Kapitel 67

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"Wer organisiert die Fahrt nach Hause?"
"Wann genau ist denn das?"
"Werden unsere Eltern davor davon in Kenntnis gesetzt?"

Wir bestürmten Steffan am nächsten Morgen mit Fragen, er kam kaum hinterher, sie zu beantworten.

"Die Fahrt nach Hause wird bezahlt vom Internat und die Zugverbindung oder wie ihr nach Hause fahren wollt, müsstet ihr selber heraus finden. Ihr könnt euch aber auch von euren Eltern abholen lassen. Wann das genau ist, weiß ich noch nicht, das genaue Datum wurde uns auch noch nicht gesagt. Und eure Eltern werden natürlich davon in Kenntnis gesetzt, wir werden eure Eltern anrufen und eine Mail schreiben."

Wir nickten. "Und jetzt trainieren wir!"
Ich zuckte zusammen. Wir liefen uns ein und das Training verlief, ohne dass wir ihm weitere Fragen stellten.

Ich war aufgeregt. Ich hatte meinen Zwillingsbruder so lange nicht gesehen...
Und dann könnte ich auch mit Diana reden! Und einfach mal nicht an alles denken, einfach mal los lassen!

Ich freute mich auf jeden Fall!
Und im Nachhinein glaube ich, dass genau dieser Besuch zuhause mir sehr geholfen hat.

Das Training war wie immer, nur mittelmäßig. Mein Körper war komisch. Manchmal lief das Training so gut, dass ich mich fühlte, als könnte ich Olympia gewinnen. Und manchmal fühlte ich mich, als sollte ich ein Leben führen wie mein Bruder.

Den ganzen Tag verbrachte ich grübelnd. Ich redete kaum mit Noah, doch er hatte Verständnis. Ich malte mir aus, wie es sein würde, nach Hause zu kommen. Wie würde sich meine Familie verändert haben?

Ich war mir auf einmal nicht mal mehr sicher, ob ich das wissen wollte.
Als meine Eltern vor einem dreiviertel Jahr hier waren, hatten wir kaum Zeit gehabt, zu reden. Ich wusste also nicht, was alles passiert war, denn der Fokus unserer Gespräche hatte natürlich auf mir gelegen.

Aber ich wusste nicht, wie es Jan, meinem Bruder ging. Und ich wusste auch nicht, ob Markus, mein Vater jetzt endlich eine Arbeitsstelle gefunden hatte oder ob er immer noch arbeitslos war.
Und ob wir i zwischen mehr Geld hatten, falls mein Vater eine Arbeit gefunden hatte. Das wäre sehr gut! Dann würde ich mir nicht mehr ganz so oft Gedanken darüber machen, ob ich nur des Geldes wegen hier weg müsste.

Und ich stellte die Tatsache in meinem Kopf klar. Erschrocken, aber mit der kühlen Erkenntnis stellte ich fest, dass ich Angst vor meiner eigenen Familie hatte.

Beim Nachmittagstraining kam Steffan auf mich zu. "Du kommst bitte nachher kurz vor dem Abendessen in mein Büro! Herr Esser und ich müssen mit dir reden!"

Ich erschrak. Doch ich nickte zögerlich und fragte mich, was ich jetzt schon wieder angestellt hatte. Beim Training konnte ich mich nicht konzentrieren, denn ich dachte fieberhaft darüber nach, was ich gemacht hatte. Denn darüber, dass ich etwas angestellt hatte, gab es in meinem Kopf keine Zweifel. Warum sonst sollte ich mit dem Schulleiter sprechen?

Während der Übungen ermahnte Steffan mich immer öfter, dass ich mich konzentrieren solle, doch es brachte nichts. Mein Gehirn hatte sich festgefahren, in einem Kreislauf von Gedanken, dem ich nicht entkommen konnte.

"Was ist denn los?", fragte Noah mich, während wir unsere Spikes auszogen, um uns aus zulaufen. "Ich soll nachher zu Steffan ins Büro kommen. Er und Herr Esser wollen mit mir sprechen."

"Oh", jetzt war Noahs Gesicht besorgt und mitleidig. "Ja, das wird schon", gab ich mich nach außen hin selbstbewusst. Doch Noah kannteich, er wusste, dass in mir ein großes Chaos herrschte. Deshalb legte er einen Arm um mich und ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. Das war besser als alle Worte, die er hätte sagen können. "Danke!"

Bis zum ZielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt