blutige Worte

824 68 11
                                    

Nach den unendlichen Schmerzen, die die gewetzte Klinge auf meinem Rücken hervorgerufen hatte, konnte ich nicht mehr klar denken. Meine Gedanken waren nur bei einem Thema zu dem ich ganz abdriftete. Mussten die Anderen, vor allem mein Bruder, dasselbe durchmachen? Ich konnte nur hoffen, dass Thomas sein Wort hielt und so schnell wie möglich eingriff.

Endlich schien Aaron fertig zu sein und betrachtete sein Werk. Er fuhr mit den Fingern fast ehrfürchtig über die Wunden. Sie waren groß und tief. Nachdem ich nun Jahre keine äußerlichen Schmerzen in dem Sinne gespürt hatte, fühlte ich nun ein schmerzhaftes Ziehen und zog zischend die Luft ein. Es war erstaunlich. Nur hoffte ich, dass mein Schmerzempfinden wieder auf das Maß, das es vor dieser Tortur gehabt hatte, zurückgehen würde. Ich wollte keine Schmerzen fühlen. Es würde mich nur endgültig umbringen, doch ich hatte eine Pflicht meinem Bruder und den Anderen gegenüber. Ich musste sie beschützen und wenn ich dabei starb war es egal. Sie hatten Priorität, außerdem war ich mir nun nicht mehr so sicher ob ich überhaupt noch leben konnte, ... wollte.

Ich dachte es wäre endlich vorbei, da er mich losmachte, doch ich hatte mich getäuscht, denn er drehte mich lediglich auf meinen immer noch brennenden und blutigen Rücken und machte mich erneut an den Bettpfosten fest.

Er ließ seine ekelerregenden Augen über mich wandern, wobei sein Blick etwas länger an meinen Kronjuwelen hing. Erregt war ich noch nie gewesen. Ich hatte ja auch keinen Grund dazu.

Aarons Blick glitt weiter und stoppte erneut bei meinem Oberschenkel. Er fing an zu grinsen und zückte erneut sein Messer. Meine Augen weiteten sich als ich sah, wie er es an der Innenseite meines Oberschenkels ansetzte und den ersten tiefen Schnitt zog.

Viel Luft bekam ich nicht mehr. Ich fing an zu hyperventilieren, während ich nun sehr gut zusehen konnte wie große blutige brennende Buchstaben auf meinem Oberschenkel Platz fanden.

Ich hörte das Hämmern an der Tür und die Rufe von der anderen Seite nur wie durch einen Nebelschleier. Aaron wurde etwas hektisch, ließ sich aber nicht von seiner Tätigkeit abbringen.

Wellenförmige Schmerzimpulse fuhren über meinen Körper und bei jedem erneuten Schnitt, spürte ich wie ich immer mehr abdriftete. Meine Sicht wurde fleckig und das einzige was ich noch von mir geben konnte, waren erstickte Stöhner. Nicht etwa aus Lust, sondern wegen dem vielen Schmerz.

Ich hörte und sah, am Rande meiner Wahrnehmung, wie die Tür mit großem Druck aus ihren Angeln gerissen wurde und bewaffnete Männer in Uniform reinstürmten, als der letzte Buchstabe vollendet war und ich in die Bewusstlosigkeit glitt. Die Dunkelheit umhüllte mich sanft und zog mich aus der Realität heraus. Ich fühlte keinen Schmerz, nichts mehr. Es war so erleichternd.

Das letzte was ich sah, war das eingeritzte blutige Wort, dass nun aus der Innenseite meines Oberschenkels stand.

Aaron

***

Markiert. Ich war für immer gezeichnet. Mein nächster Gedanke war Daniel. Wo war er? Ging es ihm gut? Nur am Rande meiner Wahrnehmung drang ein nerv tötendes Piepen zu mir durch. Ich schlug augenblicklich die Augen auf und wurde geblendet.

Man ist das hell! Bin ich jetzt tot? Aber ich weiß doch gar nicht wie es Daniel und den Anderen geht! Hat Thomas sie betrogen? Hat er sie da rausgeholt?

So viele Fragen und mal wieder keine Antworten! Wie ich es hasste, von etwas keine Ahnung zu haben!

Erst nach mehreren Minuten bemerkte ich, dass ich aufgesprungen in einem weißen sauberen Raum stand. Um mich herum fing ein Trubel an. So viele Menschen, alle in weiß gekleidet! Sie rufen sich Fachbegriffe zu, die ich noch nie gehört hatte und die sich sehr gefährlich anhörten.

2 Leute in weiß redeten auf mich ein und versuchten mich wieder auf die Liege zu bekommen, doch ich fragte immer wieder die selbe Frage: "Wo ist mein Bruder?".

Niemand antwortete darauf. Langsam machte es mich wütend, ich konnte damit nicht umgehen. Wo bin ich? Den Himmel hab ich mir ganz anders vorgestellt! Nicht so hektisch.

Obwohl es weh tut schrie ich einmal laut nach Daniel. Ich musste wissen wie es ihm ging. Immer panischer werdend, fing ich an zu hyperventilieren. Die weißen Leute wurden noch hektischer und bis auf die Zwei, die mich immer noch zu beruhigen versuchten, verließen alle den kleinen Raum.

Gleich ging es mir besser, doch ich wollte meinen Zwilling sehen, musste ihn sehen!

Erneut kam ein weißer Mann herein, doch er brachte jemanden mit. Nicht jemanden, mehrere, doch mein Blick heftete sich auf die eine Person, die langsam auf mich zukam.

Daniel! Er war hier. Doch wieso war er so vorsichtig? Ich stürzte mich in seine Arme und zog seinen vertrauten Geruch in mich auf. Erst versteifte er sich, machte sich doch dann wieder lockerer.

"Ich hab dich so vermisst!" nuschelte er in meine Halsbeuge. Ich sagte nichts sondern betrachtete ihn von oben bis unten. Ich scannte seinen ganzen Körper, ob er irgendwelche Verletzungen hatte und fand an seinem Arm einen großen Verband.

Ich biss meine Zähne zusammen und ballte meine Hände zu Fäusten.

"Es ist nicht so schlimm. Es war nur ein kleiner Schnitt." versuchte er mich zu beruhigen.

"Hat Thomas..?" Ich musste es nicht aussprechen, er wusste was ich meinte.

"Nein hat er nicht. Er hat Michel auch gleich eine runtergehauen, als dieser mich schnitt." "Gut."

Als wir diese kleine Konversation beendet hatten, sah ich mich im Raum um. Die Männer in weiß waren verschwunden, doch es standen Andy, Ruben und Sven um uns herum und beobachteten das Geschehen. Sie alle hatten ein trauriges Lächeln auf den Lippen, doch sie sahen viel gesünder und lebensfroher aus.

Als mein Blick weiter wanderte weiteten sich meine Augen. Nein! Das war unmöglich! Ich hatte gedacht ich würde meine Eltern nie wiedersehen und jetzt standen sie da. Sie sahen uns einfach mit Tränen in den Augen an.

Eine einzelne Träne lief mir aus dem Augenwinkel, als ich auf sie zuwankte. Ich ließ mich in ihre Arme fallen und fühlte wie der ganze Druck von mir wich. Ich hatte sie endlich wieder! Meine Familie war wieder komplett. Aus der verzweifelten Umarmung wurde ein Gruppenkuscheln, in das auch die anderen 3 involviert waren.

Mein Vater fasste sich als erstes wieder und fing an zu sprechen. "Ich bin so froh euch wiederzuhaben! Daniel hat schon alles erzählt. Du lagst 3 Wochen im Koma. Wir waren uns nicht sicher, ob du überhaupt aufwachen würdest, weil du viel Blut verloren hast. Ich glaube du solltest dich noch etwas ausruhen, wir bleiben bei dir. Du musst doch Schmerzen haben!"

Ohne etwas zu sagen lächelte ich nur traurig, schüttelte den Kopf und ging zu dem Bett, von dem ich vorhin gesprungen war.

Ich erntete komische Blicke von meinen Eltern. Verständlich, früher war ich eine Quasselstrippe gewesen, doch jetzt wollte ich nicht mehr reden als ich musste.

"Er spricht nicht gern. Das erkläre ich euch später. Schmerzen empfindet er anders als wir. Jeder von uns wäre jetzt wahrscheinlich schon lange zusammengebrochen und Ohnmächtig geworden vor Schmerz, aber auch dazu später mehr." rettete mich mein Bruder. Ich lächelte ihn dankbar an.

Die Anderen zwangen mich noch, mich hinzulegen und als ich meine Augen schloss überkam mich die Müdigkeit, woraufhin ich sofort einschlief.

Stiller Schmerz (BxB) *Überarbeitung pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt