Kapitel 78

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Leo? Leo? Leo!
"Ja, ich erinnere mich! Wir haben früher immer gemeinsam gespielt! Und obwohl du ein paar Jahre älter bist, haben wir uns immer gut verstanden! Jan, du und ich, wir waren das perfekte Team!"

Leo nickte lächelnd. Dann schaute er mich aber wieder ernst an. "Was ist los? Warum weinst du?"
Er setzte sich neben mich.
Ich sah ihn an. Er hatte lange, blonde Locken.

"Gestern Abend kam eine Nachricht zu uns. Papa hatte einen Autounfall, er ist gestorben."
Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen.
Leo umarmte mich und ich legte meinen Kopf gegen seine Seite. Dann weinte ich hemmungslos.

Er nahm meinen Kopf zwischen seine Hände. "Das tut mir total leid!", sagte er völlig ernst. Ich sah in seine Augen. Er war plötzlich einfach da, um mich zu trösten.
Ich lehnte mich vor.
Und legte meine Lippen auf seine.
Einfach so. Nur weil er da war.

Der einfache Kuss dehnte sich bald aus, wir saßen auf der Bank und küssten uns heftig.

Später, als ich nach Hause lief, fühlte ich mich besser. Wie konnte ein Junge das schaffen?
Doch als ich wieder am Spielplatz vorbei kam, tropften die Tränen ganz von alleine auf meine Jacke.
Womit hatte ich das verdient? Lag es daran, dass ich nicht für meine Familie da gewesen war? War das meine gerechte Strafe?
Das Leben wat niemals gerecht!

Den restlichen Tag verbrachte ich damit, durch das Dorf zu gehen oder in meinem Zimmer zu sitzen und zu weinen.

Am Abend bekam ich Hunger. Ich erwartete jedoch nicht, dass Jan oder Mama kochen würden. Also lief ich nach unten und machte Nudeln.
Ich brachte eine Portion in Mamas Schlafzimmer und eine Portion in Jans Zimmer. Der hatte sich verkrochen und versank in seinen Videospielen.

Dennoch freute er sich, als ich ihm Nudeln brachte.
Damit ich nicht allein essen musste, setzte ich mich einfach auf den Boden neben ihm.

"Jan", begann ich zögerlich:"Es tut mir so leid! Ich habe nie darüber nachgedacht, wie du dich fühlst. Schon gar nicht, als ich heute morgen geredet habe. Ich hoffe, du kannst mir in irgendeiner Weise verzeihen..."

"Alia, es ist besser, wenn wir nicht darüber reden", unterbrach mich Jan.
Ich nickte niedergeschlagen. Eine Weile aß ich schweigend. Dann stand ich auf und ging aus dem Zimmer. Es hatte keinen Sinn mehr, mit Jan zu reden. Ich war sowieso im ganzen Haus unerwünscht.

Obwohl es schon dunkel war, holte ich mein altes Fahrrad aus den Schuppen, das zum Glück noch da stand. Damit fuhr ich in Richtung Meer. Morgen würde ich früh losfahren müssen.
Und ich konnte nicht wieder fahren, wenn ich das Meer nicht gesehen hatte.

Schnell war ich am Strand, die Wellen klatschten beruhigend auf den Strand. Ich ließ mich in den Sand fallen, es tat gut, einfach nur da zu sitzen und den Wellen zuzuhören.

Doch nach etwa zwanzig Minuten wurde mir kalt. Es war zwar schon Frühling, doch warm war es noch lange nicht.
Ich stand also wieder auf und fuhr nach Hause.

Ich überlegte mir, dass ich erst morgen früh Mama wecken wollte und sie verabschieden wollte.

Ich schrieb aber trotzdem einen Brief, darin schrieb ich viel über die Entscheidung, dass ich Jan und Mama lieb hatte und dass ich mit meiner Entscheidung auf keinen Fall meine Familie im Stich ließ oder lassen wollte.
Ich hoffte so sehr, dass sie es verstanden.

Dann legte ich mich schlafen.
An den Kuss mit Leo dachte ich nicht mehr.

Bis zum ZielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt