Aus blau und rot wird lila

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***Tyler***

Mir war es nicht leicht gefallen, meine Mauern wieder zu errichten, doch ich hatte zu viel Angst enttäuscht zu werden. Vor allem, da er sein Bruder war. Sie waren Brüder! Wieso musste Nikolas nur so eine Illusion der Führsorge ausstrahlen? Wie können zwei Personen so gleich und doch so verschieden sein? Wie ein Stein legte sich das Gewicht meiner Vergangenheit auf mein Herz, ließ  nicht zu, dass ich Vertrauen zu Nikolas fasste.

Schweren Herzens brachte ich die nächsten Wörter über die Lippen, von welchen ich mir schwor, dass es die letzten waren, die ich an ihn richten würde. Ich wollte nicht riskieren jemals wieder etwas zu sagen, das ich bereuen würde. Nie wieder wollte ich Worte bereuen, die ich sagte. Niemals wieder, nicht wie bei Jack damals.

"Das hat er auch gesagt und dann ist er abgehauen und hat mich diesen Monstern überlassen. Hat mich einfach allein gelassen!" Nach diesen Worten, schloss ich ihn vollkommen aus meinem Leben aus. Zwar war Jack bereits 15 Jahre alt gewesen, damals, aber dieser Altersunterschied hatte unsere Freundschaft nicht verhindert. Hätte es diesen Altersunterschied, diese 7 Jahre zwischen uns nicht gegeben, wäre er dann geblieben? Wäre er bei mir geblieben? Hätte er mich dann immer noch zurückgelassen? Niemals wollte ich wieder jemanden so nah an mich heranlassen wie Jack.

"Ich würde mich sehr freuen, wenn du nun mein Zimmer verlassen könntest!" fuhr ich ihn an. Der verletzte Blick aus seinen unergründlichen Augen versetzte mir einen Stich, doch ich konnte einfach nicht anders! Ich konnte nicht riskieren noch einmal verletzt zu werden, denn dann könnte ich sofort zur Rasierklinge greifen und sie mir so tief in den Arm rammen, dass ich endlich zu meinem Engel könnte.

Nikolas schien geschrumpft zu sein. Seine sonst glänzenden blau-grün-braun-gelb-roten Augen wirkten leer, verletzt und erschöpft. Sie hatten ihren Glanz verloren und das sonst dominantere blau, wich dem rot. Seine muskulösen Schultern hingen kraftlos herunter. Seine ganze Spannung und damit seine Autorität war nirgends zu finden. Er wirkte nicht mehr wie der liebe Schlägertyp, der doch keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Es war als hätte er sich vollständig verändert, denn vor mir stand nicht länger Nikolas. Nein, vor mir richtete sich ein verschlossener Mann auf. Nun war er das genaue Abbild Jacks. Seine Augen, in denen das rot nun die Anderen Farben verdeckte, die sich unterschwellig ihren Weg an die Oberfläche suchten, erinnerten an die Jacks, als er mich verraten hatte. Als er mich gegen seine Freiheit eingetauscht hatte. Vollkommen verschlossen blickte Nikolas mich nun an. Er hatte nichts mehr von dem Nikolas, den ich beim Kickboxen kennengelernt hatte, hatte nichts mehr von dem verletzten und verlassenen Jungen mit hängenden Schultern von eben. Nun könnte man denken Jack stünde an Nikolas Stelle vor mir. Nur das Jack abgemagert war, wie jeder im Keller und Nikolas ein richtiger Sunnyboy mit Mördermuskeln, wie es mir zumindest vorkam.

Während ich seine 'Verwandlung' beobachtete, hatte ich Angst! Solche Angst! Mein Herz schien in meinen Ohren zu pulsieren, mein Körper zitterte, doch mein Blick war noch kalt. Meine Mimik hatte ich schon immer gut unter Kontrolle gehabt.

"Was kann ich tun, das du mir vertraust?" fragte er wieder sanft. Fasziniert beobachtete ich den Kampf der Farben in seiner Augen. Der Kampf zwischen blau und rot, wodurch sie nun größten Teils lila-violett wirkten. Er wirkte so Angsteinflößend, doch während ich das Farbespiel seiner Augen betrachtete machte die Angst einem anderen Gefühl platz. Ich fühlte mich sicher! Einfach sicher, beschützt, als würde er all seine aggressive Energie niemals gegen mich verwenden, sondern lediglich zu meinem Schutz. Ich versank in seinen Augen und konnte ihm nicht antworten, zu hypnotisiert war ich von seinen Augen. Sichtlich wurde er immer nervöser. 

"Sag doch etwas!" wies er mich verzweifelt an.

Ich konnte nicht anders. Diese Augen brachten mich immer wieder zum reden. "Zeig mir, wie das Leben sein kann. Zeig mir was es heißt, nicht für jemanden anderes zu leben, sondern sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Vielleicht werde ich dir irgendwann von dieser Zeit erzählen können, doch Vertrauen ist nicht einseitig. Wenn du mir nicht vertraust, werde ich es ebenfalls nie können." Erwiderte ich wahrheitsgemäß. Eine kleine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel und ich fühlte den beschützenden Blick meines Zwillings, der aus dem Himmel zu mir niederblickte. Mein Kopf legte sich in meinen Nacken und ich sah zur weißen Decke hoch. "Ich will dich nicht enttäuschen." flüsterte ich.

"Was hast du gesagt?" fragte er verwirrt, da er die Worte, die ich an meinen Engel gerichtet hatte, nicht ganz verstanden zu haben schien. "Alles gut. Ich habe nur mit meinem Engel gesprochen." sagte ich immer noch flüsternd ohne ihn anzusehen. Ein kleines ehrliches Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Wärme erstrahlte mein Herz. Ich liebte meinen Engel und das würde auf ewig so sein.

Seine bunten Augen wanderten zu meinem Nachttisch, auf dem mein Tagebuch lag, das ich noch immer fleißig schrieb. Langsam war es schon etwas zu dünn, ich würde bald ein neues brauchen.

Ich hatte es immer dabei, weswegen es nun auch hier war.

"Was ist das?" wollte er wissen und gleichzeitig danach greifen. "Das geht dich nichts an!" fuhr ich ihn an, da ich wusste er würde sich vor mir ekeln, wenn er es las.

Stiller Schmerz (BxB) *Überarbeitung pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt