23. Kapitel:

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Mein jetziges Versteck ist eine alte, verlassene Kirche, die keinesfalls zerfallen ist. Bei Mondschein reflektieren die dunklen Steine glitzernd das darauf geworfene Licht. Das Kreuz oberhalb des runden Fensters kann mir nichts anhaben.
Als ich darin verschwunden bin werde ich angefaucht:
"Was sollen wir mit ihr anfangen?!"
Die Macht ist wütend darüber, dass ich dieses geschundene Geschöpf mitgenommen habe.
Ich bin mir nicht sicher, was sie gegen dieses Kind hat.
Es kann froh sein, dass ich momentan satt bin, sonst hätte ich es wegen des intensiven Blutgeruchs in ein unkenntliches Wutopfer verwandelt.
Fauchend wiederholt die Macht ihre Frage.
Ich antworte nicht, habe selbst keine Ahnung und frage mich die ganze Zeit warum. Es muss doch irgendeinen Grund geben!
Aber welchen?
Die Macht verlässt meinen Körper. Es ist angenehm eine Zeitlang ohne ihren Hass zu sein, trotzdem ist es etwas zu leer in mir.
Was sie wohl mit meinem Fund machen wird wenn sie mich doch wieder ausfüllt?
Es sind nur wenige Minuten, die sie schon außerhalb meines Geistes verbringt, trotzdem vermisse ich sie, denn es fühlt sich an wie eine warme Umarmung, die man am liebsten für immer erhalten will.
Die Macht spürt dass natürlich, sie weiß, dass sie für mich wie Familie, bester Freund und Vertrauensperson in einem ist. Lächelnd duldet sie es, aber wenn es darauf ankommt, Angst und Leid, Schmerz und Vernichtung zu verbreiten, löscht sie diese "Weichmacher" und macht mich zu ihrem Ebenbild. Dann bin ich einfach sie und muss nicht mehr darüber nachdenken wie ich handeln soll. Sie lenkt mich und nimmt mir die Qual, eine Entscheidung treffen zu müssen.
Ich genieße jedes Mal dieses rauschende Gefühl, wenn sie in mich fließt und mir ihre Kraft schenkt. Es ist ein wertvolles Geschenk, deswegen will ich sie auf gar keinen Fall enttäuschen, egal wie blutig oder grausam meine Taten deswegen sein müssen. Es ist mehr als süchtig machend, diese unbeschreibliche Kraft in sich zu spüren, die deinen Körper von oben bis unten prickelnd durchfährt und deine Muskeln anschwellen lässt.
Locker könnte ich in diesem Zustand einen ausgewachsenen Bären mit meinen bloßen Händen umbringen, seine Krallen könnten mir keinen einzigen Kratzer zufügen, so schnell und stark wie ich bin.

Unbewusst erfüllt mich der Wunsch, wieder zu töten und meiner Kraft ihre Freiheit zu gewähren. Natürlich ist die Macht sofort zur Stelle um ihn mir zu erfüllen.
Von jetzt auf nachher hat sich alles in mir verändert: Meine Augen sind rot, mein Mund grinst das typische Machtgrinsen und die Kühle in mir ist vollkommen.
Freundlich weist mich mein zweites Ich auf die in der Ecke kauernde Gestalt hin
Wie selbstverständlich lösen sich meine Konturen auf und werde somit zu meinem eigenen Schatten. Ich habe nichts mehr was mich in einer Gestalt hält, also weder Haut noch Knochen. Mühelos gleiche ich mich der Dunkelheit der Nacht an und jetzt BIN ICH die Dunkelheit der Nacht. Ich bin Luft und Masse zugleich, völlig unsichtbar für die Augen meiner Beute, außer ich zeige mich ihr.
Für all meine Opfer sollte es eine Ehre sein sehen zu können, wie sich meine Gestalt wieder zusammenfügt, wie sie sich festigt, um meine Todeswerkzeuge an ihnen schärfen zu können.
Als Dunkelheit kann ich ihnen logischerweise nichts anhaben, Schattenzähne verwunden nicht.
Die Macht ist sehr stolz auf mich, denn sie sieht etwas Besonderes in mir, was mich wahrscheinlich mehr antreibt als ihre finsteren Gefühle.

Ich bin schon ganz nah, strecke meine Arme nach meinem neuem Oper aus...
Ich stoppe und unterbreche somit die Verbindung.
Die Macht zischt, jedoch tut sie mir nicht weh. Nie würde ich ihre Entscheidung in Frage stellen, trotzdem halte ich inne.
"Warum soll ich es töten?"
"Du wagst es...?!"
Sie beendet ihren Satz nicht und verbirgt schnell ihre Wut vor mir. Ich rühre mich trotzdem nicht und lasse ihre Energie wie einen Windsturm durch mein Inneres fegen.
Irgendetwas hält mich zurück dieses Fremde zu verletzen.
Die Macht zwingt mich nicht diese Grenze zu übertreten, sie ist gütig wie immer.
Was hätte ich auch anderes erwartet?
Sie ist meine Freundin, meine Seelenhüterin, die mir nie wehtun würde. Sie schenkt mir so vieles, wie das eins werden mit der Nacht, oder die Gabe meinen verlorenen Schatten in ein Tier zu verwandeln, das in meine Gegner dringt und sie von Innen tötet und zerfetzt.
Als sie mir kurz nach meinem Erwachen dieses Geschenk mit meinem Schattentier überbracht hatte, erklärte sie mir, dass es sich genau meiner Vergangenheit anpasst, jedoch kann ich es nicht deuten, da für mich meine Vergangenheit vergessen und somit unerreichbar ist.

Das Fremde regt sich, ihre Schmerzen strömen zu mir herüber. Ich spüre dessen glühende Stirn als wäre es meine eigene. Instinktiv berühre ich die Meine.
"Was machst du da?!"
Der unsichtbare Fuß der Macht tritt mir mit voller Wucht in den Bauch. Ich krümme mich und werde augenblicklich wütend. "Geht doch".
Sie grinst breit.
Zitternd erhebe ich mich.
Meine Muskeln sind angespannt während ich ihr typisches Lachen in den Ohren habe. Gerne hätte ich es ihr aus dem Gesicht geschlagen und sie somit zum Verstummen gebracht, jedoch könnte ich sie NIE verletzten.
Wie eine Mutter nimmt die Macht mein Gesicht in beide Hände und küsst mich auf die Stirn. Wie Feuer, das mit Wasser überschüttet wird, verlischt meine Wut.
Sofort bin ich wieder ruhig und friedlich.
Leise summend beginnt sie, um dann ihr Lied mit dieser bezaubernden Stimme zu singen. Wie angenehmer Glockenschlag vibriert es durch meinen Körper.
Die Anspannung löst sich von mir und ich sinke wieder zu Boden, jedoch weit weg von dem Fremden.
Den Zustand, in den ich jetzt falle, kann man nicht "Schlaf" nennen, zwar habe ich meine Augen geschlossen, trotzdem ist es mehr ein ausgeschaltet sein.
Um meine eigene Wut und meinen eigenen Hass zu schüren schenkt sie mir " Träume" voll Blut und Gewalt.
Es ist ein Zustand zwischen geben und nehmen: die Macht schenkt mir Teile ihrer Kraft, jedoch nimmt sie vieles wieder zurück, um jedes Mal eine weitere Reinigung durchzuführen. Dabei werden meine Träume schwarz-weiß und verschwommen, bis nichts mehr von ihnen übrig ist.
Danach bin ich leer und aufgeräumt.
Die Macht ist zufrieden mit ihrem Werk und küsst ein weiteres Mal meine Stirn. Vergleichbar mit einem Windhauch flüstert sie: "Schlaf gut und träume was Schönes".
Ihr Lächeln scheint nie zu verschwinden, denn es klebt ihr immer noch im Gesicht, als sie mir meine pechschwarzen Haare, mit den unerklärlicherweise roten Spitzen, aus den Augen streicht. Seufzend zieht sie sich in mich zurück und beginnt mit ihrer Arbeit.

Seelengift *komplett fertig/wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt