Kapitel 112

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Wir holten Noah, Jan und die anderen Verwandten gemeinsam vom Flughafen in Tokyo ab. Der Flug war lang gewesen und als wir in Tokyo angekommen waren, hatte ich einen heftigen Jetlag. Ich war vorher noch nie vom Kontinent Europa herunter gekommen und auch noch nie wirklich in einer anderen Zeitzone gelandet. Es war völlig ungewohnt für mich, plötzlich nichts mehr lesen zu können und auch die Menschen sahen alle anders aus. Natürlich hatte ich in Deutschland schon asiatische Menschen gesehen, aber ich war noch nie in einem Land gewesen, in dem wirklich alle so aussahen. Und auch an das Essen musste man sich erst gewöhnen. Es gab einfach andere Dinge in Tokyo als in Deutschland und es schmeckte gar nicht mal so schlecht. Einige Dinge wie zum Beispiel Okonomiyaki ließ ich weg, denn ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was sich dahinter verbarg.

Noah und Jan hatten sich, wie sich herausstellte, spitze verstanden auf dem Weg hier her. Am Flughafen war ich Noah in die Arme gestürzt, der Kuss vor seiner Abreise aus dem Internat war schon längst vergessen. Es fühlte sich so verdammt vertraut an, seine warmen, starken Arme um mich zu haben. Er sah besser aus, das Internat hatte ihm wirklich nicht gut getan. Seine Wangen waren rot und obwohl er total müde aussah, hatten seine Augen einen besonderen Glanz. Er war glücklicher ohne den Stress. Auch Noah freute sich offensichtlich, mich zu sehen. Er nahm mich fest in die Arme und flüsterte mir ins Ohr, wie stolz er auf mich war.

Nachdem ich Noah lange genug begrüßt hatte, nahm ich Jan in den Arm. Er war blass um die Nase, was von der Aufregung kam, wie er mir erzählte. "Wann ist denn dein Vorlauf?", fragte Noah. "Übermorgen. Ihr habt nicht viel Zeit, euch an die Zeitzone zu gewöhnen", antwortete ich ihm. Noah nickte.

Wir machten uns auf den Weg ins Hotel. Ich teilte mir ein Zimmer mit Selene, was  nicht gerade sehr angenehm war. Sie strahlte mir gegenüber eine ewige Stimmung aus, doch wenn sie im Kontakt mit anderen Menschen war, dann war sie super fröhlich. Ich hielt es am Abend vor unserem Lauf nicht mehr aus und stellte sie zur Rede:"Ihm, Selene, ich weiß nicht, was du gegen mich hast. Ja, wir sind Konkurrentinnen, aber du weißt genau so gut wie ich, dass du besser bist als ich, und es auch schon immer warst. Außerdem ist das hier Olympia, ich finde, wir könnten jetzt endlich mal erwachsener werden und uns nicht mehr gegenseitig angiften. Das ist doch Kindergartenniveau"Selene sah mich verständnislos an. Für einen Moment dachte ich, es wäre zwecklos, doch dann sagte sie:"Meinetwegen, wir können versuchen, nicht mehr so zu sein. Aber du musst wissen, dass ich dich nicht plötzlich mag. Absolut nicht. Aber wenn du es so besser findest..." Erleichtert atmete ich auf und konnte in der Nacht darauf besser schlafen. Ich war super aufgeregt und unter Adrenalin und schlief eh nur ein paar Stunden.

Ich lag in meine Bett und ließ die letztenJahre nocheinmal durch meinen Kopf gehen. Es war so viel passiert in den letzten drei Jahren, dass ich mich kaum noch an alles erinnern konnte. Ich war auf das Internat gekommen, hatte dem Druck standgehalten, sodass ich weiter machen konnte. Irgendwann kam Noah dann in unsere Gruppe und dann fing Selene an, mich zu mobben, sodass ich mich fast umgebracht hätte. Noah hatte mir geholfen, wieder auf die Beine zu kommen und dann war irgendwann die Europameisterschaft gewesen, wo wir Jette und Lia kennengelernt hatten. Noah und ich hatten uns geküsst und waren heimlich zusammen gekommen. Irgendwann fuhren wir alle für ein Wochenende nach Hause, wo mein Vater starb und ich Leo küsste. Noah und ich hatten miteinander geschlafen, ich hatte die Quali für die olympischen Spiele bekommen und Noah und ich hatten uns getrennt. Dann war Noah irgendwann von der Schule geflogen. Und nun war ich hier. Es war ein weiter Weg gewesen und mein Traum war nie so nahe gewesen. Schon als kleines Kind hatte ich die Athleten im Fernsehen bewundert, war immer schneller als die anderen gelaufen und es hatte sich gelohnt. Jeder einzelne Verlust war mir bewusst, doch alle davon hatten mich näher an mein Ziel gebracht.

An dem Abend hatte ich ja nicht ahnen können, was mein Leben noch verändern würde...

Bis zum ZielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt