiges: ohne wirklichen Grund starrt der Junge durch die einzige aus Glas bestehende Balkontür in die Finsternis und sitzt jetzt aufrecht in dem Bett.
Erkennen tut er nichts und doch spürt er, dass er beobachtet wird.
Wachsam verhält er sich völlig ruhig.
Dann fällt Mondlicht flüchtig hinein und wieder erscheint sein geschundenes, älteres Ich vor ihm und starrt ihn traurig an. Dieses blasse Gesicht mit den blutunterlaufenen, roten Augen macht ihm Angst, trotzdem blickt er ihm forsch entgegen.
Soll das eine Warnung sein?
Plötzlich ist ihm, als würde sich eine unsichtbare Gestalt mit vollem Gewicht auf seinen Brustkorb setzen und ihm mit aller Kraft die Kehle zudrücken.
In Todesangst reißt er die Augen auf, jedoch verschwindet dieser Druck genauso schnell wieder, das Atmen fällt ihm leichter und das Abbild seiner Selbst hat sich ebenfalls in Luft aufgelöst.
Nach diesem Schock schleicht das Kind wieder leise in sein "Zimmer", Schlaf findet er trotzdem auch dort wieder nicht. Für ihn ist das nichts Neues, denn schon lange ist er die ganze Nacht wach.
Arbeiten muss er trotzdem.

Seine Eltern gehen beide immer mehr kaputt, auf beiden lastet dieser verfluchte Vertrag und die Schuldgefühle ihrem Sohn gegenüber. Das Kind versucht immer noch sich nicht anmerken zu lassen, dass er längst hinter die Masken der beiden geblickt hat, lässt sie trotzdem in dem Glauben, dass er von ihrem Kaputtgehen nichts mitbekommt und hofft, ihnen ihre offensichtliche Last erleichtern zu können. Oft funktioniert es, trotzdem verschlimmert sich der Zustand seiner Eltern, besonders der seiner Mutter, rapide. Auch sein eigener Zustand hat nichts mehr mit dem des glücklichen Kindes zu tun, das er noch vor ein paar Jahren war.
Freunde hat er jetzt auch nicht mehr. Die anderen Kinder fürchten und meiden ihn, denn sein Gesichtsausdruck ist oft grimmig, düster und nicht gerade freundlich, geschweige denn vertrauenserweckend. Viel Kontakt hat er mit ihnen nicht, das ist der Grund warum er oft einsam und der dicken Luft bei sich zu Hause schutzlos ausgeliefert. Deshalb schläft er viel, denn in diesem Zustand kann er endlich abschalten.
Seine Eltern sind beide nicht mehr in der Lage ihm zu helfen
Früher war das anders...
Damals spielten sie viel mit ihm und eine heitere Stimmung war im ganzen Anwesen zu spüren, die jedes Mal wie eine wohltuende Umarmung wirkte. Doch bald mutierte diese Umarmung zu einem luftabdrückendem Würgegriff. Neun Jahre unbeschwertes Kinderleben, dann war alles vorüber...
Der Umzug ist nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die Seele der Familie längst vergiftet ist.
Eine davon ist für immer verloren und dem Teufel als Geschenk gemacht...

Das Unvermeidliche ist nun doch geschehen: die Mutter stirbt, kann dem Druck nicht mehr standhalten und der Vater verliert sich mehr und mehr. Der Sohn rettet ihn oft, also beinahe regelmäßig, vor dem Tod. Nicht selten findet er ihn mit dem Kopf in der Badewanne, da der alte Herr jedes Mal aufs Neue den Versuch startet, sich im Vollrausch zu ertränken, da er den zusätzlich Schmerz durch den Verlust seiner Frau überhaupt nicht mehr ertragen kann. Trotzdem überlebt er jedes Mal, als sei er dazu verdammt, den Schmerz und die Schuld sein Leben lang auszuhalten...
Stumm pflegt der Sohn seinen Vater.
Trotzdem versucht er dem Alkoholkranken möglichst aus dem Weg zu gehen und verbringt seine "freie Zeit" in der dunklen Kammer.
In ihr verliert er viele Tränen.
Und doch ist dem Kind manchmal so, als würden ihn sanfte, unsichtbare Hände, bestehend aus Wind, berühren und ihn zu trösten versuchen. In seiner Vorstellung sind es selbstverständlich die seiner Mutter, obwohl ihm durchaus klar ist, dass sie es nie wieder tun wird, und doch genießt er diese Berührungen, obwohl sie höchstwahrscheinlich nur Einbildung sind...

Jetzt arbeitet er ganz alleine auf dem Feld, verdienen tut er nicht viel, was aber kein wirkliches Problem darstellt, da beide Hinterbliebenen kaum mehr essen, die wenigen Vorräte reichen völlig aus.
Bald ist es sowieso vorbei...

Seelengift *komplett fertig/wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt