***Fynn***
Dort lag er. Fast verblutet...
Schnell stürzte ich auf ihn zu und versuchte krampfhaft die Blutung zu stoppen. Ich klemmte seine Blutgefäße am Oberarm so gut es ging mit meinem Gürtel ab und schrie so laut ich konnte um Hilfe. Im Fernsehen hatte ich mal gesehen, dass man die Atmung und den Herzschlag kontrollieren musste. Ich tat, an was ich mich erinnerte und presste somit meinen Zeige- und Mittelfinger an seinen Hals. Erst fand ich keinen Puls und wurde immer panischer. Dieses kleine Klopfen, dass von der Halsschlagader kommen sollte, war nirgends zu finden, aber da! Zum Glück. Ich fand das schwache Pochen unter meinen Fingerspitzen. Auch kontrollierte ich seinen Atem. Seine Atmung ging flach und sein Herz schlug schwach und langsam. Ich musste mich beeilen. Ich drehte ihn auf die Seite, in dessen Hand er bis eben das Messer gehalten hatte und hielt ihm den anderen Arm hoch, damit nicht noch mehr Blut aus der Wunde fließen konnte. Zusätzlich drückte ich meine Finger auf die Wunde. Es war zwar nicht steril, aber wen juckte das in diesem Moment?
Immer noch kam niemand. Wieso war in diesem bescheuerten Krankenhaus kein einziger Arzt? Hier musste doch jemand sein! Wieder rief ich laut um Hilfe und hörte auch sogleich eilige Schritte. Eine Krankenschwester kam in die Toilette gerast und lief panisch auf mich zu. Als sieTyler erblickte wurde sie leicht blass und tippte schnell auf einem Gerät herum.
"Was ist denn passiert?" fragte sie panisch. "Er... er... ich weiß nicht! Er hat versucht sich das Leben zu nehmen..." schluchzte ich. Sie kam zu mir geeilt und lobte mich für das, was ich getan hatte. Scheinbar hatte ich richtig reagiert. Sie kontrollierte Puls und Atmung, so wie ich es zuvor getan hatte, und wollte gerade etwas anderes machen, als die Tür der Toilette aufflog und mehrere Männer und Frauen in weißen Kitteln hereinstürmten. Alle kamen auf uns zu. Sie riefen etwas von Not-op und Blutung stoppen und noch viele weitere Wörter, die ich aber nicht kannte und nahmen Tyler mit sich, während die Krankenschwester, die uns gefunden hatte bei mir blieb.
Sie streichelte mir zur Beruhigung immer wieder über den Rücken und murmelte, wie toll ich das gemacht hätte und wie sie Stolz auf mich war. Sie war noch recht jung und auch etwas blass um die Nase. Die Übelkeit kroch mir den Rachen hinauf, als ich an das viele Blut und die eklige Wunde dachte. Es war ein sauberer tiefer Schnitt gewesen. Er schien nicht gezögert zu haben, sondern hatte die Klinge tief durch das Handgelenk gleiten lassen. Im ersten Moment hatte ich das Blut gar nicht bemerkt, doch nun wurde mir bewusst, dass meine ganzen Klamotten wie darin gebadet waren. Das war das schlimmste, was ich je erlebt hatte. Ich hoffte nur, dass Tyler durchkam, nicht nur aus moralischen Gründen und weil er allgemein ein Lebewesen war und ich ihn mochte, sondern auch weil Niko das sonst nicht verkraften würde! Wieso hatte er das getan? Wenn er gehen würde, würde Niko ihm folgen und mich allein lassen. Nicht ganz allein. Ich hatte ja noch Leon. Leon! Ich wollte zu ihm, doch erst musste ich mich beruhigen.
"Wie heißt du?" fragte sie einfühlsam. "Fynn und du?" Es tat gut mit ihr zu reden. Ich konnte mich ablenken und sie war sehr nett. "Ich bin Mia. Kanntest du den Jungen?" fragte sie weiter, immer darauf bedacht, nicht zu weit zu gehen. "Ja. Das ist Tyler. Er ist der Freund von Nikolas, meinem großen Bruder." beantwortete ich ihre Frage wahrheitsgemäß. Nicht an das Blut zu denken, half mir, die Übelkeit ein bisschen zu verdrängen und einzudämmen.
"Meinst du Freund Freund oder Kumpel Freund?" fragte sie vorsichtig, aber doch taktvoll. "Feund Freund." flüsterte ich und war mir nicht sicher,ob ich ihr das hätte sagen dürfen oder sollen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und die Übelkeit stieg erneut auf. "Interessant! Hast du denn auch einen Freund oder eine Freundin?" Sie schien sehr begeistert und so dachte ich, es sollte okay sein, dass ich es ihr gesagt hatte. "Ja. Ich bin mit Leon zusammen." sagte ich. Bei dem Gedanken an ihn, breitete sich ein breites bescheuertes Lächeln auf meinem Gesicht aus. A propos! Er musste doch noch hier im Krankenhaus sein! Mich überkam ein schlechtes Gewissen, als mir einfiel, dass ich ihn einfach hatte stehen lassen. "Er muss noch hier sein! Ich muss auch zu meinem Bruder! Was, wenn er wieder aufgewacht ist? Ich muss da sein!" Augenblicklich nach dem Gedanken, wurde ich wieder panisch. Ich versuchte aufzustehen und loszurennen.
Die Schwester versuchte mich zu beruhigen und wollte mich erneut zu sich ziehen, doch ich wollte sie sehen! Zum Glück bemerkte sie es recht schnell und nahm mich mit. Zwischendurch fragte sie nach dem Zimmer meines Bruders. Ich nannte ihr die Zimmernummer und sie brachte mich zu Niko. Als wir an der Tür ankamen, sah ich schon den Tumult, der in dem Zimmer herrschte. Was war hier los? Ich trat ein und sah meinen panischen Bruder, der von mehreren Personen auf dem Bett gehalten wurde, damit er sich die Schläuche und Nadeln, die in seinem Körper steckten, nicht herausriss. Ich blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete ihn.
"Nein! Lasst mich gehen! Ich muss ihn sehen! Wie geht es ihm?" schrie er durch die Gegend. Er sah gequält aus. Er hatte Panik und ich wusste, dass es wegen Tyler war. Ich könnte ihm noch nicht einmal sagen, dass Tyler gesund und munter war, denn das war er nicht. Die Ärzte kämpften in dem Operationssaal um sein Überleben.
Als sein Blick auf meine Augen trafen, war es, als würde die Welt sich aufhören um ihn zu drehen. Er versteinerte völlig und starrte mich an. Er suchte etwas und ich wusste, was er suchte. Es war die Bestätigung, dass es Tyler gut ging, doch als er nichts fand, sah ich den Schmerz in seinen Augen. Seine Augen zeigten an, wie sehr er litt. Innerlich schien er zu sterben. Er ließ los, ließ den Tränen freien lauf und blieb schluchzend im Bett liegen. Alle Ärzte sahen mich irritiert an, da sie nicht bemerkt hatten, was ich in seinen Augen gesehen hatte. Nur langsam ging ich auf ihn zu. Ich setzte mich zu ihm und nahm ihn in den Arm. Sofort schmiss er sich in die Umarmung und schluchzte noch lauter. "Sie kämpfen gerade um ihn. ... Ich weiß nicht, ob er es schaffen wird, aber du musst jetzt stark für ihn sein. Er war immer stark, hat durchgehalten, doch jetzt war es zu viel. Er konnte nicht mehr. Bau ihn wieder auf, okay? Sei für ihn da und gib ihm Kraft." flüsterte ich ihm zu. Ich drückte Niko so nah ich konnte an mich und redete ihm ins Gewissen. Gemeinsam schluchzend warteten wir auf neue Nachrichten, Erleuchtungen oder ein Wunder, doch die Ärzte waren gegangen, so wie die Krankenschwestern ebenfalls.
Wir warteten. Nikolas schluchzte in meinen Armen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht ausmalen, wie es wäre in seiner Situation zu stecken. Und ich wollte es auch gar nicht! Der Schmerz musste so unendlich groß sein. Diese Ungewissheit, ob er überleben würde oder nicht. Es könnte in jeder Sekunde passieren, dass er an zu hohem Blutverlust oder sonstigem starb. Es gab viele Arten zu sterben. Wieso hatte Tyler sich gerade jetzt und hier für diesen Weg und diese Methode entschieden? Das Warten wurde endlos. Ich machte mir Gedanken über etwas, auf das ich sowieso keine Antworten bekommen würde. Sekunden fühlten sich an wie Minuten, Minuten wie Stunden und Stunden wie Tage. 2 Stunden mussten wir noch warten, bis endlich jemand zu uns kam. Es war Mia. Sie sah verzweifelt aus. Kein gutes Zeichen! Was sollte ich tun? Was sollte ich tun, damit ich meinen Bruder bei mir behalten konnte? Ich wusste, dass seine Liebe Tyler gegenüber, so kurz sie auch sein mochte, so weitreichend und tief ging, dass er ihm sein Herz spenden würde, wäre es nötig um Tylers Überleben zu sichern. Er war so stark, doch jetzt erkannte ich, dass selbst Helden mal weich wie Butter werden, wenn es um etwas oder jemanden ging, das oder der ihnen nahe stand.
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Stiller Schmerz (BxB) *Überarbeitung pausiert*
Teen FictionMit 6 Jahren wurde ich aus meiner kindlichen Realität gerissen und sah eine der schrecklichsten Seiten des Lebens. Dies war mein neues Leben, mein Leben auf dem Sklavenmarkt. Der Kampf ums Überleben fristete mein Dasein 11 lange Jahre lang und mit d...