Kapitel 6

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Wir fuhren wieder nach Hause. Ich hörte wieder Musik, ich hatte keine Lust mit jemandem über den Wettkampf zu reden. Schon gar nicht mit Selene, die besser als ich war.

Ich schlief ein und wachte erst wieder auf, als Selene mich anstupste. "Hey, wir sind wieder zuhause", sagte sie.
Es war inzwischen dunkel geworden, wir waren lange gefahren.

Ich streckte mich, gähnte und stieg aus. Aus dem Kofferraum nahm ich mir meine Tasche und lief zu unserem Wohngebäude.
Das Internat bestand aus zwei Sportplätzen, einer Sporthalle, einem Verwaltungstrakt, einem Wohnhaus und einem Unterrichtsgebäude.

Basti hatte schon die Tür aufgeschlossen und ging schon die Treppe hoch.
Hinter mir kam Selene die Tür herein und Steffan schloss gerade das Auto ab.

In meinem Flur öffnete ich meine Apartmenttür und schmiss meine Tasche in die Ecke.
Ich lief ins Bad, putzte Zähne und betrachtete mich wieder einmal im Spiegel.
Ich hatte große Augenringe und mein Magen krampfte. Kein Wunder, ich hatte heute kaum etwas gegessen. Eine Banane und ein Müsli, wenn es hoch kam.
Aus meiner Sporttasche schnappte ich mir einen Apfel und ein Käsebrot. Ich stopfte es mir rein und zog mir mein Schlaf TShirt an.

Als ich im Bett lag, las ich noch ein bisschen in meinem Buch. Wir mussten es für die Schule lesen, doch ich konnte mich nicht konzentrieren.
Ich musste immer wieder an das Rennen denken. Ich musste das alles irgendwie loswerden. Doch hier konnte ich mit niemandem reden. Deshalb beschloss ich, alles in ein kleines Buch zu schreiben. Eine Art Tagebuch. Ich will nur hineinschreiben wenn ich das Bedürfnis hatte mit jemandem zu reden oder wenn etwas schief gelaufen war. Nicht täglich, kein richtiges Tagebuch.

Heute war mein erstes Rennen dieser Saison. Es lief nicht gut. Ich bin zwar in den Endlauf bekommen, aber der zweite Lauf war langsamer als der erste. 14,73 s ist die Zeit aus dem ersten Lauf. Selene war im Vorlauf nur eine Millisekunde schneller als ich.

Ich fühle mich hier nicht wohl. Jeder lebt vor sich hin, als ich dachte, hierher aufgenommen zu werden wäre etwas tolles, habe ich mich geirrt. Es ist purer Stress. Seit einigen Tagen habe ich das Gefühl, mich dauernd über geben zu müssen. Außerdem muss ich ständig weinen.

Ab dem Tag entwickelte ich eine Art Hass gegen Selene. Ich war immer noch freundlich zu ihr, doch auch sehr bissig und ziemlich hinterhältig. Ich versuchte, ihr das Training schwer zu machen. Ich wollte, dass sie zusammen brach.
Erst sehr viel später bemerkte ich, dass genau das die Absicht des Jesse Owens Internat war.
Die Trainingsgruppe zu spalten, untereinander Hass aufzubauen, indem Druck und Ehrgeiz erschaffen wurde.

Bis zum ZielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt