Verkrampft

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Ich schaffte es mich zu beruhigen und fand mich in einem Kreis aus Schülern wieder, die geschockt auf mich runterblickten.

Na toll. Als wenn nicht die ganze Schule sowieso schon von uns redete, machte ich es mir damit ja leider auch nicht viel besser. Die vielen geschockten und besorgten Blicke. Ich hatte tausendfach beteuern müssen, dass das nichts gewesen war und sie glaubten mir dennoch nicht. Ok, dass hätte ich mir auch nicht, aber das war etwas völlig anderes!

Ich stand auf, schnappte meine Tasche und verließ das Schulgebäude so schnell es ging. Ich rannte und rannte. Wohin mich meine Füße trugen wusste ich erst, als ich vor dem Eingangsschild des Krankenhauses stand. Ich war zu meinem Zwilling gerannt. So wie immer. Ich war immer schon ein erbärmliches Bürschchen, dass den Schutz und die Führsorge anderer benötigte. Wie ich mich selbst hasste. Von Außen war ich nicht wirklich hässlich, doch mein Inneres übernahm diesen Part gleich mit. Ich mochte mich selbst nicht. Meine ganze Art. Wieso konnte ich nicht sein wie er? Wie mein Bruder, mein Zwilling, mein Beschützer, meine bessere Hälfte. Ich stand schon vor der Tür zu seinem Zimmer und klopfte leise. Alles was ich jetzt brauchte, war eine feste Umarmung.

Ich öffnete die Tür und trat ein. Tyler lag auf der Liege, schlafend. Zum ersten Mal sah er entspannt aus. Ich wollte ihm diese Entspanntheit nicht nehmen und entschloss mich, ihn nicht zu wecken. Lediglich ging ich um das Bett herum, setzte mich auf den Stuhl und nahm vorsichtig seine Hand, als wäre sie aus Glas. Ich war mir bewusst, dass ich für ihn und meine Familie nichts anderes als eine Belastung war. Wie hätte ich etwas anderes sein können? Ich war schwach, sie mussten sich ständig Sorgen machen, weil ich diesen scheiß Herzfehler hatte. Mehr als eine Belastung war ich niemals gewesen, hatte mich immer schon anderen Leuten aufgezwungen. Ich wollte doch nur einmal sein wie er.

***Tyler***

Durch eine sanfte Berührung an meiner Hand, wachte ich auf. Niemand außer die Männer und Frauen in weiß, meine Eltern und ER konnten mich anfassen. Einer von denen hatte festgestellt, ich hätte Berührungsängste. Diese sanfte Berührung aber, hätte ich unter Tausenden erkannt.

Als ich meine Augen aufschlug, sah ich meinen Zwilling neben mir sitzen. Er schien total in Gedanken zu sein und hatte wohl noch nicht bemerkt, dass ich wach war. Er hatte geweint, ich spürte es. Ich setzte mich auf und zog ihn in eine Umarmung. Erst wollte er mich panisch von sich schieben, schien dann aber zu merken, dass ich es war und drückte sich fest an mich.

Ich hörte ein Schluchzen und zog ihn näher zu mir. Ich wollte nicht, dass er weinte, denn ich konnte mir den Grund schon denken. Er hatte vermutlich an DIE Zeit gedacht.

Mit einem letzten Schniefen löste er sich von mir und sah mich mit roten geschwollenen karamellfarbenen Augen an. Sie waren so anders als meine Eigenen. Das war unser größter äußerlicher Unterschied zwischen uns. Seine hatten einen Glanz, den meine schon lange nicht mehr hatten.

Daniel sah mir fest in die Augen und folgte meiner stummen Aufforderung, mir alles zu erzählen, was vorgefallen war.

"Ich war in der Schule und alle haben mich angeglotzt. Dann kam Frau Grimbolt rein und hat mir ihr Beileid ausgesprochen. Dann hat sie Thomas beleidigt und ich bin sie angefahren, dass sie nichts wüsste und das er der Grund ist, dass wir jetzt hier sitzen. Sie wollte auf Psychologe tun und hat gemeint, wenn ich jemanden zum reden bräuchte, aber ich hab sie nicht ausreden lassen und bin sie wieder angegangen und hab nur gemeint, dass ich auch mal stark sein will wie du. Alle haben mich komisch angeglotzt und dumme Fragen gestellt. Dann ist der Unterricht zum Glück weitergegangen, aber ich musste wieder DARAN denken und hab eine Panikattacke bekommen. Und jetzt bin ich hier." erzählte er aufgelöst. Ich wusste mir nicht zu helfen und nahm ihn einfach in den Arm.

Er kuschelte sich an mich und ich zog ihn auf das Bett, das, nebenbei bemerkt, sehr viel bequemer war, als der Boden in DEM Keller. Wir kuschelten uns aneinander und ich hoffte, bald auch nach Hause zu dürfen. Es war schon hart, hier immer allein zu sein. Andy wurde in eine psychische Einrichtung, oder sowas gebracht, weil er wohl sehr mitgenommen war und auch nicht zu seinem Vater wollte. Ruben war bei seiner Familie untergebracht, kam aber täglich, um mich zu besuchen. Sven hatte sich von seinem Freund getrennt, denn dieser hatte ihn nur noch scheiße behandelt, und war zu Ruben gezogen, da seine Familie mit seinem Verschwinden nicht klargekommen war und ins Ausland gezogen war. Bis jetzt hatte man sie nicht gefunden.

Ich musste heute meine Aussage bei der Polizei machen. Ich hatte Angst davor. Hoffentlich würde Daniel für mich da sein.

Ich sah nach unten und erblickte das schlafende Gesicht Daniels, der sich in meine Brust gekrallt hatte. Er lag einfach da, sah allerdings nicht wie sonst wenn er schlief, entspannt aus, sondern etwas panisch. Ich zog ihn eng an mich, wollte ihm all meine Liebe geben.

Als er anfing zu zucken und zu krampfen wusste ich, dass er Albträume hatte und versuchte ihn zu wecken. Es funktionierte nicht. Er wurde immer panischer und schrie auf. Ich wusste nicht was ich tun sollte und als er dann anfing in meine Haut zu beißen, betätigte ich diesen seltsamen Knopf, durch den dann ein Mann in weiß hier ankommen würde. Lange musste ich nicht warten und er kam in mein Zimmer gerannt. Er stoppte an der Tür und schätzte wohl kurz die Situation ein. Er versuchte den Klammergriff meines Zwillings um mich zu lösen.

Ich war so geschockt von der Situation. So hatte ich ihn noch nie erlebt und wollte es nicht wirklich noch einmal. Der Mann in weiß versuchte weiter ihn wach zu bekommen, doch er war zu sehr in diesem Albtraum drin. Als der Mann dann ansetzte ihn zu schlagen, riss ich Daniel von ihm weg und fauchte ihn an. Niemand würde ihm jemals noch einmal etwas antun! Ich legte meinen verkrampften Zwilling behutsam auf das Bett ab und streichelte ihm durch die Haare. Um sicher zu gehen, dass sein Herz noch richtig schlug messte ich seinen Puls.

Geschockt drehte ich mich zu dem Mann um und schrie ihn an, er müsste ihn sofort beruhigen. Dieser ging vorsichtig an ihn ran und holte eine Spritze, doch bevor er sie ansetzten konnte, fauchte ich ihn an und fragte, was das war.

"Das ist ein Beruhigungsmittel, weil er sich zu sehr verkrampft hat." Ich ließ ihn gewähren und er legte seine Finger an den Hals meines Bruders, um seinen Puls zu messen. Sein Blick wurde leicht panisch und er spritze ihm dieses Zeug.

Daniel entkrampfte sich nach ein paar Minuten und mir fiel ein Stein vom Herzen. Das war heftig!

Ich hoffte so, dass das nicht noch einmal geschah.

"Wissen sie über eventuelle Herzfehler ihres Zwillings bescheid?" fragte der Mann. Ich schüttelte lediglich den Kopf, wobei mein tränenüberströmter Blick weiterhin auf Daniel lag. "Da müssen sie unsere Eltern fragen." meinte ich noch. Ich bekam nichts mehr mit. Sah nur auf meinen Bruder, in der Sorge, er könnte jeden Moment wieder anfangen zu krampfen. Ich beobachtete ihn, ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, da ich Angst hatte, ihm könnte etwas passieren, wenn ich nicht hinschaute.

Ich wusste nicht wie lange ich nur dasaß, die Hand meines Zwillings haltend und auf ihn niederblickend. Er war kein einziges Mal aufgewacht und langsam machte ich mir Sorgen, er würde seine Augen womöglich nie wieder öffnen.

Ich merkte nicht wie meine Eltern mit Tränen in den Augen in den Raum gestürzt kamen oder wie ein Mann sie aufklärte, was passiert sei. Nur am Rande bekam ich mit wie sie Sachen sagten, die mich unter anderen Umständen zu Boden gerissen hätten, doch ich war zu sehr fixiert auf meinen Bruder.

"Unser Sohn hat einen angeborenen Herzfehler."

"Das nächste Mal könnte das tödlich für ihn ausgehen. Ich würde vorschlagen, er bleibt erstmal zur weiteren Überwachung hier im Krankenhaus."

Als die Worte zu mir durchdrangen, brach meine Welt zusammen. Ich konnte ihn nicht verlieren. Nicht meinen Engel, nicht die Person, die mich am Leben hielt. Das ging einfach nicht. Er konnte mich nicht allein lassen. Nein!

Ich fing an zu weinen, zu schluchzen. War nur fixiert auf meinen Engel und auf das Heben und Senken seiner Brust, dass mir versicherte, dass er noch lebte. Ich bekam nicht mit, dass meine Eltern ihre Arme um mich schlangen, nur meine zweite Hälfte zählte für mich. 2 Monate hatte ich ihn jetzt wieder, da konnte er mich doch nicht einfach wieder allein lassen!

Stiller Schmerz (BxB) *Überarbeitung pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt