Die Vergangenheit holt jeden ein

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***Tyler***

Ihn so zusammenbrechen zu sehen war schrecklich. Das letzte Mal hatte ich ihn als Jugendlichen gesehen, doch jetzt war er erwachsen, doch das Kind, das vor den Schmerzen Angst gehabt hatte, war noch immer in ihm. Er hatte ebenfalls viele Schmerzen erleiden müssen. Jedes Mal, wenn er den Kummer zuließ und sich darin verlor, kam der 15 jährige Junge in ihm hoch, der die Schmerzen nicht ertragen konnte, sich aber dennoch für die anderen stark machte, wie ich es dann später auch getan hatte. Seine verkrampfte Haltung, seine scheinbaren Selbstgespräche, sein schmerzerfülltes Gesicht, all dies kannte ich nur zu gut, denn solche Rücksetzer hatte ich auch schon erlebt. Sie waren alles andere als spaßig.

Obwohl ich immer noch sauer auf ihn war, ging ich näher zu ihm und strich ihm beruhigend über den Rücken. Ich wusste zwar nicht genau, wen er da gerade vor sich sah und zu wem er sprach, aber dennoch wusste ich, dass er jetzt jemanden brauchte, der ihm Halt gab und ihn aus der Illusion zog. So jemanden hätte ich auch gebraucht. Sosehr ich ihn hasste, er war dennoch immer noch der Junge, der mich damals beschützt hatte, dem ich alles anvertrauen konnte. Er war dennoch noch immer mein bester Freund.

"Jack alles wird gut. Niemand tut dir mehr weh. Denk daran sie wachen im Himmel über dich. Niemand wird dich je ganz verlassen solange du es nicht zulässt. Halte sie in deinem Herzen, trage sie durch alle Zeiten deines Lebens und schenke ihnen somit ein wenig Unsterblichkeit. Durch ihren Verlust hast du die Aufgabe ein Teil ihres Lebens mit weiterzuleben. Erlebe viele neue Dinge, lebe für sie." Ich flüsterte beruhigend auf ihn ein und hoffte ihn somit beruhigen zu können, was tatsächlich zu funktionieren schien.

Die Worte drangen zu ihm durch und er sog sie in sich auf. Langsam beruhigte er sich, sein Schluchzen nahm ab und er klammerte sich an mich, suchte Halt. Obwohl ich ihn zu hassen glaubte, konnte ich ihn nicht von mir weisen, denn ich erinnerte mich an all die Male, die er mir Halt gegeben hatte, in der er mir Kraft gegeben hatte. Ich liebte ihn. Noch immer. Wie einen großen Bruder, besten Freund und Beschützer, ob er mich Körperlich oder Geistig schützen musste, er hatte es getan. Bis auf dieses eine mal.

"Ich wollte das nicht. Ich hoffe du kannst mir irgendwann verzeihen." murmelte er immer noch recht weggetreten. Ich wusste, dass es sehr erniedrigend für ihn war, dass ihn jemand so sah.

***

Wir hatten uns noch lange ruhig verhalten, mussten alle die Informationen verarbeiten. Vor allem Fynn und Leon, die davon noch fast nichts gewusst hatten. Dann hatten wir uns noch normal unterhalten, hatten einander von den Ereignissen der letzten Jahre berichtet, auch wenn ich nicht viel sagte und auch Jack etwas für sich behielt.

Fynn und Leon wollten nochmal spazieren gehen und Jenny und Niko würden auch etwas zusammen machen, sodass Jack und ich nun allen waren.

"Es tut mir so Leid Kleiner! Ich habe mehrere meiner Versprechen gebrochen und ich verstehe, dass du mir das niemals verzeihen werden kannst. .. Mein Gott, du hast dich so verändert!" schluchzte er erneut und auch mir stieg die Tränenflüssigkeit langsam an. "Ich weiß." war alles was ich dazu sagte. "Wie ich sehe hilft Nikolas dir. Ich habe dir ja schon früher von ihm erzählt. Ich wusste damals schon, dass ihr euch gern haben würdet!" Ich musste leise lachen. "Ja. Er ist wie eine Therapie. Ohne ihn wäre ich schon längst nicht mehr hier." sagte ich leise.

"Erzähl mir bitte davon." flüsterte er behutsam. Er konnte sich schon immer gut in andere hineinversetzen, sie verstehen, sie aber auch gut zum Reden bringen. Man vertraute sich ihm schnell an, doch wusste ich gerade nicht, was er meinte. Ich sah ihn nur fragend bis er flüsternd hinzufügte: "Die Bestrafung und allgemein alles was ich verpasst habe."

Und so begann ich:

"Erst haben sie mich einen ganzen Tag isoliert. Sie haben mich festgekettet, sodass ich mich nicht bewegen konnte, sie haben mich geknebelt, meine Augen verbunden und mir schalldichte Kopfhörer aufgesetzt, aus denen leise Musik kam. So haben sie mich einen Tag und eine Nacht gelassen. Gelegentlich haben sie mich dabei gepeitscht. Dann haben sie mich an meinem Geburtstag wie einen Kuchen rumgegeben. So ähnlich wie bei der Abschiedszeremonie. An den anderen Tagen haben sie mich mehrfach fast umgebracht. Ich musste genäht werden und das hier-" Ich zeigte ihm die kreisrunden Narben, die meine Fußgelenke und unterhalb der Achselhöhlen, zu finden waren. "- ist von ihren Experimenten. Sie haben Eisenstäbe mit unterschiedlich großen Kugeln am Ende erhitzt und sie dann auf meine Haut gepresst. Die Brandmale.. sie wurden zum Glück, so wie die Isolation nie wieder angewandt, da sie auch die meisten Werter wechselten und neue Jungs holten. Danach war alles so, wie als du noch da warst, nur mit dem Unterschied, dass niemand mehr wusste, wie lange ich schon da war. Nach dieser Woche konnte ich nicht mehr, da ich auch mehrmals in die Isolation musste. Ich habe zu sprechen aufgehört und die Strafen wurden härter. Ich habe mich für die anderen eingesetzt, doch sonst keinen Wiederstand mehr geleistet. Ich hatte keinen Grund mehr. ... Du weißt ja, dass ich schon immer eine andere Wahrnehmung in Sachen Schmerz hatte, nun... diese hat sich verstärkt. Der Unterricht wurde aber weitergeführt. Letztendlich kam dann mein Bruder und mit ihm der Schmerz. Ich habe alles getan, damit sie ihm nicht wehtaten, doch es war doch zu viel für ihn. ... Ich .. Ich kann nicht fassen, dass ich ihn tatsächlich verloren habe. Er war mein Ein und Alles! Sein Herzfehler hat das alles so schlimm gemacht. Immer wollte ich mir wünschen ihn bei mir zu haben, doch tat es nicht, da er dasselbe würde erleiden müssen wie ich, aber er kam trotzdem."

Ich wurde aus meinen Erinnerungen und in starke Arme gezogen. Er drückte mich an sich und murmelte mir beruhigende Worte zu.

"Du kannst es nicht ändern. Ich weiß es ist sehr schwer und man kann schlecht loslassen, aber du musst es versuchen. Ich konnte leider auch nichts gegen den Tot meiner Frau und meiner Tochter machen. Ich mache mir noch immer Vorwürfe deswegen!" hauchte er in meinen Nacken und erneut trösteten wir uns gegenseitig.


So. Jetzt mal zu was anderem. Wie krass seit ihr bitte? 10k reads O_o !!!! Das hätte ich mir niemals erträumen lassen! Und wegen euch ist die Geschichte jetzt auch bei den Wattys angemeldet.. Ich kann das immer noch nicht glauben... Ihr seit so krass! Besonders danke auch an alle, die meine Geschichte jetzt neu angefangen haben zu lesen. Ich hoffe sie gefällt euch!

Falls es jemanden interessiert wird der 2. Teil wahrscheinlich "Bitte, lass mich!" heißen. Ich hoffe ein paar von euch werden mal reinschauen, auch wenn die dann von Fynn und Leon handelt. @Isabell_stories hat ein paar atemberaubende Zeichnungen dazu angefertigt und die werde ich als Extrakapitel veröffentlichen, wenn der Epilog draußen ist.

Stiller Schmerz (BxB) *Überarbeitung pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt