Was hatte er nur? Wieso benahm er sich so seltsam? Hatte es mit dem Koma zu tun?
Nachdem er eingeschlafen war, hatte ich mich in den Stuhl, neben seinem Bett gesetzt und ebenfalls meine Augen geschlossen. Anstatt aber zu schlafen, dachte ich nach. Immer noch konnte ich mir nicht zusammenreimen, was er gemeint hatte. Es war so verwirrend. Und wieso hatte ich das Gefühl gehabt, dass er sich verabschieden, sich entschuldigen und sich bedanken wollte? Ich war so verwirrt. Endlich hatte ich ihn wieder und dann? Dann das. Meine Gedanken rotierten, wie ein Propeller um seine Worte. Er wollte, dass ich kämpfte, aber ich hatte doch ihn, wieso sollte ich also nicht für uns kämpfen? Er wollte, dass ich mir nichts antat, aber er würde mich doch davon abhalten, außerdem würde ich es doch sowieso nicht spüren, wenn ich mich ritzte. Er wollte, dass weiterlebte, aber er hielt mich doch hier. Hier bei ihm, unseren Eltern, unseren und seinen Freunden. Er wollte, dass ich mich jemandem anvertraute und ich nicht verschloss, aber ich war doch gerade erst dabei mich zu öffnen. Welchen Grund hatte ich also, mich wieder zu verschließen. Sogar zu diesem komischen Psychodoktor war ich ihm zuliebe gegangen! Ich hatte mit Dr. Charles sogar über die Entführung geredet! Wieso? Wieso sollte ich? Welchen Anreiz hätte ich dazu?
Auf einmal hörte ich Schreie und schlug panisch meine Augen auf. Daniel! An mehr als meinen Bruder konnte ich nicht denken. Zitternd lag er da, auf der Liege, die Augen schmerzerfüllt zusammengepresst, wand er sich auf dem Krankenhausbett. Bitte nicht schon wieder einen dieser Anfälle! Unter Tränen klammerte ich mich an das Bett. Mich überschütteten die Emotionen. Deswegen hatte er sich verabschiedet. Das konnte er mir doch nicht antun! Nein! "Verlass mich nicht! Wag es nicht, jetzt zu gehen! Nein! Ich halte das nicht ohne dich aus! Bitte!" schrie ich verzweifelt. Kalter Schweiß brach mir aus, ich bekam fast keine Luft mehr und hyperventilierte. Wieso er? Wieso nicht ich? Meine Beide konnten mich nicht mehr tragen und ich brach zusammen. Tränen liefen mir die Wangen hinab und nahmen mir die Sicht. So viel, wie in den letzten Monaten, hatte ich seit 7 Jahren nicht mehr geweint. Meine Welt brach über mir zusammen und begrub mich mit unendlichen Schmerzen. Lieber noch, als all das erleben zu müssen, wäre ich wieder bei Aaron, Michel und den Anderen. Sogar wäre ich lieber bei Jack...
Ich hatte noch die Kraft, die Hand meines zweiten Ichs zu ergreifen. Ich klammerte mich an ihn. Unter anderen Umständen hätte ich mir wahrscheinlich Sorgen gemacht, ihm die Hand brechen zu können, doch jetzt war es egal. Es war einfach alles egal, was nicht mit dem Überleben oder Ableben meines Bruders zu tun hatte. Von weitem hörte ich meine eigene Stimme, die ihn anschrie zu bleiben und mich nicht allein zu lassen, als wäre es die eines Anderen. Sie hörte sich so weit entfernt an.
Endlich fokussierten sich meine Augen wieder auf meinen Zwilling und ich erkannte wie er mit leidendem Gesichtsausdruck um sich schlug, schrie und weinte. Ich versuchte ihn zu beruhigen und drückte den Knopf, der die Ärzte anstürmen ließ.
Ich hatte nicht die Kraft, mich aufrecht zu halten. Meine ganze Welt brach zusammen. Mein Zwilling wurde aus meinem Leben gerissen und das Piep-Gerät, dass seine Herztöne aufzeichnete, wurde immer leiser und unregelmäßiger.
Vor ein paar Minuten war noch alles in Ordnung gewesen! Der Doktor hatte doch gesagt, die Krampfanfälle würden nicht wiederkommen. Er hatte gesagt, mein Bruder würde nicht so schnell wieder einen haben! Er hatte mich angelogen! Hätte er meinen Zwilling nur im Koma gelassen...
Das durchgehende Piepen betäubte meine Glieder nun vollends und ich brach auf dem Boden zusammen, hyperventilierte und hatte schwarze Flecken vor den Augen. Er hatte mich verlassen! Nie wieder würde ich sein atemberaubendes Lächeln sehen, nie wieder würde ich seine strahlenden Augen sehen, deren Glanz zwar abgenommen hatte, aber dennoch nicht gänzlich verschwunden war. Ich könnte ihn nie wieder in den Armen halten, nie wieder seinen ganz eigenen Geruch riechen. Ja, auch nie wieder sein Schluchzen hören, seine Tränen sehen. Es zerriss mich innerlich. Alte und neuere Narben wurden blutig aufgerissen, neue Wunden hinzugefügt und wie ein Messer ging der Schmerz letztendlich noch einmal ganz hindurch, um mich vollends zu zerstören. Was das Messer nicht zerfetzte übernahm das Feuer, welches in meinem Inneren wütete, wie eine Massenhexenverbrennung im Mittelalter. Ich verbrannte und tat es doch nicht. Ich erstickte und blieb doch am Leben. Ich zerriss, und doch blutete nur mein Inneres.
Der ganze Schmerz, machte es mir unerträglich und die schwarzen Punkte, die vor meinen Augen tanzten, weiteten sich aus. Ganz weit entfern, wie durch Watte, nahm ich wahr, wie Ärzte zu mir stürzten, mich zu beruhigen versuchten, doch die lodernden Flammen fraßen sich weiter durch meine mittlerweile leere Hülle. Man hatte mich oft an meine Grenzen gebracht, doch ich hatte sowieso immer nur für ihn gelebt. Oft schon hatte man mich fast zerstört, aber mein Zwilling war in meinen Gedanken und hat mich zusammengehalten, wie eine Naht. Nun wurde diese entfernt, aber mein Inneres war nicht zusammengewachsen, im Gegenteil. Die Wunden wurden größer und größer, wie die schwarzen tanzenden Punkte vor meinen Augen. Die Dunkelheit hüllte mich ein und zog mich in die Tiefe, mein Leben hatte keinen Sinn mehr. Nichts ließ mich am Leben bleiben. Nicht meine restliche Familie, nicht meine Freunde. Nichts. Außer dem Versprechen, dass ich ihm gegeben hatte. Ich würde kämpfen, würde mir nichts antun, würde weiterleben, mich jemandem anvertrauen und mich nicht verschließen. Seine letzte Bitte...
So mal wieder etwas kürzer, aber naja. Ich hoffe es stört euch nicht allzu sehr.
Das ist das Ende der Story, wie findet ihr es?
Nein Spaß. Es ist noch lange nicht das Ende. Eher der Anfang. Mal sehen, wie ihr es findet. Ich weiß, ihr hasst mich jetzt, weil ich es doch getan habe, aber es eröffnet so viele Möglichkeiten... Bitte kommt nicht gleich mit Mistgabeln oder sonstigem, um mich zu ermorden. Ihr wisst ja noch nicht wie es weiter geht.
@SoSo412001 ich habe dir versprochen, dass du noch eine Widmung für die schönen Kommentare bekommst und hier ist sie! Ich habe extra dieses Kapitel dafür gewählt, weil du mir schon gedroht hast, also hoffe ich, dass dich das etwas friedlicher stimmen kann.
Ich habe noch eine kleine Ankündigung, und zwar habe ich vor, demnächst mal alle Kapitel zu überarbeiten, da mir einige Rechtschreibfehler aufgefallen sind. Diese werde ich berichtigen, ihr könnt mir dann aber auch immer schreiben, wenn ihr noch welche findet.
Wer sich das durchgelesen hat: Ich habe dich gaaaaaaanz doll lieb!<3
DU LIEST GERADE
Stiller Schmerz (BxB) *Überarbeitung pausiert*
Novela JuvenilMit 6 Jahren wurde ich aus meiner kindlichen Realität gerissen und sah eine der schrecklichsten Seiten des Lebens. Dies war mein neues Leben, mein Leben auf dem Sklavenmarkt. Der Kampf ums Überleben fristete mein Dasein 11 lange Jahre lang und mit d...