Kapitel 105

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Nachdem Noah und ich gesprochen hatten, fingen wir wieder an, uns besser zu verstehen. Beim Training redeten wir wieder und er setzte sich ab und zu auch beim Essen zu mir. Doch auch mit Basti war er nun gut befreundet, was mir einen kleinen Stich versetzte.
Zeitweise saßen wir sogar zu dritt an einem Tisch und unterhielten uns.
An einem Abend, es war schon lange dunkel draußen, saßen wir zu dritt am Fenster und aßen unsere Spätzle. "Sag mal, Basti, hättest du damals eigentlich etwas mit Via, das Mädchen, das wir in Gyor kennengelernt haben?", fragte ich Basti.
Dieser wurde leicht rot im Gesicht, bevor er antwortete:" Ja schon. Aber irgendwie auch nicht. Weiß nicht."
Ich musst Emir ein lachen verkneifen. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass auch Noah versuchte, nicht zu lachen. Basti senkte den Kopf und aß weiter, doch Noah und ich wechselten einen verstohlenen Blick.

Später wollte ich gerade hoch in mein Zimmer gehen, als Selene auf mich zu kam. In den letzten Wochen hatte sie mich ja in Ruhe gelassen, doch als ich sie so sah, bekam ich Angst. Was, wenn alles von vorne anfangen würde?
"Ey, Alia." "Ja?"
"Ich freue mich auf Olympia"
Mit einem hämischen Lächeln drehte sie sich um und ging. Ich war verwirrt. Es hatte nicht gerade freundlich geklungen, was hatte sie vor?
"Was meinst du?", rief ich ihr hinterher und sie drehte sich um.
"Naja, ich hatte nicht vor, gegen schlechte Sprinterinnen wie dich anzutreten", meinte sie und ging.
Was sollte das bedeuten? Sie wollte also nicht gegen mich antreten. Aber unter keinen Umständen würde ich es lassen, meinen Traum zu verwirklichen. Egal, was sie anstellte.

Ich lief in mein Zimmer, immer noch dieses komische Gespräch im Hinterkopf.

Am nächsten Morgen lief ich runter zum Frühstück. Dort verstand ich dann, was Selene gemeint hatte. Denn als ich in die Mensa kam, starrten mich alle an und verstummten. Hin und wieder hörte ich ein verstohlenes Lachen hinter hervorgehaltener Hand. Oder ein tuscheln. Und sofort hatte ich ein Flashback, wie Selene Lügen über mich erzählt hatte und wie ich fast aufgegeben hatte. Was hatte sie diesmal getan?

Ich suchte nach Noah oder Basti, doch keiner von den Jungs war zu sehen. Also lief ich unter allen Blicken bis nach ganz hinten in den Raum und setzte mich dort allein hin.
Es war schrecklich.

Ich aß so schnell ich konnte, doch es kam mir vor wie Stunden, bis ich endlich so unauffällig wie möglich den Saal verlassen konnte.

Der Horror nahm auch in den nächsten Tagen kein Ende.
Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Die Blicke erinnerten mich so sehr an damals, dass ich es zeitweise kaum schaffte, zum Training zu laufen.
Und auch dort ließ mir Selene keine Ruhe. Es war nicht so schlimm wie wenn die anderen dabei waren, doch sie flüsterte mir manchmal leise und unauffällig irgendetwas ins Ohr oder redete laut mit Basti über mich. Wobei Basti nichts über mich sagte, sondern nur Selene. Und sie stellte dies so geschickt an, dass Steffan nichts mitbekam. Natürlich nicht.

Noah bekam davon auch nichts mit. Jedenfalls nicht von Selene. Er merkte natürlich schon, dass alle mich anschauten und über mich redeten, aber er Begriff nicht, dass es von Selene kam.

Ich stürzte mich ins Training und verbissener habe ich glaube ich noch nie trainiert. All die Wut, Angst und Trauer steckte ich als Energie in mein Training. Und das Resultat zeigte sich. Ich war schneller als jemals zuvor und auch, als wir nicht mehr draußen trainieren konnten, ging ich täglich in den Kraftraum, auch außerhalb der Trainingszeiten.
Außerdem hatte ich sämtliche extra Trainings, die mir die Zeit stahlen. Doch es war die Zeit, die ich nicht mit anderen Menschen verbringen musste.

Bis zum ZielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt